Heute möchten wir euch die ehemalige Sozialpädagogin Erni Kutter vorstellen. Die heutige Autorin lebt in Freising und hat sich dreißig Jahre lang mit Frauengeschichte, Kulturanthropologie, Mythologie und spirituellen Frauentraditionen beschäftigt. Seit 25 Jahren bietet sie zudem Frauenreisen auf den Spuren heiliger Frauen in den Kirchen Südtirols an.
Erni, Du kommst aus Franken in Bayern und bist eine große Südtirolkennerin bezogen auf spirituelle Frauentraditionen und Frauengeschichte allgemein. Wie bist Du überhaupt zu uns gekommen und was hat dich so fest gehalten in Südtirol, gibt es doch auch bei dir viele Orte des Erkundens..
Vor 35 Jahren hat mir eine Freundin aus ihrem Urlaub eine Postkarte mit dem Bild der drei Bethen von Klerant geschickt. Ich wusste damals so gut wie nichts über diese drei heiligen Frauen. Aber dieses Fresko und seine Symbolik haben mich sofort sehr angesprochen: Goldene Kugeln in den Händen. Kronen auf dem Kopf, dazu diese machtvolle Haltung und Ausstrahlung! Das hat mich total fasziniert und neugierig gemacht. Und damit begann eine lange spannende Entdeckungsreise mit vielen überraschenden Erfahrungen.
Dein Schwerpunkt sind die sogenannten „Heiligen Weiber“. Es hat vor allem mit dem Kult der Bethen begonnen. Welche Orte hast du denn da aufgesucht und wie wurden dir die Türen aufgemacht?
Bei meiner ersten und vielen weiteren Bethen-Reisen quartierte ich mich bei Marianna Stockner, der damaligen Mesnerin von Klerant ein. Sie freute sich sehr über mein großes Interesse an den drei Jungfrauen in „ihrer“ Kirche und erzählte mir nicht nur manches über deren einstige Verehrung, sondern auch viel über „Land und Leute“ und ihr eigenes entbehrungsreiches Leben. Auf ihren Rat hin pilgerte ich dann zu dem mit wunderbaren Fresken ausgemalten Johanneskirchlein von Karnol (bei St. Andrä). Zu meinem Erstaunen traf ich die drei Bethen dort inmitten der Gesellschaft der Heiligen Ursula und ihrer elftausend Jungfrauen an. Außerdem auch noch die Margarethe, Katharina und Barbara, die ich immerhin schon kannte, weil sie ja auch in Bayern hoch verehrt wurden. Wie eng diese „drei heiligen Madeln“ mit den Bethen verwandt sind, stellte ich bald auch in Meransen fest, wo sie Seite an Seite mit Aubet, Cubet und Quere auf dem Jungfrauenaltar stehen.
Ich habe dann Jahr für Jahr meine Urlaube auf den Spuren der drei Bethen verbracht und nahezu alle ihre Kultorte in Südtirol, Österreich, Bayern und in anderen deutschen Gegenden erkundet. Zu meiner großen Überraschung entdeckte ich sie unter den Namen Gewera, Wiedakumma und Winterbring sogar in der Nähe meines fränkischen Heimatortes.
Dank meiner Bekanntschaft mit einer Lektorin des Kösel Verlags bekam ich schließlich den Auftrag, ein Buch über meine Entdeckungen zu schreiben. Es erschien 1996 unter dem Titel: Der Kult der drei Jungfrauen. Eine Kraftquelle weiblicher Spiritualität neu entdeckt.
Deinem ersten Buch folgte dann auch noch ein weiteres 2014, wo du sehr umfassend und mit einem ausführlichen Quellenverweis auf die mythologischen Hintergründe weiblicher „Heiligen“verehrung schreibst. Wie bist du zu diesen Informationen gekommen?
Schon bei den Recherchen zu meinem ersten Buch wurde mir schnell klar, dass es sich bei den drei Bethen und auch vielen anderen heiligen WeibsBildern nicht um historisch nachweisbare Personen, sondern mythische Gestalten handelt, die ihre Wurzeln in vorchristlicher Zeit und in mythologischen Überlieferungen haben. Zu dieser Erkenntnis verhalf mir meine jahrelange Beschäftigung sowohl mit feministischer Theologie und Matriarchatsforschung wie auch mit Sagen, Märchen und Mythen unterschiedlicher Kulturen. Zugute kam mir auch, dass meine Freundin Friederike Winsauer meine Begeisterung teilte und mit ihrem volkskundlichen Hintergrundwissen und vielen Literaturhinweisen unterstützte.
Du gehst vor allem von den Symbolen und Bildern aus, die ja viel aussagen, denn das war in früherer Zeit wie geschriebenes Wort. Diese Deutungen erfordern viel Erfahrung und einlesen. Du hast genauso auch auf die Plätze und Orte hingewiesen, wo Kapellen und Kirchen gebaut wurden.
