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„Ich bin Ärztin mit Leib und Seele“

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Frau des Monats März: Elisa Reiterer

Mit 15 Jahren ist ihre Begeisterung für humanitäre Projekte entflammt und seitdem nicht mehr erloschen. Als Ärztin hat Elisa Reiterer in verschiedenen Krisengebieten Unterstützung geleistet: Sie war in Uganda, Ghana und Gabun, im Flüchtlingslager bei Thessaloniki und in Lwiw in der Ukraine. Im Interview berichtet sie von ihren Erfahrungen, von der Wut, die sie dabei verspürt, aber auch von der Dankbarkeit und Demut bis hin zu ihrer Suche nach dem Adrenalinkick.

Wie würdest du dich beschreiben?

Als etwas groß geratene, neugierige, lebensbejahende Meranerin mit einer großen Liebe zu den Bergen, einem Interesse für die Geschehnisse in der Welt, einem Hunger nach Neuem und einem vielleicht manchmal etwas ungesunden Wunsch nach Adrenalin.

Wolltest du immer schon Medizin studieren?

Anfangs schon, aber als Tochter zweier Ärzte habe ich dann schnell beschlossen: ich mache das nie! Meine Karriereambitionen fanden sich zuerst vor allem im Kreativbereich (insbesondere im Theater), bevor ich über Umwege wieder zur Medizin zurückgekommen bin. Der arabische Frühling und der daraus resultierende syrische Bürgerkrieg haben mir wieder mein Interesse an der Konfliktarbeit vor Augen geführt. Zuerst habe ich mit dem Gedanken gespielt, besser in Fotografie zu werden und als Konfliktfotografin zu arbeiten, habe dann jedoch eingesehen, dass man mit Medizin am meisten sinnvolle Arbeit in den Krisengebieten dieser Welt leisten kann.

Wie bist du dazu gekommen, dich an humanitären Projekten zu beteiligen?

Als ich 15 war, haben Bekannte von mir ein Benefizkonzert für ein rumänisches Waisenheim organisiert, das war mein erster richtiger Kontakt mit dieser Art von Arbeit. Ich war immer schon ein sehr altruistisches Wesen, und habe gemerkt, dass ich in diesem Ambiente aufgehe. Der humanitäre Gedanke war das, was mich primär wieder in die Medizin zurückgebracht hat, und ich habe ihn eigentlich von vornherein verfolgt – auch als Selbstschutz: besser, gleich zu wissen, ob einem der eigene Traum überhaupt gefällt, wenn man ihn dann wahr macht.

Wo konntest du Freiwilligenarbeit leisten?

Nach dem Benefizkonzert habe ich als Jugendliche eine Kollekte von Medikamenten zur Unterstützung einer Cholera-Epidemie in Simbabwe unternommen, während dem Studium habe ich die Direktion der Universitätsklinik Innsbruck davon überzeugen können, einen 2jährigen Jungen aus Uganda pro bono einer lebensrettenden Herz-OP zu unterziehen. Als Studentin bin ich nach Uganda und Ghana gegangen, um im Praktikum zu lernen, und habe meine Diplomforschungszeit in Gabun verbracht. Als Ärztin bin ich dann zuerst nach Thessaloniki in das Flüchtlingslager Diavata, und im April 2023 nach Lwiw in die Ukraine.

Erzählst du uns von deinem Aufenthalt im Flüchtlingslager in Griechenland?

Ich war mit der deutschen Organisation Medical Volunteers International vor Ort, knapp 4 Wochen im Oktober und November 2021. Wir haben einerseits das Lager Diavata betreut, als auch unsere kleine ambulante Anlaufstelle Filia in einem etwas zwielichtigen Teil von Thessaloniki. Dort, zwischen halblegalen Bordellen, einer vielbefahrenen Straße und einem verlassenen Zugwrack, das vielen unserer Patient:innen als Unterschlupf diente, versorgten wir in einem alten Lagerhaus jene „auf Durchreise“ oder ohne Zugang zum griechischen Gesundheitssystem. Es gab auch Flüchtlinge mit aufrechtem Asylstatus, die in der Stadt wohnten, aber weiterhin lieber zu uns kamen, als ins Krankenhaus, da wir immer Übersetzer vor Ort hatten. Im Flüchtlingslager waren immer 2 Ärzt:innen unseres Teams vor Ort, jeden Tag wurden die Patient:innen anhand einer Liste im Camp besucht, wir gingen mit dem Notfallrucksack von Container zu Container. Falls jemand akut was brauchte, wurden wir einfach aufgehalten und zweigten kurz von der Route ab. Wir versorgten vor Ort, was ging, dringende Sachen schickten wir ins Krankenhaus. Wenn jemand keine Dokumente hatte, was vor allem in Filia vorkommen konnte, begleiteten wir die Patient:innen, um sicherzustellen, dass sie versorgt wurden. Unser Patient:innengut war zwischen 6 Tage und 98 Jahre alt und enthielt alles von chronisch Kranken, Tumorpatient:innen, Unfällen, psychischen Erkrankungen bis hin zu Kinderkrankheiten, aber auch viele bis auf die Knochen wundgelaufene Füße und Verletzungen nach Übergriffen durch die griechische oder nordmazedonische Grenzpolizei oder Frontex.

