Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
Frauenmuseum | Museo delle donne

„… zeigen, wie gut das Zusammenleben funktionieren kann“

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Ihre Werte und Ideale bringt Julia Dalsant nicht nur in ihren Beruf als Kindergärtnerin ein, sondern überall dort, wo sie sich bewegt. Sie ist motiviert, steht gegen Ungerechtigkeit auf und bringt etwas ins Rollen. Im Interview erzählt sie von ihren Erfahrungen, als sie sich an die Seite von Geflüchteten stellte. Sie berichtet, warum sie das feministische Infocafé in Meran mitbegründet hat und mit welcher Aktion sie im Lockdown dem Sanitätspersonal Solidarität gezeigt hat. Und schließlich verrät sie uns woher sie die Kraft und Energie nimmt, dies alles umzusetzen.

Gab es für dich ein Schüsselerlebnis für den Beginn von deinem sozialen Engagement?

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der freiwillige Mitarbeit in Vereinen sehr präsent und selbstverständlich war.

Wegweisend war dann wohl die Eröffnung der Zweitaufnahmeunterkunft für Menschen mit Fluchthintergrund in Tisens/Prissian im Jahr 2015, dem „Haus Noah“. Im Vorfeld hatte es dazu im Dorf eine Unterschriftenaktion gegeben, um sich gegen die Eröffnung auszusprechen. Es betraf mich sehr, dass die Stimmung in meinem ehemaligen Wohnort derart zu kippen drohte. Der Tiefpunkt war dann wohl eine Bürger*innenversammlung mit den politischen Verantwortlichen und verbale und beinahe physische Entgleisungen mir gegenüber. Es war für mich unverständlich, wie sich Menschen derart unmenschlich und offen rassistisch zeigen konnten. Mir wurde dann bewusst, dass es immer auch Auswirkungen auf mich und meine Familie hat, wenn ich mich öffentlich zu einem umstrittenen Thema äußere. Da habe ich viel über „Haltung“ und „Grenzen“ gelernt. Es war für mich das natürlichste auf der Welt Menschen zur Seite zu stehen, welche sich auf der Flucht, wovor auch immer, befinden. Jede Begegnung und jedes Gespräch mit verschiedensten Menschen aus dem Haus haben mir bewiesen, dass es richtig und wichtig war.

Das alles hat bei mir viel ins Rollen gebracht.

Saftstand: eine Aktion mit Bewohnern aus dem Haus Noah zum Mobility- Day in Meran (2016)
Saftstand: eine Aktion mit Bewohnern aus dem Haus Noah zum Mobility- Day in Meran (2016)
Kannst du uns sagen, wo du dich überall engagierst?

Ich habe vor 4 Jahren wieder begonnen im Verein Handball zu spielen und dort die Jugendgruppen mit aufgebaut, inzwischen leiten andere diese, ich bin noch Hilfstrainerin sozusagen. Ich bin noch selbst als Sportlerin im Damenteam tätig.

Im Zuge meiner Arbeit als Pädagogin konnte ich 2015 eine Fortbildungsreihe zur „Vorurteilsbewussten Bildung“ abschließen. Seitdem bringe ich diese Inhalte ein. 2018 kam dann ein Lehrgang zur „Natur- und Waldpädagogik“ hinzu. Dort möchte ich auch bald anknüpfen und einen länger gehegten Wunsch eines Waldkindergartens angehen. Aus meiner Zeit als Projektbegleiterin im Kindergartensprengel Lana stammt die Idee der „Viel>Da, einem Re- und Upcycling- Projekt nach einem Beispiel aus Reggio Emilia. Wir arbeiten dort als Gruppe daran, sogenanntes „Wertlosmaterial“ aus Betrieben Kindergärten wieder als Kreativmaterial zur Verfügung zu stellen.

Zwei Jahre war ich aktives Mitglied einer Frauengruppe der Organisation „Centaurus“ und nahm mitunter an einer Sensibilisierungskampagne für Lgbtqi+- Menschen teil.

