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Feministischer Fortschritt oder frauenfeindliche Objektifizierung?

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Ein vertiefender Artikel zu einem Thema, das in unserem Land mehr denn je komplex und aktuell ist. Verfasst und recherchiert von Nina Kirchler im Rahmen ihres Studienganges „Europäische Ethnologie“.

Mit dem Thema „Leihmutterschaft“ sind viele ethische Fragen verbunden: Wird die Leihmutter objektifiziert? Wird diese für das Kind bezahlt und handelt es sich somit um Menschenhandel? Wird die prekäre Situation von Frauen ausgenutzt?

Die Regierung Meloni hat klare Antworten. So spricht die Familienministerin Eugenia Roccella von einem Markt für Kinder (vgl. Online unter: Maternità surrogata e famiglie, il battibecco in diretta tra la ministra Roccella e Lucia Annunziata – YouTube Stand 11.07.23). Weiteres liest man auf der Webseite von Giovanni Donzelli von einer inhumanen Praxis (vgl. online unter: L’utero in affitto sia reato universale (giovannidonzelli.it) Stand: 11.07.23). Auch Meloni selbst findet, dass die Gebärmutter nicht vermietet werden und Elternschaft nicht käuflich sein sollte. (vgl. online unter: Maternità surrogata, Meloni definitiva: „Gli uteri non si affittano“ – Il Tempo Stand 11.07.23). Zu dem Aufflammen der Diskussion ist es aufgrund eines Gesetzesentwurfes gekommen. In Italien ist Leihmutterschaft illegal. Dies bringt mit sich, dass viele Paare eine Leihmutter im Ausland arrangieren. Nun soll auch das verboten werden. Doch was ist dran, an dem negativen Image der Leihmutterschaft? Ist es ein feministischer Fort- oder Rückschritt?

Zu Beginn die Basics

Es gibt verschiedene Arten der Leihmutterschaft. Zuerst unterscheidet man kommerzielle Leihmutterschaft (gegen Bezahlung) und altruistische Leihmutterschaft. Des Weiteren kann man von traditioneller oder austragender Leihmutterschaft sprechen. Bei Ersterem ist die Leihmutter auch die genetische Mutter, beim Zweiten findet eine In-vitro-Fertilisation mit der Eizelle der Wunschmutter (oder Spender*in) und dem Sperma des Wunschvaters (oder Spender*in) statt. Der daraus resultierende Embryo wird dann in die Gebärmutter der Leihmutter eingepflanzt. Somit ist die Leihmutter genetisch nicht mit dem Kind, das sie austrägt, verwandt.

Die kommerzielle, austragende Leihmutterschaft

Wir konzentrieren uns auf diese Art der Leihmutterschaft und orientieren uns an dem Buch „Leihmutterschaft und Familie. Impulse aus Recht, Theologie und Medizin“ von Edward Schramm und Michael Wermke (Hg.).

Die Würde des Kindes

Bei der kommerziellen Leihmutterschaft befürchten viele, dass die Würde des Kindes in Gefahr ist, da es „gekauft“ wird, es wird zu einer Ware gemacht. Nun gibt es aber Stimmen die behaupten, die Wunscheltern würden nicht für das Kind selbst bezahlen, sondern für den Aufwand des Austragens. Aber auch in diesem Fall wird das Sorgerecht erkauft. Man sieht, auch bei dieser Frage scheiden sich die Geister.

Die Würde und Zustimmung der Leihmutter

Hier ist die Frage: Wird die Leihmutter instrumentalisiert, da ihr Körper für fremde Zwecke verwendet wird? Würde dann aber nicht jede*r Angestellte instrumentalisiert werden? Ein*e Maurer*in baut das Haus ja auch nicht für sich selbst. Andererseits, kann man Leihmutterschaft, aufgrund der emotionalen Komponente, mit anderen Berufen vergleichen?

Die Würde an sich wird aber nicht verletzt, solange die austragende Person eine qualifizierte Zustimmung gibt und über jeden medizinischen Eingriff selbst bestimmen darf. Qualifizierte Zustimmung ist dann gegeben, wenn die Frau über die Behandlung und Risiken aufgeklärt wurde. Zudem muss die Frau überhaupt fähig sein ihre Zustimmung zu geben. Zum besseren Verständnis ein Beispiel: Viele Frauen in Indien verstehen kein Englisch oder können nicht lesen. Nun sind die Verträge aber schriftlich und häufig in Englisch. Will nun eine Frau, die kein Englisch spricht, Leihmutter werden muss sie einen Vertrag unterzeichnen den sie nicht versteht, sie muss sich ganz auf die Auskunft der Agentur verlassen. Ist das der Fall kann man nicht von qualifizierter Zustimmung sprechen.

Kann man nun in einer wirtschaftlich schwierigen Lage überhaupt eine qualifizierte Zustimmung geben? Ist das dann noch eine freie Entscheidung? Die Antwort ist ja. Wenn eine Person schwerkrank ist und nur noch drei Monate zu leben hat, aber eine sehr riskante Operation sie heilen würde, kann diese Person frei entscheiden. Die qualifizierte Zustimmung ist nur dann nicht gegeben, wenn die Entscheidungsmöglichkeiten durch (böser Absicht folgender) Handlungen Anderer eingeschränkt werden.

Wird die Leihmutter objektifiziert bzw. ausgebeutet?

Hier kann man keine allgemeingültige Antwort geben. Es hängt davon ab wie die Beziehung zu den Wunscheltern aussieht, Arbeitsbedingungen uvm.

Zusammenfassend:

Wir sehen, es gibt keine eindeutige Antwort, es ist situationsbedingt. Was man bedenken sollte ist, dass vor allem Frauen in Entwicklungsländern oft ausgenutzt werden, aufgrund der Arbeitsbedingungen und ihrer (manchmal) nicht vorhandenen Sprachkenntnisse. Um dem entgegenzuwirken wäre es ethisch gesehen vielleicht besser Leihmutterschaft in Italien zu erlauben. Nichtsdestotrotz sind wir hier noch gar nicht auf die emotionalen Aspekte für alle Beteiligten eingegangen, die für ein abschließendes Urteil sicher nicht fehlen dürfen.

Empfehlung

Für weiteren Input schaut euch gerne das Buch „Leihmutterschaft und Familie. Impulse aus Recht, Theologie und Medizin.“ an.

Nina Kirchler

 

verwendete Literatur:
Vgl. Schramm, Edward/Wermke, Michael (Hg.): Leihmutterschaft und Familie. Impulse aus Recht, Theologie und Medizin. Berlin/Heidelberg 2018. 235-262.

 

 

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