Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
Frauenmuseum | Museo delle donne

60 Jahre Pille – Wo stehen wir heute?

0

Die „Pille“, die im Laufe ihrer Geschichte schon verschiedene Namen und Bezeichnungen getragen hat, wird dieses Jahr 60 Jahre alt. Ein Grund mehr dafür, dass wir uns diesen Monat in unserer Rubrik #tanterosa etwas ausführlicher mit dieser Form der hormonellen Verhütung beschäftigen. In Teil 1 von letztem Freitag, kann mehr über die Entstehungsgeschichte der „Pille“ und ihre erste Verbreitung gelesen werden. Direkt zum Beitrag geht es hier.

Ihre Sprengkraft hat die Pille allerdings bis heute nicht verloren! Aufhorchen ließen in den letzten Jahren vor allem Nebenwirkungen, Gefahren und gesundheitliche Risiken der Pille, die von unerwünscht bis lebensbedrohlich reichen. Ebenso die Frauen*, die weltweit rechtliche Schritte einleiten und Pharmakonzerne verklagen. Und nicht zuletzt auch eine kritische Diskussion des Vermarktens der Pille als Lifestyle-Produkt. Wir haben in unserer Rubrik #tanterosa schon darüber berichtet. Die Beiträge können hier und hier nachgelesen werden.

Bildquelle: Pixabay

Aktuell lassen vor allem Diskussionen rund um die Pille für den Mann bzw. generell Verhütungsmethoden für Männer aufhorchen. Auch anlässlich des 60 jährigen Bestehens der Pille, sind verschiedene Dokumenationen und Filmbeiträge entstanden die unter anderem folgenden Fragen nachgehen:

  • Warum wird Verhütung so eng mit Weiblichkeit/Frauen assoziiert bzw. als deren Aufgabe angesehen?
  • Welche Verhütungsmethoden gibt es für Frauen? Welche für Männer?
  • Warum gibt es so wenige Verhütungsmethoden für den Mann?
  • Gibt es hormonelle Verhütungsmittel für Männer?

Die Recherchen der verschiedenen Filmemach_erinnen bringen verschiedenste Verhütungsmethoden für Männer zu Tage.

Die Vasektomie, bei der der Samenleiter operativ endgültig durchtrennt wird. Den „slip contraceptif“ – einen Verhütungs-Slip, der die Hoden in den Bauchraum schiebt und auf Körpertemperatur erhitzt, wodurch sich Spermien zurückbilden und nach 3-monatigem Tragen Sterilität festgestellt werden kann.

Als weiteres Beispiel für nicht hormonelle Verhütungsmethoden für Männer kann auch der Bimek SLV genannt werden. Dabei handelt es sich um ein Samenleiterventil, also einen Schalter, der in den Samenleiter eingefügt wird und ein Unterbrechen des Spermienflusses ermöglicht. Für den Markt zugelassen ist der Bimek SLV allerdings noch nicht.

Bezüglich hormoneller Verhütung für den Mann gibt es Forschungen zu einem Testosteron-Gel, das auf den Schultern aufgetragen wird sowie an einem Präparat mit Vitaminbeigabe. Und siehe da – es kommt auch zum Vorschein, dass es (fast) schon eine Pille für den Mann gibt! Bereits in den 1950er Jahren wurde an Gefägnisinsassen eine Pille für den Mann getestet, allerdings aufgrund ihrer Nichtverträglichkeit mit Alkohol wieder verworfen. Und auch in den letzten Jahren „wurde eine hormonelle Verhütung an mehreren Zentren auf der Welt getestet, gefördert von der Weltgesundheitsorganisation. Doch einige Probanden klagten über Gewichtszunahme und Libidoverlust.“ Diese Nebenwirkungen – man bedenke: Frauen ertragen diese seit 60 Jahren – haben dazu geführt, dass die Studie abgebrochen worden ist und seither finanzielle Mittel für die(se) Forschung fehlen.