Drei Jahre war ich Teil des „eurolager“- Teams. Das eurolager war ein Zeltlager für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung.

Eurolager in Brixen (2017)
Eurolager in Brixen (2017)

2020 hatte ich im Februar noch die Gelegenheit mit anderen wunderbaren Menschen im Haus der Familie eine Familienwoche leiten zu dürfen.

Als der erste Lockdown anbrach sprach mich eine Freundin an, ob ich mit ihr zusammen eine Facebookseite verwalten würde, welche Essenslieferungen an das Sanitätspersonal organisiert. Die Solidarität im Frühjahr war sehr groß. Die Seite ist aktuell wieder aktiv und hier zu finden.

Am aktivsten bin ich zurzeit beim Feministischen Infocafè femminista. Dieses wurde 2019 von ein paar engagierten Frauen und meiner Wenigkeit innerhalb des Ost West Club in Meran gegründet. Seitdem bin ich stark in feministischen Diskursen daheim und trage diese durch diverse Aktionen mit dem Femcafè auch nach außen. Infos zu Tätigkeit und Programm des Ost West Club in Meran gibt es hier.

Feministisches Infocafè im Sommer im Ost West Country Club (2020)
Feministisches Infocafè im Sommer im Ost West Country Club (2020)

2020 habe ich dann beschlossen mich auch politisch mit der Liste Rösch/ Grüne in Meran zu engagieren. Stimmen aus meiner Familie munkeln ja, das wäre nur eine Frage der Zeit gewesen. Für mich persönlich ist es jetzt vor allem die Möglichkeit nicht nur aktivistisch auf der Straße für Werte einzustehen, welche mir wichtig sind, sondern selbst auch auf institutioneller und politischer Ebene weiterwirken zu können.

Wie bringst du soziale Anliegen in deine Kindergartenarbeit ein?

Ich sehe den Kindergarten als Summe der Welt, welche ihn umgibt und ich sehe es als meine Aufgabe aufzuzeigen, wie gut das Zusammenleben dort funktionieren kann. In der pädagogischen Arbeit mit den Kindern selbst ist es mir wichtig, wie ich die Lernumgebung im Kindergarten ansprechend und diskriminierungsfrei gestalte. Ich schätze aktuell das Stadtviertel sehr, in welchem ich arbeite und versuche die Menschen dadurch zusammenzubringen, indem wir uns als Kindergarten nach außen zeigen und öffnen, was in Zeiten der verordneten Distanz natürlich besonders herausfordernd ist. Mir ist Bildungsgerechtigkeit wichtig, und dies bedeutet, dass ich die Voraussetzungen jeder Familie und jedes Kindes berücksichtige und in den Alltag miteinbeziehe. Alle haben das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe, ganz im Sinne der vorurteilsbewussten Bildung „Vielfalt respektieren, Ausgrenzung widerstehen“.

Du bist am Aufbau des Feministischen Infocafés in Meran beteiligt. Was hat dich dazu bewogen, Energie in dieses Projekt zu stecken?

Als wir das Femcafè gegründet hatten, merkte ich, wie wichtig und heilsam solche geschützten Räume für mich als Frau und Aktivistin sind.

Das Femcafè ist genau dies: Safe Space für Frauen* für einen sicheren Erfahrungsaustausch und ein Sammelsurium an Frauen* und Männern*, welche auf Ungerechtigkeiten aufmerksam machen. Aktuell gibt es eine Zusammenarbeit mit dem Landesbeirat der Schüler*innen zusammen zum Thema „Menstruationsprodukte an Bildungsinstitutionen“.

Solange Straßen nicht für alle Geschlechter gleichermaßen sicher sind, braucht es Feminismus. Solange es den Equal- Pay- Day geben muss, braucht es Feminismus. Solange Care-work nur in Pandemiezeiten als systemerhaltend gilt, braucht es Feminismus. Solange irgendwo auf der Welt Frauen um ihre Rechte kämpfen müssen, braucht es Feminismus. Deshalb braucht es nicht nur diese, sondern viele feministische Gruppierungen, Aktionen, Aktivitäten, Kollektive, Vereinigungen und Bemühungen.

