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Solveig Freericks Pichler – Münchnerin, Meranerin, Kosmopolitin

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Solveig Freericks Pichler (1939-2019), die freischaffende Künstlerin und Erzieherin hat Meran mitgestaltet und geprägt. Ihr ist demnächst die Gastvitrine im Frauenmuseum gewidmet, die mit Grafiken, Collagen, Graffiti und Pappmachè ihre kreative Arbeit und ihr Leben feiert. Die Eröffnung findet am Dienstag, 4. April um 19:00 Uhr statt.

Aus diesem Anlass dürfen wir heute den Text MÜNCHNERIN MERANERIN KOSMOPOLITIN von Martha Verdorfer hier veröffentlichen, der im Buch Meranerinnen | Donne di Merano, herausgegeben von Toni Colleselli und Sonja Steger im Alphabeta Verlag, erschienen ist.

 

Meine erste Wahrnehmung von Solveig war das Städtische an ihr. Als Oberschülerin habe ich sie kennengelernt, die Ehefrau meines verehrten Zeichenlehrers an der Mittelschule Lana, Franz Pichler. Solveig war laut, groß und selbstbewusst, auffallend gekleidet – sie hat mich zunächst einmal eher eingeschüchtert.

Das Städtische an ihr war aber vor allem ihr ausgeprägter Bürgerinnensinn – im besten Sinn des Wortes. Sie war eine aktive und engagierte Bewohnerin der Polis, der menschlichen Gemeinschaft in ihren verschiedenen Zusammenschlüssen. Sich in Beziehung zu setzen mit anderen, zu reden und zu diskutieren, Situationen gemeinsam zu analysieren, Veränderungen zu planen, sich einzusetzen für eine buntere, vielfältigere und friedliche Welt, das waren die Antriebskräfte im Leben von Solveig.

Geboren am 19. Dezember 1939 in München, ein Kriegskind, die dritte von insgesamt fünf Töchtern, aufgewachsen in einer bürgerlichen und kunstaffinen Familie, der Vater führte einen Grafikbetrieb, die Mutter kümmerte sich um die Familie. Von 1957 bis 1959 besuchte Solveig die Fachakademie für Gebrauchsgrafik in München und arbeitete im väterlichen Betrieb mit. 1960 begann sie eine Ausbildung zur Erzieherin in München, die sie 1963 abschloss.

Kunst und Kinder, wahrscheinlich eher in der umgekehrten Reihenfolge, waren in der Folge tragende Konstanten im Leben von Solveig. Bei einem Kurs zum Aktzeichnen an der Münchner Akademie, bei dem sie sich „eingeschlichen“ hatte, lernte sie Franz kennen, den um wenige Monate älteren Studenten aus Südtirol. Sie heirateten im April 1965. In den folgenden beiden Jahren kamen die Kinder Nikolaus und Katia zur Welt und im Jahr 1968 zog die Familie von München nach Meran. Im gleichen Jahr wurde Tochter Zita geboren und vier Jahre später Sohn David.

Franz begann seinen Brotberuf als Zeichenlehrer an der Mittelschule und Solveig wurde in Meran schnell zu einer bekannten, beliebten und geschätzten Figur in der alternativen Szene.

1979 sollte in Meran auf Initiative einer deutsch- und einer italienischsprachigen Oberschule ein Schüler*innen-austausch stattfinden. Er wurde von den Schulpolitikern gleich gestoppt. Solveig begann zu dieser Zeit im italienischen Kindergarten in der Galileistraße mit ihrem spielerischen Deutschunterricht. Auch dieser wurde von Amts wegen untersagt, wurde aber auf freiwilliger Basis außerhalb der Kindergartenzeiten weitergeführt. In diesen Jahren des „Je klarer wir uns trennen, desto besser verstehen wir uns“, baute Solveig außerdem in den Meraner Lauben im Sitz von Radio Alpha ein Freizeitangebot auf, zu dem dezidiert deutsch- und italienischsprachige Kinder eingeladen waren, jeden Nachmittag von 15 bis 17.30 Uhr.