Der US-Mediziner John Amory bringt es in der Dokumentation „60 Jahre Pille – Wo bleibt die Pille für den Mann?“ von Kirsten Esch auf den Punkt: „Wir sind seit 40 Jahren nur fünf Jahre entfernt von der Pille für den Mann.“ Stellt sich die Frage: Warum wird nichts daraus? Warum klappt es nicht?

Antworten auf oben genannte Frage, warum es mit neuen Verhütungsmethoden und -mitteln für Männer nur schleppend vorangeht, können aus mehreren Richtungen kommen.

In Bezug auf hormonelle Verhütungsmittel und deren Entwicklung, kann wohl von einem mangelnden Interesse der Pharmaunternehmen gesprochen werden. Mehrere Faktoren machen das Feld unattraktiv: die Kosten für Forschung; strengere Regeln bei der Entwicklung von Medikamenten; das Risiko der Investition in ein Produkt und einen Sektor, die möglicherweise nicht rentabel sind; sowie die Tatsache – wie Univ.-Prof. Dr. Dr. Nieschlag im Interview mit Anna Stradinger von Y-Kollektiv (ab 11:30) festhält -, dass die „Pharmaindustrie […] auch sehr gut an der Pille [verdient] und die Pille […] so preiswert geworden [ist], dass sich der Aufwand für die Entwicklung einer männlichen Kontrazeption nicht lohnt.“

Generell stellen sich aber auch Fragen nach unserer gesellschaftlichen und kulturellen Prägung und unseren Vorstellungen rund um Geschlecht. Werden Männer durch die Auseinandersetzung mit Verhütungsmitteln für Männer oder deren Anwendung „unmännlich“? Verliert ein Mann mit seiner Potenz seine Männlichkeit? Und in der Folge auch seinen Status? Furcht rund um diese Fragen ist sicherlich auch ein hemmender Faktor.

Im Grunde ist Empfägnisverhütung – denken wir z.B. an eine heterosexuelle Partnerschaft – eigentlich etwas, das beide Geschlechter angeht und beschäftigen sollte. Es ist eine Frage der Gleichberechtigung:

  • Ist die Gesundheit von Männern wichtiger als die Gesundheit von Frauen?
  • Ist der Erhalt der Männlichkeit wichtiger als der Erhalt der Weiblichkeit?
  • Wem wird was (nicht) zugemutet?
  • Warum ist die fast alleinige Zuschreibung der Verantwortung für Verhütung an ein Geschlecht so weit verbreitet so selbstverständlich? Was ist daran problematisch? Was braucht es zur Veränderung?
Bildquelle: Pixabay

Die Pille ist ein Meilenstein der Frauengeschichte. Dies ist aber kein Grund stehen zu bleiben! Es entstehen immer wieder Konflikte, unterschiedliche Sichtweisen und neue Herausforderungen denen sich jed*e ein*zelne persönlich ebenso wie Gesellschaften weltweit stellen müssen. Um einen kleinen Ausschnitt dieser Vielfalt an unterschiedlichen Positionen, Herangehensweisen, Meinungen und Vorstellungen einzufangen und zu veranschaulichen, haben wir einige Frauen um ein Statement zur Pille gebeten.

weiblich, 28 Jahre:

Als ich meinen ersten Freund hatte, schleppte mich meine Mama zum Frauenarzt und ich bekam die Pille verschrieben. Über Risiken und Nebenwirkungen habe ich mir wenig Gedanken gemacht, aber ich hab gemerkt, dass ich teilweise sehr schnell emotional geworden bin. So reichte eine blöde Bemerkung und ich bin in Tränen ausgebrochen. Mit Anfang 20 habe ich mich dann gegen die hormonelle Verhütung entschieden, weil ich einfach selber meinen Körper kennenlernen wollte und habe mich intensiv mit NFP (Natürlicher Familienplanung) beschäftigt. Ich habe wahrgenommen, wann ich fruchtbar bin und meine Stimmungsschwankungen sind verschwunden.

weiblich, 28 Jahre:

Seit ich aus einer Dokumentation erfahren habe, dass sich aufgrund der Rückstände von weiblichen Hormonen im (Ab-)Wasser das Geschlecht von Meerestieren verändert und diese verweiblichen, verweigere ich hormonelle Verhütung. Es gibt ja immerhin eine Vielzahl anderer Verhütungsmittel. Außerdem habe ich mir die Frage gestellt, ob eine (auch ungewollte) Schwangerschaft wirklich „schlimmer“ sein kann, als die Geschlechtsveränderung und das auf kurze oder lange Sicht damit verbundene Aussterben von ganzen Arten von Lebewesen. Für ersteres kann ich die Verantwortung übernehmen, für zweiteres will ich nicht verantwortlich sein.

weiblich, 20 Jahre:

Ich nehme die Pille nicht und bin generell gegen hormonelle Verhütung. Ich sehe es kritisch, dass die Pille oder andere hormonelle Verhütungsmittel so leichtfertig eingesetzt werden, teilweise auch bei jungen Mädchen, welche sich gar nicht im Klaren darüber sind, welche Auswirkungen dies auf den Körper haben kann. Abgesehen von Stimmungsschwankungen und Wassereinlagerungen wird auch in Betracht gezogen, dass diese Art von Verhütung andere schwerwiegende Schäden am Körper verursacht, wie zum Beispiel Lipödem oder Unfruchtbarkeit. Die Pille hat sicherlich auch einige positive Aspekte, meiner Meinung nach sollte sie aber mit mehr Bedacht eingesetzt werden und über die Nebenwirkungen und möglichen Folgen besser aufgeklärt werden.

weiblich, 34 Jahre:

Wenn ich die Pille nicht nehme, gingen meine Organe kaputt, erklärte mir mein Frauenarzt. Zwanzig Jahre lang kämpfte ich zwei bis drei Wochen jedes Monats erst gegen meinen Körper, dann irgendwann für oder mit meinen Körper, aber die ganze Zeit lang kämpfte ich gegen die ärztlichen „Empfehlungen“ hormoneller Eingriffe. Für aufgeklärte, unabhängige und körperbewusste Frauen, die ihre Weiblichkeit feiern, bedeutet die Pille ja eine Opferung des Körpers an die Pharmaindustrie und einen Verlust der eigenen weiblichen Identität. Nie wollte ich mich dem hingeben. Die Direktheit dieses Arztes aber ließ mich aufhören. Mein Körper produzierte ja zu viele männliche Hormone, emotionales Ungleichgewicht, PMS, Schmerzen, seltene Eisprünge, Akne, Bartwuchs – mein Körper ging kaputt. Ich willigte ein: „Hormontherapie“: die Pille. Die erste Pillenpackung in der Handtasche fühlte sich aufregend nach verdeckter Widerständischen an. Ich durchlitt in dieser ersten hochdosierten Phase jedoch gefühlte neunzig Prozent aller beschriebenen und unbeschriebenen Nebenwirkungen. Sogar meine Füße wuchsen in diesem Halbjahr um eine Schuhgröße. Ich kaufte also größere Schuhe, BHs und Hosen und wartete sehnlichst auf Phase zwei. Mittlerweile lebe ich ganz gut und relativ symptomfrei mit der täglichen Hormondosis, irgendwie runder. Es fühlt sich im Herzen jedoch unheimlich und paradox an, mein eigenes zyklisches Frau-Sein komplett abzustellen, um endlich eine Frau zu sein.

weiblich, 28 Jahre:

Vor einigen Jahren habe ich erfahren, dass sich die hohe Hormonkonzentration in der Pille mit anderen Medikamenten, die ich einnehmen muss, nicht verträgt. Erst zu diesem Zeitpunkt habe ich ansatzweise realisiert, was ich da jahrelang täglich eingenommen habe, wie wenig Gedanken ich mir darüber gemacht habe und wie wenig ich genau darüber informiert wurde! Ich bin froh, nicht mehr von der Pille abhängig zu sein und eine andere, geeignetere Methode für mich gefunden zu haben.

weiblich, 30 Jahre:

Ich war 16 Jahre jung, als die hormonelle Verhütung für mich interessant wurde. Die Popularität der Pille hatte schon von Beginn an Einfluss auf meine Entscheidung. Nichtsdestotrotz informierte ich mich bei meiner Gynäkologin über verschiedene Verhütungsmethoden, verglich Vor- und Nachteile, las viel im Internet und lernte den sog. Pearl-Index kennen. Dieser war es auch, der mir dann zu meiner definitiven Entscheidung verhalf. “Die” Pille. Die anfängliche Begeisterung und die Unbeschwertheit hielten einige Monate, vielleicht auch ein paar Jahre an, bis es mich schließlich ekelte, jeden Tag das kleine Ding zu schlucken. Ich wechselte Verhütungsmethode, weiterhin hormonell. So wechselte ich im Abstand von 10 Jahren von der Pille zum Nuvaring und dann zur Minipille. Zwischendrin gab es auch mal die eine oder andere Pause von der hormonellen Verhütung und in dieser Auszeit merkte ich, dass ich im Alltag weniger träge war. Es war, als hätte ich keinen Schleier mehr vor den Augen gehabt. Aber das Schönste war und ist, dass ich endlich meinen Körper kennenlernen konnte, er funktioniert nicht mehr wie eine Uhr, aber dennoch konnte ich ihn besser lesen als je zuvor.

Nun bin ich 30, habe einen festen Partner und die Familienplanung läuft. Wenn diese mal abgeschlossen ist, wird das Thema Verhütung für mich wieder relevanter. Ob ich wieder mit der Pille oder einer anderen hormonellen Verhütungsform beginnen werde? Sicher nicht. Ob ich rückblickend nochmal dieselben Entscheidungen treffen würde? Wahrscheinlich. Interessante Alternativen fehlen.

weiblich, 29 Jahre:

Ich hab mit 21 Jahren begonnen die Pille zu nehmen und zwar aufgrund meiner Akne und nicht primär zu Verhütungszwecken. Deshalb war die Beratung durch meinen Frauenarzt rückblickend auch sehr dürftig, da es seiner Meinung nach keine (moderne, finanziell mögliche und alltagsfähige) Alternative gab um meine unreine Haut in den Griff zu bekommen. Heute frage ich mich, ob mir mein Körper die Strapazen, die er jahrelang durchleben musste, auch wieder verzeihen wird.

Nach dem Absetzen der Pille nach 6 Jahren merkte ich erst, wie sehr mich die hormonelle Verhütung in meinem alltäglichen Leben beeinflusst hatte: verstärkte Migräne, wenig Einfühlungsvermögen und Achtsamkeit meinem Körper gegenüber, ständige gedämpfte Stimmung, stark verminderte Libido … und das habe ich alles erst gemerkt, als ich aus purer „Stuffheit“ die Pille absetzte. Ich wünsche mir für meine zukünftige Tochter, dass sie ihrem Körper mehr Achtsamkeit entgegenbringen kann als ich es tat und meinem zukünftigen Sohn, dass er eine proaktive Rolle in der Beziehung einnimmt, wenn es um Verhütung geht.

Fest steht: Die Pille hat ihre Sprengkraft bis heute nicht verloren und die Frage nach einer gleichberechtigten Verantwortung für Verhütung unter den Geschlechtern beginnt ihre erst zu entfalten.

Bildquelle: Pixabay

Yvonne Rauter

 

https://www.deutschlandfunkkultur.de/60-jahre-hormonelle-verhuetung-wann-kommt-die-pille-fuer.1008.de.html?dram:article_id=477444

https://www.traunsteiner-tagblatt.de/startseite_artikel,-60-jahre-pille-wo-bleibt-die-pille-fuer-den-mann-_arid,570877.html

https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/arte-doku-ueber-die-pillle-unvollendete-befreiung/25858940.html

https://www.deutschlandfunk.de/pille-unter-beobachtung-verhuetung-oder-verhaengnis.724.de.html?dram:article_id=430782

Leave A Reply