Glitzernde Einhörner für Mädchen und starke Seeräuber für Jungen? Ist das noch aktuell? Wie steht es um Geschlechterklischees in heutigen Kinderbüchern?
Könnt ihr euch an euer liebstes Kinderbuch erinnern? War es der Räuber Hotzenplotz, die kleine Hexe oder vielleicht ein Märchen von den Brüdern Grimm? Vielen von uns tauchen bei diesem Gedanken wahrscheinlich noch ganze Bilderbuch-Seiten vor dem inneren Auge auf. Vielleicht haben die einen oder anderen von euch jeden Abend dieselbe Geschichte durchgeblättert, gelesen, sich vorlesen lassen oder – wie im Fall meiner Schwester – den Eltern auswendig Wort für Wort erzählen können.
Geschichten spielen eine große Rolle im Leben von Kindern – sie können die Realität darstellen oder andererseits auch Handlungsspielräume, Vorbilder und neue Welten eröffnen. Deshalb haben wir uns die Frage gestellt: Wie sieht es eigentlich mit Geschlechterrollen in Kinderbüchern aus?
Her mit dem Prinzen!
„Wer den Drachen in unserem Land besiegt, darf die Prinzessin heiraten!“ ließ der König eines Tages verkünden. „Aber Papa!“, sagte die Prinzessin beim Frühstück. „Bei uns gibt es überhaupt keine Drachen.“ „Ach was“, brummte der König. „Irgendein Drache wird sich schon finden lassen. Die Geschichte mit dem Drachen hat noch in jedem Märchen funktioniert.“
Im Buch „Her mit dem Prinzen!“ erzählt Heinz Janisch die Geschichte von einer widerspenstigen Prinzessin und einem gutmütigen Drachenkämpfer. Die Prinzessin nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand und der Drachenkämpfer mag den Drachen mit den großen Augen eigentlich gar nicht töten. Mädchen sind also nicht nur brav und zu heiraten, wie Jungs auch mal mit ihrer einfühlsamen Seite gewinnen können.
Raus aus der Rosa-Blau-Falle
Dieses Kinderbuch haben wir in der Broschüre „Mädchen und Jungen. Raus aus der Rosa-Blau-Falle“ gefunden. Herausgegeben von der Stadtbibliothek Meran in Zusammenarbeit mit dem Referat für Chancengleichheit der Stadtgemeinde Meran richtet sich die Broschüre an Erzieher*innen, Eltern und Bibliothekar*innen.
Es gibt gleich mehrere Büchervorschläge, die überraschende Geschichten und pfiffige Hauptpersonen versprechen. Aber brauchen wir heute noch einen Ratgeber, um beim Kinderbuch-Kauf nicht in die rosa-blau-Falle zu tappen?
Eine Datenrecherche
Die Süddeutsche Zeitung hat im Januar eine Datenrecherche zu diesem Thema veröffentlicht. Das Ergebnis zeigt, dass Kinderbücher in den letzten Jahren sogar vermehrt Geschlechter-Stereotypen zeigen.
Zwischen den sechziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts haben sich gesellschaftliche und feministische Emanzipations-Prozesse auch auf Kinderbücher ausgewirkt und diese bunter und vielfältiger werden lassen. Stichwort Ronja Räubertochter – das mutige Mädchen, das den Sprung über den Höllenschlund wagt – oder Pippi Langstrumpf – das stärkste Mädchen der Welt.
Aber diese Bücher reichten nicht aus, um den ganzen Buchmarkt zu verändern und so schlichen sich nach und nach wieder vermehrt Geschlechterklischees in die Kinderbücher, so die Süddeutsche Zeitung.
Gendermarketing
Doch wer hat etwas davon, wenn Kindern über Bücher althergebrachte Geschlechterrollen immer neu vermittelt werden? Es ist keine neue Erkenntnis, dass Gender Marketing funktioniert. Ein Produkt lässt sich leichter verkaufen, indem es eine ganz bestimmte Zielgruppe anspricht.
Beispielsweise, wenn Geschichten explizit für Jungs oder für Mädchen geschrieben werden, sie sofort einem Geschlecht zugeordnet werden können oder gar in Regalen “für Mädchen” und “für Jungen” stehen, lassen sie sich gut verkaufen. So wurde dieses Beispiel oben im Bild für den goldenen Zaunpfahl, den Preis für absurdes Gendermarketing, nominiert.
In Kinderbüchern geht es dabei natürlich nicht nur um den Buchumschlag, sondern auch um den Inhalt. Die Schlagwort-Untersuchung der Süddeutschen Zeitung hat gezeigt, dass weibliche Protagonisten in Kinderbüchern sich viel öfter mit Alltagsdingen beschäftigen, die Worte “Tiere”, “Schule”, “Familie” spielen eine große Rolle. Währenddessen kommt das Thema Abenteuer und fremde Länder sehr viel häufiger bei männlichen Darstellern vor.
Problematisch ist das deshalb, da Kinderbücher einerseits helfen, die Realität zu verstehen, andererseits Kindern aber auch zeigen, was möglich ist. Sie können Vorbilder sein.
Aber die Kinder wollen das eben so!
Das Argument, dass Buben eben eher zu Abenteuererzählungen greifen, während Mädchen nach Alltags- und Reiterhofgeschichten verlangen, greift zu kurz.
Einerseits spielen in dem Auswahlprozess nicht allein die Interessen von Kindern eine Rolle, denn oftmals werden Bücher von Erwachsenen gewählt und gekauft, die ihre eigenen Vorstellungen von Rollenbildern mitbringen. Andererseits entsteht viel zu leicht ein Kreislauf, in dem das eine das andere bedingt.
Geschlechtsspezifische Produkte zielen auf vermeintlich natürliche Interessen von Mädchen oder Jungen ab. Umgekehrt lernen Kinder, was sich für sie als Junge oder Mädchen eben gehört und was nicht – wodurch sich wiederum Vorstellungen über die Rollen von Männern und Frauen verengen. Der Druck, diesen Normen zu entsprechen, steigt und es wird umso schwieriger, daraus auszubrechen. Je weniger Menschen sich trauen daraus auszubrechen, desto eher glauben wir, dass Mädchen und Jungen das eben so wollen. Sehr schön erklärt wird dieser Kreislauf hier.
Es geht auch anders
Im Umkehrschluss können wir sagen, wie wichtig es ist, dass Mädchen wie Jungen möglichst vielfältige Rollenbilder in ihren Büchern kennenlernen, aus denen sie wählen können und die so ihren Horizont erweitern.
Und Möglichkeiten dazu gibt es viele! Viele Verlage legen Wert darauf, dass Geschlechterstereotype nicht weiter bedient werden und bieten alternative Rollenbilder an. Finden könnt ihr solche Bücher beispielsweise in der oben genannten Broschüre der Stadtbibliothek Meran, oder auch hier.
Judith Mittelberger