Auf der Facebookseite und Instagram des Feministischen Infocafè femminista findet ihr mehr Informationen dazu.

Aktion des Femcafè zu fehlenden Frauenbildern auf den Werbeplakaten der Forst (2020)
Aktion des Femcafè zu fehlenden Frauenbildern auf den Werbeplakaten der Forst (2020)
Was bedeutet es für dich, Feministin zu sein? Der Begriff ist ja oft auch negativ konnotiert, wie siehst du das?

Ich bin Feministin, weil Feminismus die Welt gerechter und besser macht.

Die heilige Kuh „Kapitalismus“, die wir immer noch vor uns hertreiben, benachteiligt immer noch vor allem Frauen* weltweit. Die ökonomische und soziale Ungleichheit ist immer noch sehr groß und indem wir Unternehmen unterstützen, welche daran nicht aktiv was ändern, verstärkt z.B. jedes Kleidungsstück, welches von einer dieser unterbezahlten Frauen genäht wurden, diese Ungleichheit.

Feminismus bedeutet, mich für die Wertschätzung von Care- Arbeit stark zu machen und dabei meine ich nicht Vergütung im Sinne von „klatschen“. Es bedeutet auch den Umstand zu ändern, dass vor allem Frauen* für Care- Arbeit zuständig sind. Mein Feminismus kämpft gegen männliche Gewalt an Frauen, gegen jeden Übergriff und jeden sexistischen Kommentar. Feminismus bedeutet, dass Frauen* für ihre Gebärfähigkeit nicht benachteiligt sein müssen und, dass sie aber auch nicht daran bemessen werden ob sie Kinder haben oder nicht. Feminismus bedeutet, die Wahl zu haben! Es bedeutet für mich body- und sexpositiv zu sein. Jeden Körper sein lassen zu können, wie er ist und vor allem Frauen, sexuelle Freiheit zuzugestehen, ohne sie dafür zu beschämen. Geschlechterstereotype und die damit verbundenen Erwartungen schränken die freie Entfaltung eines jeden Individuums immer noch ein. Mein Feminismus steht dafür, selbst über den eigenen Körper entscheiden zu können, dies betrifft auch das Recht auf Abtreibung. Mein Feminismus wehrt sich gegen Selbstoptimierungswahn und steht für die Selbstermächtigung jedes Menschen. Mein Feminismus kämpft für Lgbtqi+- Rechte und die Rechte Schwarzer Menschen. Das Mithineinnehmen anderer Perspektiven und Realitäten, welche nicht die meine sind, ist zutiefst feministisch und nennt sich „Intersektionaler Feminismus“. Das ist zugleich mein persönliches aktuelles Lernfeld, weil ich immer noch aus einer weißen Mittelschichtsperspektive heraus argumentiere und die Sichtweisen weiterer Frauen* kennenlernen möchte und darüber lernen möchte, wie wir „sisterhood“ und „power sharing“ wirklich leben können. Mein Feminismus kämpft gegen männliche Gewalt an Frauen, gegen jeden Übergriff und jeden sexistischen Kommentar.

Feminismus ist inklusiv und stärkend. Feminismus heißt mehr Freiheiten für alle, mehr Gestaltungsraum und mehr Gerechtigkeit.

Wie also könnte ich NICHT Feministin sein?

Sticker des Femcafè zu den Gemeindewahlen in Meran 2020
Sticker des Femcafè zu den Gemeindewahlen in Meran 2020
Du bist jung Mutter geworden, inwiefern hat dich das geprägt?

Ich bin mit 19 Jahren mit einem 7 Monate altem Kind und unsicherer Lebensperspektive von zu Hause ausgezogen und habe von da an ein Leben als Familie zu dritt geübt. Ich hatte das Glück eine Ursprungsfamilie zu haben, welche mich unterstütze wo es nur ging. Geprägt hat es mich insofern, als dass es wahnsinnig anstrengend und großartig war.

