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Eine besondere Freundschaft: Simone de Beauvoir und Elisabeth Lacoin

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Heute jährt sich zum 35. Mal der Todestag Simone de Beauvoir. Aus diesem Anlass möchten wir an die französische Philosophin und Feministin erinnern und einen besonderen Aspekt in ihrem Leben beleuchten: Die Freundschaft.

Neben ihrer langjährigen und tiefgründigen Freundschaft mit Jean-Paul Sartre, war ihr Leben stark geprägt von ihrer Jugendfreundschaft mit Elisabeth Lacoin. Die Philosophin Esther Redolfi erzählt von dieser besonderen Freundschaft und von Beauvoirs Bedeutung.

Wer waren Simone de Beauvoir und Elisabeth Lacoin?

Simone de Beauvoir (1908-1986) und Elisabeth Lacoin (1907-1929) wurden beide in einer gutbürgerlichen katholischen Pariser Familie geboren. Sie lernten sich im Alter von neun Jahren in der Schule kennen und glänzten beide als brillante Schülerinnen. Sie teilten von Anbeginn an dieselben Träume von Rebellion und Unabhängigkeit und hofften dem traditionell für Frauen vorgezeichneten Schicksal zu entgehen. Leider blieb für Elisabeth das Leben, das sie sich erträumt hatte, unerreichbar: sie erlag im Alter von einundzwanzig Jahren einer viralen Enzephalitis. Aus Simone de Beauvoir wurde die erfolgreiche Schriftstellerin, Philosophin (sie gründete gemeinsam mit Jean-Paul Sartre den französischen Existentialismus) und Frauenrechtsverfechterin. In all ihren Romanen (mit Die Mandarins von Paris gewann sie 1954 mit dem Prix Goncourt den renommiertesten Literaturpreis Frankreichs), Erzählungen, Reiseberichten, Autobiographien, Artikeln und Essays (1949 gelang es ihr mit Das andere Geschlecht die «Bibel des Feminismus» zu verfassen) verweist sie immer wieder auf ihre Freundschaft mit Elisabeth und ihre entscheidende Rolle, die sie für ihr Leben und ihre Entwicklung gespielt hat. Denn es war deren Freundschaft die dazu beitrug, dass Simone de Beauvoir zu der Frau wurde, die sie beide sein wollten.

Was machte ihre Freundschaft aus?

Wir alle, die das Glück haben wahre Freundschaft zumindest einmal im Leben kennenzulernen wissen, wie schwierig und komplex es ist, diese in Worte zu fassen. Simone und Elisabeth konnten deren Sorgen, Nöten, Ängste und Verletzlichkeit freien Lauf geben. Diese Gewissheit hat es ihnen ermöglicht, sich für das was sie waren, respektiert und geschätzt zu fühlen, ohne deren intimsten Gefühle oder Gedanken aus Angst, beurteilt oder nicht akzeptiert zu werden, verbergen zu müssen. Gemeinsam ist es ihnen aber auch gelungen, Anklage gegen eine bigotte und heuchlerische Gesellschaft, die nicht akzeptieren konnte, dass junge Frauen den Traum von Freiheit und Unabhängigkeit verfolgten, zu erheben. Aus Simones Briefen, Autobiografien und Tagebüchern ist eindeutig erkennbar, dass sie diesen Verlust nie verkraftet hat, denn Elisabeth blieb die erste, einzig wahre Freundin. Deren Geschichte zeigt uns bis heute, wie schmerzhaft aber auch beglückend es sein kann, wahre Freundschaft, in der sich zwei Menschen bereichern – eine Freundschaft, von der wir alle träumen, einmal das Glück zu haben, sie erleben zu dürfen, zu empfinden. Ich bin der festen Überzeugung, dass es nicht möglich ist, eine Definition für eine solche Beziehung zu finden. Dennoch bin ich – auch weil ich persönlich das vielleicht späte Glück hatte, eine solche Freundschaft kennenzulernen – zum Schluss gekommen, dass nur unser Herz über das nötige tiefe, durchdringende Wissen verfügt, um diese intime Bindung zu beschreiben. Vielleicht ist unser Verstand gar nicht in der Lage die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen: daher können Gefühl, Herz, Instinkt, Emotionen oder welche andere Definition wir auch immer verwenden wollen, zu größerer Gewissheit führen als Rationalität oder Vernunft. Mit den Worten meiner liebsten und wertvollsten Freundin: „Gefühl und Rationalität auf einem gemeinsamen Nenner zu bringen ist nicht möglich. So sollte Freundschaft gelebt werden, ohne zu viele Fragen zu stellen.

