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„Kunst muss in seinen unzähligen Varianten erlebbar, spürbar, ertastbar werden“

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Unsere Frau des Monats November, Patrizia Trafoier, hat über Umwege zur Kunst gefunden und ist heute freie Künstlerin, Kunsttherapeutin und Theaterpädagogin. Im Interview erzählt sie, wie sie Menschen in Krisensituationen unterstützt und warum sie sich wünscht, dass die Auseinandersetzung mit Kunst alltäglicher und für alle zugänglich wird.

Stellst du dich uns kurz vor?

Ich heiße Patrizia Trafoier und bin 43 Jahre alt. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder im frühen Teenageralter. Ich lebe und arbeite in Meran.

Wie hast du zur Kunst gefunden?

Als junge Erwachsene erlebte ich eine Zeit der Überforderung. Ich war ruhelos. Schließlich machten sich erste körperliche Beschwerden bemerkbar, die mich regelmäßig zur Rast zwangen.

In dieser Zeit schenkte mir mein späterer Ehemann eine Schachtel Aquarellfarben. Von diesem Zeitpunkt an, räumte ich dem kreativen Schaffen immer mehr Raum ein.

Meine Tendenz zum Rastlosen blieb vorerst zwar erhalten, doch hatte sich das Tätigkeitsfeld geändert. Waren es zuvor Sprachkurse, der Fernlehrgang in Wirtschaft und Marketing einer britischen Universität und berufsbegleitende Schulungen, ersetzte ich diese Bereiche immer mehr durch Pinsel, Farbe und Leinwand.

Bald schon galten meine Bilder für mich nicht mehr als eine Freizeitbeschäftigung. Ich arbeitete mich vielmehr an den Bildern ab, reflektierte, wog ab, veränderte, oft bis zur Erschöpfung. Meine Bilder sollten etwas aussagen, mit einem*r möglichen Betrachter*in kommunizieren. Das war kein Zeitvertreib, das war ein unbedingtes Bedürfnis.

Du bist Kunsttherapeutin?

Ja, es ergab sich beinah natürlich, obwohl die Tätigkeit der Kunsttherapeutin kaum bekannt ist und in Südtirol etwas von Pionierarbeit in sich trägt.
Aber der Reihe nach: Mein Kunstschaffen wirkte, ich wurde ruhiger, ausbalancierter. Damit verminderten sich auch meine körperlichen Beschwerden. Ich gründete eine Familie, kam mit neuen Menschen in Kontakt, engagierte mich ehrenamtlich. Ich traf immer wieder auf Menschen, die mir ihre Probleme anvertrauten. Es war mir ein Bedürfnis, in irgendeiner Weise eine Hilfestellung zu leisten. Ich ertappte mich wiederholt darin, diesen Menschen das künstlerische Schaffen nahezulegen, doch konnte ich ihnen nicht vermitteln, wieso und in welcher Form dieses Kunstschaffen denn nun hilfreich sein sollte. Irgendwann erfuhr ich von der Kunsttherapie. Da wusste ich: das ist es!

Was liegt dir bei deiner Arbeit als Kunsttherapeutin besonders am Herzen?

In der Kunsttherapie begegne ich Menschen, die sich in einer Krisensituation befinden oder eine Krankheit durchleben, das Bedürfnis haben sich neu zu ordnen oder Antworten auf Fragen suchen die sie nicht genau formulieren können. Es sind Menschen auf der Suche. Im Atelier erhalten sie die Möglichkeit, unterschiedliche künstlerische Materialien auszuprobieren und dabei zu erfahren, wie das Tun auf sie wirkt. Da sind Hände, die einen großen Pinsel über die Leinwand führen während ihr Körper leicht zum Rhythmus der Musik mitschwingt, Fingerkuppen die weiche Tonmasse formen während die Augen geschlossen bleiben um sich durch das Sehen nicht vom Erfahrungsmoment ablenken zu lassen, das Rascheln von unzähligen Bildern die auf der Suche nach dem einen Passenden für die eigene Collage durchwühlt werden.

