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Ein Berufsleben mit alleine erziehenden Frauen: Die Sozialpädagogin Erni Kutter – Teil 2

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Dieser spannende Beitrag wurde uns freundlicherweise vom Forum für Philosophie und Politik beziehungsweise weiterdenken und von der Autorin Juliane Brumberg zur Verfügung gestellt.

Von Juliane Brumberg

Spirituelle Nahrung mit politischer Komponente

Die Feministische Theologie hatte sie in den 1980er Jahren in den Seminaren der Evangelischen Akademie in Bad Boll erlebt und das in einer kleinen Frauengruppe in München vertieft: „Die historisch-kritische Methode in der Exegese hatte ich ja schon in Stein kennengelernt, aber nun kam der feministische Blick auf die biblischen Texte dazu; das waren für mich Offenbarungen. Der spirituelle Aspekt war mir auch in meiner beruflichen Arbeit von Anfang an ein Anliegen denn ich hatte bemerkt, die alleine erziehenden Frauen brauchten nicht nur praktische Unterstützung, sondern auch spirituelle Nahrung.“ Dazu gehörte sehr bald auch der rituelle Kreistanz, den sie 1984 bei Anastasia Geng in Bad Boll kennengelernt hatte. „Anastasia war sehr wichtig für meinen feministisch-spirituellen Weg, sodass ich das Tanzen bald in meine Seminararbeit einbezog und auch Tanzabende anbot. Da kamen viele Alleinerziehende, aber zunehmend auch andere Frauen.“

Das Tanzen hat für Erni Kutter auch eine politische Komponente. „Die 1980er Jahre waren für mich eine hochpolitische Zeit. Ich engagierte mich bei den Boykottaktionen der ‚Frauen für Südafrika‘ und in der kirchlichen Friedensinitiative München. Die ewigen Demos gingen mir so auf die Nerven, dass ich anfing, nach anderen Aktionsformen zu suchen und das Tanzen entdeckte. Wir haben dann vor den Pershing-Depots in Mutlangen oder vor dem Zaun der geplanten atomaren Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf ‚für das Leben getanzt‘. Wir fühlten uns danach nicht so ausgepowert, wie bei den Demos, sondern stärker als vorher.“

Ritueller Kreistanz für das Leben – hier bei einem Seminar in Heilsbronn.

Daneben war Erni Kutter auch verbandspolitisch aktiv: als Vertreterin der Evangelischen Frauen in der Gleichstellungskommission des Münchner Stadtrats, als Vorsitzende der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft der Alleinerziehenden und in der EAF, der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Familien. „Wir wollten nicht nur Teil- bzw. Restfamilie sein und haben, auch auf Bundesebene, jahrelang für eine Anerkennung als vollgültige Familien gekämpft. Das war für alleine erziehende Frauen sehr wichtig. Auch auf den Kirchentagen haben wir mit dem Slogan ‚Wir sind Familie‘ für unser Anliegen geworben.“ Sie hält kurz inne: „Das braucht man heute gar nicht mehr, da hat sich im öffentlichen Bewusstsein viel verändert.“

Als ich sie nach dem Ende ihrer Berufstätigkeit frage, scheint noch einmal kurz die Enttäuschung auf, die von dem seinerzeitigen Ärger geblieben ist: „2006 wurde unsere Münchner Fachstelle geschlossen, angeblich wegen Sparmaßnahmen. Für mich und meine drei Mitarbeiterinnen war klar, dass es eigentlich um das feministisch- emanzipatorische Konzept unserer Arbeit ging, das nicht mehr erwünscht war. Aber, typisch Kirche, das hat niemand so gesagt.“ Ich war 59 Jahre alt und unkündbar, habe mich jedoch entschlossen, nicht mehr bei der Kirche zu arbeiten, sondern in die Freiberuflichkeit zu gehen.“

Die drei Bethen in Südtirol

Im Nachhinein gesehen ermöglichte das, abgesehen von der mangelnden Wertschätzung, eine ganz neue Weichenstellung. Erni Kutter ist nämlich auch eine Forscherin. „Forscherin ist ein bisserl hochtrabend.“, meint sie bescheiden und blickt noch einmal zurück. „Es war im Jahr 1986, als ich das Schlüsselerlebnis meines Lebens hatte. In einer kleinen Bergkirche in Klerant, oberhalb von Brixen in Südtirol gelegen, begegnete ich den 3 Bethen in ihrer machtvollen Gestalt als Heilige Frauen. Sie sind für mich göttliche Gestalten und gehören für mich zu den großen weiblichen Gottheiten Mitteleuropas. Auf einem Fresko aus dem 15. Jahrhundert im Chorraum der Kirche blickten sie mich an. Ich hatte das Gefühl, diese drei Frauen haben mich gerufen. Sie waren das, was mir in der Feministischen Theologie und auch in der Matriarchatsforschung gefehlt hat. Ich hatte immer nach religiösen Frauentraditionen und weiblichen Identifikationsfiguren unseres Kulturraums gesucht. An diesen drei Frauen wurde für mich erfahrbar, was weibliche Spiritualität ist. In der Folge habe ich angefangen nach Literatur zu suchen und dabei festgestellt, dass es – außer in den sehr patriarchal geprägten Sagen- und Volkskundebüchern Südtirols und Bayerns – fast nichts gab.“

Die drei Bethen in der kleinen Nikolaus-Kirche in Klerant in Südtirol.