Solveig warb dafür Mitarbeiterinnen und das war für mich die Gelegenheit sie besser kennen zu lernen. Ich habe als Oberschülerin an diesem Projekt mitgearbeitet und dabei verschiedene handwerklich-kreative Tätigkeitsfelder kennengelernt und ausprobieren dürfen. Solveig realisierte noch viele weitere Projekte, in denen sie ihre Liebe zu Kindern und zur Kunst auf kongeniale Weise verband. Sie konzipierte Kinderspielplätze aus Recyclingmaterial, lange bevor upcycling „in“ wurde. Das Kreative, Bunte, Unkonventionelle und Nachhaltige gehörten zum Wesen von Solveig. Sie spielte Theater mit Kindern und bastelte mit ihnen die originellsten und schönsten Masken aus Pappmaché – sie sprudelte über vor Ideen und Tatendrang. Ihre eigenen Kunstwerke waren grellbunte Collagen, auch Möbel und Kleider wurden so gestaltet, als Mosaike aus zerschnittenen bunten Plastiktaschen und anderem Verpackungsmaterial – politisches, ökologisches und künstlerisches Statement zugleich.

Das Engagement von Solveig reichte über die Stadt Meran hinaus. Sie gehörte zu den Mitbegründer*innen und tragenden Säulen des Südtiroler Kulturzentrums, das 1975 gegründet wurde, 1979 mit der Monopolbesetzung einen Höhepunkt erlebte, und bis in die 1980er Jahre hinein mit verschiedensten Kunst- und Kulturinitiativen die kulturelle Landschaft Südtirols bereicherte.

Solveig war – es wurde bereits erwähnt – ein Beziehungsmensch; die Familie und Freundschaften gingen ihr über alles. Dabei war sie nie exklusiv: Ihre Arme und ihr Herz waren immer offen für die Aufnahme von Menschen in den Kreis derer, die sie liebte und um die sie sich sorgte.

Die Städterin aus Leidenschaft hatte gleichzeitig eine sehr intensive Beziehung mit der Natur. Sie hielt sich gerne im Freien auf, wanderte, liebte das Schwimmen in der Passer und anderen Flüssen und in Seen, verteidigte Bäume, versenkte sich in die Betrachtung von Pflanzen oder Wolkenbildern. Solveig konnte gerade in der Natur auch sehr gut allein sein und meditative Haltungen einnehmen.

Neugierig und von einer gewissen Unruhe getrieben – auch das gehörte zu Solveig. Immer wieder musste sie aufbrechen zu Reisen, mit Franz, den Kindern, Freundinnen und Freunden. Unterwegs zu sein bedeutete für Solveig, Neues sehen und verstehen zu wollen, sich herauszufordern in der eigenen Wahrnehmung, aber auch ihre Werte hinauszutragen in die Welt.

Das Schöne, das Gute, das Gerechte, das Lebendige, die Liebe – das waren für sie die universal geltenden Werte und für sie trat sie ein, wo immer und mit wem immer sie sich befand.

Dem Steinachviertel gehörte ihre besondere Liebe. Als Mitglied des Stadtviertelrates und jahrelang auch dessen Präsidentin engagierte sie sich für die Bedürfnisse der dort lebenden Menschen, insbesondere der Kinder und Jugendlichen. Solveig gehörte auch zu jenen Freiwilligen, die sich um die Flüchtlinge kümmerten, die in Meran in der Nähe des Bahnhofs untergebracht waren. Jeden Dienstag ging sie dorthin.

Auch das muss gesagt werden: Mit Solveig war nicht immer leicht auszukommen. Sie konnte sehr impulsiv und emotional sein, streitbar und hartnäckig bis zur Sturheit – da flogen auch manchmal die Funken. Nachtragend war sie nicht.

In den letzten Jahren ist Solveig leiser geworden, sanfter und auch ein bisschen müde. Ein Leben in dieser Offenheit, mit diesem Engagement, mit dieser Fürsorge für andere, kostet Kraft und Energie. Solveig hatte sehr viel davon, aber nicht unendlich viel.

Von 2005 bis 2015 intervenierte Solveig mit einem Kunstprojekt im öffentlichen Raum. Sie fertigte insgesamt fünf Schablonen an, die ersten beiden mit dem Logo für Todesgefahr und den Konterfeis von George W. Bush und Silvio Berlusconi, die anderen drei mit Motiven gegen die Ausbeutung und Zerstörung der Umwelt (Apfelmonokultur, Fischfang und Verstrahlung). Es waren fein ausgearbeitete Motive, die dann an Hauswände und Straßenmauern gesprüht wurden. Einige sieht man heute noch: die Apfelbäume in der engen namenlosen Gasse von der Winterpromenade zum Steinachplatz und das Verstrahlungsmotiv am Sandplatz. Solveig hat der Stadt Meran ihren Stempel aufgedrückt – nachhaltig und sichtbar.

Martha Verdorfer, Historikerin, Lehrerin

Aus: Meranerinnen | Donne di Merano, Toni Colleselli, Sonja Steger (hg.), 2022 by Edizioni alphabeta Verlag.

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