Die Atelierbesucher*innen lernen, sich in unkonventioneller Weise mitzuteilen, sich eigenen Sichtweisen und Erfahrungswelten zuzuwenden, sich Zeit für sich zu nehmen oder sich für eine bestimmte Fragestellung noch Zeit zu schenken. Ich begleite diesen gestalterischen Prozess indem ich Materialien und Techniken anbiete, für einen Wechsel des Materials sorge oder ich lade zur gemeinsamen Werkbeschau ein. Oberstes Ziel der Kunsttherapie ist es, nicht die Krankheit oder das Problem in den Vordergrund zu rücken, sondern zu stärken was an Ressource, Potential, Kraft und Positivität noch da ist.

Du bist auch als Theaterpädagogin tätig?

Als Theaterpädagogin ist es mir wichtig, eine einzelne Person als Teil einer Gruppe dort abzuholen, wo sie gerade steht. Ich schaffe Räume, in denen die Teilnehmer*innen zusammen mit anderen Neues ausprobieren, ihre Spontaneität üben und dabei unterschiedlichste Facetten ihrer selbst entdecken können. Hier werden Rollen ausprobiert und auf den Prüfstand gesetzt, eigene Reaktionen und die der Anderen ausgetestet.

Gibt es andere Projekte, von denen du uns erzählen möchtest?

Meine Erfahrungen stoßen Reflektionen an, die ich künstlerisch umsetze. Auch ist es für meinen beruflichen Alltag wichtig, mich im Zugang zu unterschiedlichen Materialien und Techniken stetig zu üben. Ich male und zeichne, schreibe, probiere aber auch immer wieder plastische Materialien aus. Und dann passiert es auch mal, dass ich fieberhaft an der Entwicklung eines Brettspiels arbeite…
Ich sehe ein gelungenes Werk wie die Einladung auf eine Reise, wo der Reisende die notwendigsten Informationen erhält und sich dann auf eigene Faust aufmacht – ohne Reiseleiter. Diesen Anspruch habe ich an meine Werke. Sie sollen ausbalanciert sein, damit meine ich, sie sollen nicht zu viel Raum einnehmen und doch so viel, um dem Betrachter genügend Spielraum für eigene Gedanken zu bieten. Meine eigene Person soll dabei (wie beim Beispiel mit dem Reiseleiter) sehr im Hintergrund stehen bis gar nicht vorhanden sein.

Welchen Herausforderungen bist du auf deinem Weg begegnet? Welche Werte oder Botschaften möchtest du mit deiner Kunst, aber auch in deiner Arbeit vermitteln?

Die Auseinandersetzung mit Kunst ist in unserer Gesellschaft ein Nischenphänomen. Zwar gibt es eine Kulturlandschaft die auch gefördert wird, doch wünschte ich mir, dass die Auseinandersetzung mit Kunst alltäglicher wird und zwar für alle. Denn ist die Auseinandersetzung mit Kunst nichts weniger als die Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Umfeld in dem man lebt. Um diese Wirkung aber zu erreichen, muss Kunst vom elitären Sockel herabgeholt und in die Gesellschaft eingeführt werden. Kunst muss in seinen unzähligen Varianten erlebbar, spürbar, ertastbar werden.

Worum dreht sich deine Ausstellung in der Gastvitrine im Frauenmuseum?

Es ist eine Installation zur individuellen Identität, die in zweierlei Weise zur Selbstbeschau einlädt.

Die Szenerie wirft durch Bild und Text Fragen zu Selbst- und Fremdidentifikation, zu Selbstverständnis und Zugehörigkeitsgefühl auf.

Durch die Betrachtung des eigenen Spiegelbildes kommt es schließlich zur direkten Selbstbeschau.

Das Spiegelbild wird in seiner Ganzheitlichkeit durch einen roten Faden gestört und lädt den Betrachter damit ein, sich differenziertere Gedanken zur Betrachtung des eigenen Selbst zu machen.

Hast du Vorbilder?

Damit halte ich es wie mit meinem Musikgeschmack: ich kann mich an vielem begeistern. Wenn ich aber einen Namen nennen soll, dann ist es Joseph Beuys. Wegen seiner Kunst und seiner Philosophie davon, seinem Engagement, seinen Kontroversen, Selbstmanagement und Selbstinszenierung: kurz – Ein Spiegelbild von viel Menschsein.

Hast du ein Lebensmotto?

„Urteile nie über einen anderen, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gelaufen bist.“

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