An den überwiegend aus der Spätgotik stammenden Darstellungen heiliger Frauen in Südtiroler Dorfkirchen fiel mir von Anfang an die meist sehr aussagestarke Symbolik ihrer Attribute auf, z.B. die goldenen Kugeln, der Drache, der Kelch oder der Spinnrocken. Dabei half mir, dass ich bei meinen Frauenseminaren und beim rituellen Kreistanz oft mit Märchen, Mythen, Symbolen und Bildern arbeitete. Dazu kam, dass ich als Protestantin mit den meisten Heiligenlegenden nicht viel anfangen konnte. Sie waren mir einfach zu stereotyp und auffallend im Interesse der römischen Kirche verformt.
Und natürlich habe ich, wenn möglich, immer auch die örtliche Umgebung der Kirchen und Kapellen berücksichtigt, weil sie nicht zuletzt durch die Ortssagen oft wichtige Hinweise auf die Entstehung eines Kults geben, so z.B. in den Quellheiligtümern Dreikirchen oder Heilige Drei Brunnen in Trafoi.
Für uns ist die Art der Neu-betrachtung deshalb so wichtig, da du einen völlig anderen Perspektivenwechsel eingeführt hast. Was früher von Kirchenhistorikern und Archäologen erklärt und vielfach auch biblisch noch untermauert wurde, war mit deinem Ansatz ein Lichtblick, die Dinge auch anders zu sehen. Du hast aber auch männliche Freund gewonnen, die deinen Blick schätzen, aber auch Kritik bekommen, da ja auch einiges in Frage gestellt wurde.
Weil ich mit einem „anderen Blick“ auf die mythischen Frauen und ihre Symbole geschaut habe, hat sich mir wie von selbst „enthüllt“ und erschlossen, wie viel weibliche Stärke und Vollmacht sie verkörpern. Das hat manchen Männern in der Tat nicht gefallen. Aber ich habe auch sehr aufgeschlossene Männer getroffen; einmal sogar jemanden, der mit meinem ersten Buch in der Hand in einer Kirche saß. Selbst manche Priester haben sich sehr für meine Sichtweise interessiert.
Was uns fasziniert, dass du nicht nur Frauen aus Südtirol, sondern aus dem gesamten deutschen Raum über die Grenzen nach Südtirol zu Exkursionen eingeladen hast, ja sogar Aufenthalte von einer Woche, die übervoll gebucht waren. Worauf ist diese Begeisterung für diese „alte“ Geschichte, die Frauen darstellt, zurück zu führen?
Ja, ich habe seit 1989 jährlich mit großen Frauengruppen die Südtiroler Kultorte der drei Bethen und anderer HeiligInnen besucht. Viele waren jedes Jahr dabei; es kamen aber auch ständig Neue dazu. Diese große Resonanz hatte nach eigener Aussage der Frauen damit zu tun, dass sie in den Heiliginnen oftmals stärkende, Wegbegleiterinnen oder sogar Vor-Bilder und Identifikationsgestalten entdeckten. Wichtig war jedoch auch, dass wir in unseren Ritualen, beim Wandern und Singen eine naturverbundene, lustvolle und stärkende Spiritualität erlebten und pflegten.
Was hat dich an dieser Arbeit gestärkt und wie erfährst du dein Frausein?
Die heiligen Frauen, die wir besuchten und ehrten haben mich immer auch selber in meiner Weiblichkeit unterstützt und inspiriert. Viele von ihnen sind mir bis heute wichtige Impulsgeberinnen, Weggefährtinnen und Vor-Bilder. Ihre Gestalten entfalten selbst als Bilder bzw. Fotografien noch eine so lebendige Energie und Schönheit, dass sie in den Wohnungen vieler Frauen und auch bei mir selber hängen.
Gib uns doch ein Vorbild aus deiner Recherche oder auch nur ein Zitat, das dir wichtig ist.
„Und sie trieben Kurzweil auf dem Meer drei Jahre lang“. Dieses auf Ursula und ihre Reisebegleiterinnen bezogene Zitat aus einer der vielen Legenden wurde zum geflügelten Wort bei meinen Frauengruppen. Auch die Heilige mit dem Pfeil in der Hand entwickelte sich neben den drei Bethen von Anfang an zu einer der beliebtesten Heiliginnen. Als Anführerin und Freundin einer großen Schar von Jungfrauen hat sie uns immer von Neuem zu vergnüglicher „Kurzweil“ angeregt und , zugleich ermutigt, zu unserem weiblichen Begehren, unseren Bedürfnissen, Führungsqualitäten und Talenten zu stehen und
Nachdem du derzeit nicht mehr Seminare halten kannst, was wünschst du dir von den Frauen, die du kennen gelernt hast?
Am meisten wünsche ich mir, dass auch in Zukunft viele Frauen die spirituelle Energie und Wirkkraft von starken Heiliginnen und inspirierenden Sagengestalten für sich entdecken, sie ehren und miteinander teilen.
Interview: Sissi Prader