Wie können wir uns das Leben im Flüchtlingslager vorstellen?

Auf einer Fläche von ca. 3 Fußballfeldern stehen mehrere hundert Container, von denen einer bis zu 8 Personen (exkl. Kleinkinder) aufnehmen kann. Die Belegung fluktuiert je nach Jahreszeit und Fluchtbewegungen. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Afghanistan, Kurdistan, Syrien, mit einer Minderheit aus dem afrikanischen Kontinent.

Es gibt eine vom griechischen Staat gestellte Ärztin, die jedoch kaum Mittel zur Verfügung gestellt bekommt, weshalb die medizinische Versorgung vor allem den NGOs zufällt.

Um das Camp läuft eine 3 Meter hohe Betonmauer mit Stacheldraht obenauf, und mit polizeibewachten Toren, die in der Nacht geschlossen werden.

Im Camp gibt es Sportflächen, die vor allem von den Jungs und Männern genutzt werden. Ansonsten gibt es keine Beschäftigungsmöglichkeiten. Für die Mädchen und Frauen im Camp hat die italienische NGO Quick Response Team direkt neben dem Camp mit der Casa Base einen sicheren Ort geschaffen, wo lesen und schreiben gelernt werden können, Griechisch-, Deutsch- und Englischkurse gegeben werden, aber auch Schmink- und Zumbakurse, Yoga und Kunst. Und eben die Fotografieschule, aus der die ausgestellten Fotos stammen. Die schulpflichtigen Kinder besuchen die Schule vor Ort, problematisch wird es für all jene, die nicht mehr in diesem Alter sind. Langeweile und die damit einhergehende Depression sowie das Fehlen jeglicher Privatsphäre schaffen sehr schwierige Lebensumstände.

Was konntest du von diesen Erfahrungen mitnehmen?

Bescheidenheit. Man wird täglich damit konfrontiert, was ein menschlicher Körper und Geist erdulden können. Die Resilienz der Menschen verlangt mir sehr viel Respekt ab. Sprachbarrieren, die in der medizinischen Tätigkeit oft beklagt werden (zurecht), relativieren sich, weil sie zur Normalität werden. Man lernt sich zu arrangieren, erlernt andere Möglichkeiten der Kommunikation und wird kreativ. Und generell habe ich mir einiges an Zorn auf die europäische Gesellschaft und ihren Umgang mit diesen abgestellten und vergessenen Menschen mitgenommen.

Wo findest du deine Motivation?

In der Leidenschaft. Ungerechtigkeit und Ungleichheit haben mich schon als Kind aufgeregt, und die Möglichkeit, etwas zurückgeben zu können, ist wertvoll. Ein bisschen ist es sicher auch der Adrenalinkick, sich in etwas Unbekanntes zu begeben – neue Kulturen, neue Sprachen, neue Umstände; das trifft sicher vor allem aber auf Konflikteinsätze zu, hier fasziniert mich auch der taktische Aspekt. Die medizinische Herausforderung des Arbeitens mit reduzierten Mitteln finde ich ebenfalls sehr spannend, man ist gezwungen, ein bisschen kreativ zu werden. Vor allem aber bin ich Ärztin mit Leib und Seele, und die Art und Weise, wie ich dort meine Arbeit tun kann, macht zwar traurig und wütend, aber sie ist vor allem wunderschön, und die Resonanz ist einzigartig.

Und deinen Ausgleich?

Meinen Ausgleich finde ich vor allem in den Bergen und bei meinem Partner. Er ist auch Arzt, mit jedoch völlig anderen Karriereambitionen. Meine Arbeit hier ist jedoch der beste Ausgleich – sie ist natürlich anders, aber nicht minder schön und nicht minder spannend.

Wo wird dich dein Weg als nächstes hinführen?

Als nächstes werde ich vielleicht ein Abenteuer nur für mich unternehmen. Wenn man im humanitären Setting tätig ist, kommt irgendwann eine Art Verpflichtung dazu, die eigene freie Zeit immer wieder für Einsätze aufzuwenden. Man muss aufpassen, dass man dabei nicht selbst zu kurz kommt, weshalb ich mich nun selbst dazu zwingen werde, mal etwas nur für mich zu tun.

Generell würde ich in der Zukunft sehr gerne nach Afghanistan gehen, das Land und die Menschen faszinieren mich. Oder wo auch immer gerade Not am Mann ist – ich bin da flexibel.

 

Noch bis 9. März zeigt das Frauenmuseum die Ausstellung „Sie nahmen uns die Stimme. Also erzählen wir unsere Geschichte durch Bilder“.

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