Viele Jahre hat sie sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, mit Freundinnen oder ihrer Schwester Marthi Kirchen und andere Verehrungsorte aufgesucht und dabei eine enge Verbindung der drei jungfräulichen Bethen zur Natur beobachtet, zu Quellen, zu Bäumen und auch zu den Jahreszeiten. „Es hatte mich richtig gepackt. Nirgendwo sind die heiligen Frauen so stark und so zahlreich abgebildet, wie in Südtirol“, hat sie inzwischen herausgefunden und, da es ja kaum Literatur gab, 1997 im Kösel Verlag selber ihr erstes Buch ‚Der Kult der drei Jungfrauen. Eine Kraftquelle weiblicher Spiritualität neu entdeckt‘ veröffentlicht. „Meine damaligen Urlaube habe ich fast alle mit Schreiben verbracht.“ 2014, nach vielen Jahren vertiefender Studien und nachdem Südtirolerinnen sie zu weiteren versteckten Plätzen geführt hatten, folgte das Buch Heilige Weibsbilder, in dem Bilder und Texte sich wunderbar ergänzen. Wie gut, dass sie dank des gekündigten Arbeitsverhältnisses mit der Kirche nun freiberuflich tätig war und Zeit dazu hatte.

Erni Kutter

„Ich hatte das Glück, dass sich viele Frauen von den Themen angesprochen fühlten und die Münchner Bildungseinrichtung „Frauenstudien“ immer wieder Vorträge von mir nachgefragt hat“, erläutert sie. „Herzstück meiner Freiberuflichkeit waren Frauenreisen zu Kult- und Kraftorten in Südtirol, die Seminararbeit und das Tanzen. Das hat mich mehr als zehn Jahre lang erfüllt und ernährt. Inhaltlich ging es genau um das, was die Kirche mir angekreidet hatte: Weibliches Begehren.“

An vielen von Erni Kutters Südtirol-Reisen, die sie auch Frauenwallfahrten nannte, habe ich teilgenommen und selber erfahren, was es bedeutet, dieselben Plätze immer wieder aufzusuchen, sie im Zyklus der Jahreszeiten zu erleben und dort Rituale zu gestalten; die heiligen Frauen in den kleinen Kirchen zu ehren und dort zu singen. „Genauso haben wir uns auch im rituellen Kreistanz eingebunden in den großen Kreislauf“, erklärt Erni, „haben uns einbezogen in das zyklische Leben in der Natur. Das ist auch für politisches Handeln ein wichtiges Aspekt.“

Frauenreisen mit Erni Kutter nach Südtirol waren immer besondere Highlights. Fotos: Juliane Brumberg

Erfolg als Autorin

Von zyklischem Denken ist ein weiteres Buch geprägt, für das sie als Autorin verantwortlich zeichnet und darin viel mit dem Symbol der Spirale arbeitet. Es heißt Schwester Tod, das erste Kapitel trägt die Überschrift ‚Ohne Sterben kein Neubeginn‘. Das Buch ist eine Art Leitfaden zu weiblicher Trauerkultur und enthält Anregungen zu Abschiedsritualen, Gedenkbräuchen und Erinnerungsfesten. „Im Gegensatz zu angst- und schuldbesetzten herkömmlichen Gottesbildern, die vor allem älteren Menschen den Abschied schwer machen“, schreibt Erni Kutter in ihrem Vorwort, „gibt es auch in unserem Kulturkreis Überlieferungen, die liebevolle, bergende und schützende Bilder vermitteln und uns einladen, uns im Leben und im Tod zärtlichen weiblichen Händen anzuvertrauen“. Als Letztes erschien 2016 Jahre, die uns geschenkt sind. Dieses Buch hat den Untertitel ‚Eine Spiritualität des Älterwerdens für Frauen‘ und versucht aufzuzeigen, wie Frauen trotz nachlassender Kräfte durchaus wirksam in der Welt sein können. Auch hier der Bezug zum politischen Handeln und die aktive Sorge um unsere Erde, die sich durch Ernis ganzes Leben zieht.

Im Rückblick meint sie: „Ich habe anfangs überwiegend die kirchliche Frauenbewegung erlebt – und die war etwas Innovatives, was mich und andere Frauen sehr inspiriert hat. Dann waren es neben zahlreichen autonomen Frauenaktivitäten vor allem die Münchner ‚Frauenstudien‘, die mir feministische Impulse gaben. Heute bekomme ich von der Frauenbewegung wenig mit. Es gibt jetzt ja viele feministische Strömungen und die entscheidenden Veränderungsprozesse unserer Zeit gehen weiterhin meistens von Frauen aus. Damit sie Bestand haben und wirklich politisch wirksam werden, braucht es das Zusammenwirken von Allen, Männern und Frauen Jungen und Alten – bei den Herausforderungen, die auf unsere Erde zukommen. Bei Fridays for Future habe ich den Eindruck, dass das Geschlecht keine Rolle spielt, wenngleich die Initialzündung auch hier von einer Frau ausging. Da ist eine neue Generation, die gemeinsam etwas bewirken will. Das hätte ich vor zwanzig Jahren nicht so sagen können. Insofern hat sich zumindest im Blick auf unsere Verantwortung für zukünftige Generationen doch einiges zum Positiven verändert.“

Zum Weiterlesen:

Erni Kutter: Der Kult der drei Jungfrauen, Eine Kraftquelle weiblicher Spiritualität neu entdeckt, Kösel Verlag München 1997, 334 Seiten.

Erni Kutter: Schwester Tod. Weibliche Trauerkultur, Abschiedsrituale, Gedenkbräuche, Erinnerungsfeste. Kösel Verlag München 2010, 208 Seiten.

Erni Kutter: Heilige WeibsBilder – gelehrt, eigenwillig, streitbar. Fotos von Ida Prinoth. Edition Raetia Bozen, 2015, 205 Seiten.

Erni Kutter: Jahre, die uns geschenkt sind, Eine Spiritualität des Älterwerdens für Frauen, Patmosverlag Ostfildern 2016, 144 Seiten.

 

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