21. März 1960, Südafrika: ein Offizier der südafrikanischen Polizei lässt im Township Sharpeville das Feuer auf friedliche Demonstranten eröffnen. Die Bilanz: 69 Tote und hunderte Verletzte.
Sie fragen sich, warum diese Informationen gerade heute wichtig sind? Was Sie mit ihnen anfangen sollen?
Die Antworten liegen im Kontext: zum einen dominierte 1960 in Südafrika das Apartheidregime, zum anderen waren die Demonstranten, die massakriert worden sind, Schwarze. Das Thema das wir damit aufgreifen und wozu wir im heutigen Beitrag schreiben ist: Rassismus. Anlass dafür ist der morgige 21. März, der 1966, mit Bezug auf eben dieses Massaker von Sharpville, von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag gegen Rassimsus erklärt worden ist.
Doch was genau ist Rassismus und “rassistisch”?
Die Stiftung für die Internationalen Wochen gegen Rassismus erklärt es in ihrer diesjährigen Broschüre folgendermaßen:
Rassismus hat viele Gesichter
– Rassismus zielt nicht nur auf Herkunft und Hautfarbe … sondern richtet sich auch gegen Religionen, Kulturen, Weltanschauungen […]
– Rassismus ist kein weit entferntes Phänomen, das nur anderswo stattfindet … sondern ist täglich Realität auch bei uns in […] Europa.
– Rassismus wird nicht nur von “den anderen” ausgeübt … sondern auch wir selbst sind nicht frei von Vorurteilen und Ressentiments gegenüber anderen Menschen und Gruppen.
Rassismus ist alltäglich
Rassimus ist verletzend
– Opfer von Rassismus werden nicht als Individuum angesehen, sondern pauschal als Mitglied einer Gruppe (“die Schwarzen”, “die Juden”, “die Muslime”, “die Roma”)
– Sie werden automatisch als fremd und nicht zugehörig betrachtet und können an der Gesellschaft nicht gleichberechtigt teilhaben.
– Ihnen wird durch ihr eigenes Verhalten eine Mitschuld an den rassistischen Angriffen zugesprochen.
Warum nun aber die ganze Diskussion um Rassismus auf einem Blog der sich mit frauen- und geschlechterspezifischen Themen beschäftigt?
Klar, weil Frauen auch von Rassismus betroffen sind. Das stimmt, aber eine derartige Antwort kann nich annährend die Komplexität ihrer Bedeutung wiedergeben.
Beginnend mit Sojourner Truth und ihrer Frage “Ain’t I a Woman?” (Bin ich nicht eine Frau?) auf einem Kongress für Frauenrechte in Akron (Ohio) 1851, öffnete sich ein weites Feld von Zusammenhängen. Immer mehr Schwarze Frauen stell(t)en fest und äußer(te)n, dass sie nicht nur als Schwarze sondern auch als Frauen diskriminiert werden und dass beide Faktoren gemeinsam – als Schwarze Frauen – nochmals eine ganz eigene Situation ergeben.
Wie kann man sich das vorstellen? Folgendermaßen:
- Eine Schwarze Frau ist von Rassismus betroffen, wenn sie z.B. zur Zeit der Apartheid in Südafrika lebt und nur jene Orte betreten darf, die für “Nicht-Weiße” Personen vorgesehen sind.
- Eine Schwarze Frau wird aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert (Sexismus), wenn sie bei ihrer Arbeitsstelle im Büro bleiben muss, weil ihr nicht zugetraut wird mit dem Firmenwagen fahren zu können.
- Beide Formen der Diskriminierung greifen ineinander, wenn die Situation sowie die Anliegen und Forderungen Schwarzer Frauen weder innerhalb der sozialen Bewegungen und Kämpfe Schwarzer Personen noch innerhalb von Frauenbewegungen berücksichtigt werden.
Frauen können aber nicht nur von Rassismus und Sexismus, sondern zeitgleich auch noch von anderen Formen der Diskriminierung betroffen sein – wie z.B. aufgrund ihrer Sexualität, ihrer Klasse, ihrer Nationalität, ihres Alters usw. -, die sich alle in einer Person überschneiden.
Aufgebracht wurde dieses Aufeinanderprallen verschiedener Formen von Diskriminierungen in einer Person von Schwarzen Frauen und Lesben. Ein Beispiel ist das Combahee River Collective:
- als Frauen spielten diese in der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung eine untergeordnete Rolle
- als Schwarze konnten sie sich in den Forderungen des weißen westlichen Feminismus, den vor allem Frauen aus der Mittelschicht prägten, schlichtweg nicht wiederfinden
- als Lesben stellten sie das weitverbreitete und viele Gesellschaft strukturierende Ideal der Heterosexualität infrage
In den 1980er Jahren wurde für diese Tatsache und Situation der gleichzeitigen Diskriminierung aufgrund verschiedener Merkmale von der amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw der Begriff “Intersektionalität” geprägt. Der englische Begriff intersectionality nimmt auf das Bild einer Straßenkreuzung (intersection) Bezug, anhand welcher gut veranschaulicht werden kann, wie “sich Machtwege kreuzen, überlagern und überschneiden” und wie verwoben soziale Ungleichheiten sind.
Diskriminierungen stehen in einem komplexen Verhältnis zueinander, es reicht nicht aus nur gegen eine ihrer Formen zu kämpfen – viel eher käme das wohl einer Fahrt in einem Tunnel mit Einbahnregelung gleich. Rassismus ist nur eine Fahrspur in einem Netz verschiedener Formen von Diskriminierung. Nehmen wir ihre Spur auf, folgen ihr bis zur Kreuzung und blicken währendher sowie an der Kreuzung angekommen auch in andere Richtungen – nach oben, nach unten, nach allen Seiten.
Yvonne Rauter