Als junge Frau stand ich beruflich noch nicht mal in den Startlöchern, hatte kein Studium im Sack und sah mich selbst blockiert und recht hilflos. Meine eigenen Erwartungen und jene meines Umfeldes schienen mich oft zu erdrücken. Eine gute Mutter sollte ich sein. Trotzdem was aus mir machen. Nicht stehen bleiben, aber auch nicht alles auf einmal wollen. Präsent sein zu Hause, für Kind und Haushalt sorgen und doch fleißig lernen, damit doch „was aus mir wird“. Keine „Rabenmutter“ und kein „Hausmütterchen“. Oft hatte ich das Gefühl, egal wie ich es mache, es muss falsch sein. Ich entschied mich dann doch an die Uni nach Brixen zu gehen und wir haben das dann als Familie von Woche zu Woche irgendwie geschaukelt und organisiert. Das hat von uns als Eltern und als Menschen viel abverlangt. Gezeigt hat es mir, dass ich viele, jedoch nicht unendliche, Kräfte habe. Während andere das Student*innenleben erprobten und in die Welt hinauszogen, machte ich einfach alles auf einmal: Mutter sein, Studentin sein, Hausfrau sein, Julia sein (letzteres vergaß ich dann ab und an).

Meine Tochter ist jetzt 13 und es prägt mich aktuell insofern auch Mutter zu sein, als dass ich mir eine Welt für sie wünsche, in der sie sich gut entfalten kann.

Woher nimmst du deine Energie, Kraft, auch für andere da zu sein?

Energie bekomme ich aus meinem Aktiv-sein und Ruhepausen. Ich bin eigentlich gern daheim und genieße es auch dort zu sein. Ein Mal im Jahr zieht es mich dann mit Freundinnen im Sommer hoch hinaus zum Wandern. Seit 5 Jahren begehen wir jedes Jahr einen anderen Höhenweg. Über Tage hin zu gehen, an Belastungsgrenzen zu kommen und über die Schönheit der Welt zu staunen ist für mich Erholung pur und da zehre ich dann auch das ganze Jahr davon.

Julia Dalsant am Berg mit Freundinnen
Unterwegs von Prags nach Belluno auf dem Dolomitenhöhenweg Nr. 1

Generell inspiriert es mich etwas in meinem Umfeld bewegen zu können und zu netzwerken. Menschen zusammenzubringen, das liebe ich! Ich bin schon ein Mensch, der gern mitmischt, aufmischt, auch mal laut und ungestüm, meist aber freundlich und bestimmt. Stark macht mich der Wille verstehen und lernen zu wollen. Stark macht mich auch jedes Kind im Kindergarten, welches mich schelmisch anblitzt und wir uns gegenseitig kringelig lachen, weil wir Scherze großartig finden. Gerade jetzt ist die Welt eh schwierig genug, wenn ich da nicht auch mal lauthals lachen kann, geh ich wirklich ein.

Bewundern. Ich bewundere Menschen, welche ganz klare Vorstellungen von sich und ihrem Tun haben. Davon habe ich mehrere in meinem Freundeskreis und insgeheim bewundere ich sie jedes Mal, mit welcher Bestimmtheit sie vorangehen, ihre Kinder erziehen, ihre Kleinunternehmen gründen, Aktionen aus dem Boden stampfen und Reden schwingen. Ich bewundere Idealist*innen und Realist*innen, weil ich beides sein möchte und weil die Welt beides braucht.

Was bleibt ist die Gewissheit, dass ich auf jeden Fall weitermachen will, egal womit, egal was mir noch zufliegen wird. Wenn es so wird wie bisher wird es auf jeden Fall spannend, aufregend, oft laut, auch anstrengend und vor allem wird es eines: es wird gut!

Julia Dalsant am Berg
Seekofel (2810 m) oberhalb des Pragser Wildsees und Ausgangspunkt des Dolomitenhöhenweg Nr. 1

Interview: Sissi Prader und Judith Mittelberger

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