Die Freundschaft zwischen Simone de Beauvoir und Elisabeth Lacoin in der aktuellen Sonderausstellung im Frauenmuseum „Frauenfreundschaften“
Was können wir heute noch von Simone de Beauvoir lernen?

Das Bemerkenswerteste an Simone de Beauvoir ist und bleibt, dass anders als wir heute, sie kein weibliches Vorbild hatte, an dem sie sich hätte orientieren können: sie hatte nämlich keine Vorgängerin mit vergleichbarer Ausstrahlungskraft. Ihr ungewöhnlicher Lebensweg zeugt von einem Kampf um die Selbstständigkeit gegenüber ihren Eltern, den gesellschaftlichen und den mentalen Hindernissen ihrer Zeit. Als Frauenrechtlerin wurde sie sowohl von Männern als auch von Frauen angegriffen, denn als attraktive intelligente Frau hatte sie es gewagt, ihren Weg zu gehen, zu schreiben, zu Reisen und Männer und Frauen zu lieben. Bis heute zeugt Simone de Beauvoirs Leben als Vorbild weiblicher Selbstbefreiung. Ich bin mir durchaus bewusst, dass niemand das Leben eines anderen hundert prozentig als Modell nehmen kann und soll, dennoch regt sie bis heute Leserinnen an zu versuchen es zu wagen, eigene Träume zu verwirklichen. Deshalb bin ich überzeugt, dass Simone de Beauvoir, die ihr Leben bis ins kleinste Detail in ihren Autobiografien aber auch in ihren Romanen geschildert hat, als Emanzipationsmotor für Millionen von Leserinnen dienen kann. Dass sie bis heute polarisiert ist genau das, was ihre Aktualität ausmacht. Sich mit ihrer außergewöhnlichen Persönlichkeit, mit ihrem Werk auseinanderzusetzen bedeutet, den Mut zu haben, das sichere Ufer der allgemeingültigen Aussagen und Regeln zu verlassen und sich gegebenenfalls unangenehmen Wahrheiten stellen zu müssen.

Wie kam Ihre Auseinandersetzung mit Simone de Beauvoir zustande?

Ich habe verhältnismäßig spät mit meinem Philosophiestudium begonnen. Umso früher habe ich aber erkannt, dass der französische Existentialismus mich faszinierte und er sich bestens mit meinen Ideen vereinen ließ. Damals hatte ich bereits meine Bachelor Arbeit über Jean-Paul Sartres Philosophie geschrieben und als ich vor dem Abschluss meines Masters stand, bot mir mein Professor mit den Worten „Sie sind eine Frau, schreiben Sie über eine Frau“ an, erneut mit ihm zusammenzuarbeiten. So kam ich zu meinem Glück. Seitdem habe ich nie aufgehört, mich für das Leben und das Werk dieser brillanten, freien, lebenshungrigen und faszinierenden Frau zu begeistern. Daher habe ich auch meine Doktorarbeit über Simone de Beauvoir geschrieben und zwar konnte ich darin ihre Ideen und die meinen vereinen. In meiner Dissertation habe ich Simone de Beauvoirs existentialistische Konzeption der Frau als Spannungsverhältnis von Freiheit und Situationsgebundenheit in Das andere Geschlecht und Das Alter festgehalten, dass die Frau als Spannungsverhältnis von Freiheit und Situationsgebundenheit definiert werden kann und zwar weil sie ihre gesamte biographische Existenz als permanentes, determinierendes Spannungsverhältnis erfährt. Indem ich die Evolution der philosophischen Begriffe Freiheit und Situation im Sinne einer realistischen Konfrontation mit konkreten Bedingungen weiblicher Existenzen nachgezeichnet habe, konnte ich – unbenommen aller Genderdebatten – zeigen, dass Simone de Beauvoir grundsätzlich davon ausgeht, dass die Lage der Frau sowohl durch biologisch-faktische, als auch gesellschaftlich-kontingente Bedingtheiten determiniert wird. Hierfür habe ich die spezifischen, durchaus konkreten Aspekte weiblicher Situationen in den Vordergrund der Untersuchung gerückt, und die Situation von uns Frauen mithilfe realer Fallbeispiele in ihren Werken Das andere Geschlecht und Das Alter detailliert analysiert.

Die Sonderausstellung „Frauenfreundschaften“ im Frauenmuseum

 

Interview: Judith Mittelberger

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