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„Dem Impuls, Hebamme zu werden, ging ein Prozess von gut zehn Jahren voraus“

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Birth Cultures – Geburtskulturen ist ein EU-Projekt von 2019-2022, das zu einer Reise durch Geschichten und Traditionen rund um Geburt und Mutterschaft einlädt. Eine große Wanderausstellung dazu tourt durch Europa und ist ab Dezember 2021 im Frauenmuseum in Meran zu sehen. Kommt vorbei – neben der Ausstellung erwartet euch auch ein vielfältiges Rahmenprogramm.

Im Rahmen diese Projektes möchten wir euch heute eine weitere Hebamme vorstellen. Kathrin Kuppelwieser arbeitet in der Familienberatungsstelle Lilith in Meran und erzählt uns im heutigen Interview von ihrem persönlichen Weg hin zu ihrem Beruf.

Wolltest du immer schon Hebamme werden?

Der Wunsch Hebamme zu werden kam aus einem intuitiven klaren Impuls. Ich kann diesen Impuls gar nicht an einem bestimmten Ereignis festmachen. Ich hatte die Oberschule abgeschlossen und für ein Jahr in Venedig gelebt. Die Ausbildung zur Hebamme hat mich zurück nach Südtirol geführt.

Wie hast du zu diesem Beruf gefunden?

Dem Impuls, Hebamme zu werden, ging ein Prozess von gut zehn Jahren voraus. In dieser Zeit wuchs meine Faszination für den menschlichen Körper, dessen komplexe Abläufe, Potential aber auch seine Verletzbarkeit. Gleichermaßen wuchs die Neugier am Menschsein in seiner emotionalen und kognitiven Dimension. Der Beruf Hebamme war in meiner Vorstellung ein Terrain, in dem Frauen, Männer und Babys in ihrer umfassenden Komplexität begleitet werden können. In ihren Wachstumsprozessen auf verschiedenen Ebenen.

In welchem Umfeld übst du diesen Beruf heute aus?

Ich arbeite in der Familienberatungsstelle Lilith in Meran. Ich bin Teil eines multiprofessionellen und interdisziplinären Teams, darunter sind Gynäkolog*innen, eine Krankenpflegerin, Physiotherapeut*innen, eine Sozialassistentin, eine Pädagogin, Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen, Anwält*innen und weitere Berufsgruppen. Es ist eine große Bereicherung in einem Team von über 30 Fachpersonen eingebunden zu sein.

Was fasziniert/gefällt dir daran? Welchen Herausforderungen begegnest du?

Ich spüre Demut und Staunen, wenn ich Eltern in der Schwangerschaft und am Lebensanfang ihres Kindes begleite. Es gibt Konstanten und dennoch ist es jedes Mal neu und anders, weil jeder Weg einzigartig ist. Weil Wünsche und Bedürfnisse unterschiedlich sind.  Der Lebensanfang mit einem Kind birgt neue Herausforderungen. Um sich auf Wachstumsprozesse einzulassen, braucht es Mut zur Verletzlichkeit. Bilder, Visionen und Erwartungen rund um das Elternwerden und Elternsein können durchaus ganz anders sein als das reale Leben mit einem Kind. Das braucht Anerkennung. Eltern und Babys über Monate zu begleiten, schafft Kontinuität und Bindung. Das berührt mein Herz. Ebenso die Begegnungen mit heranwachsenden Frauen und Eltern, die um den Verlust ihres ungeborenen oder still geborenen Kindes trauern.

Foto: Kathrin Kuppelwieser
Wie hast du als Hebamme es erlebt, selbst Mutter zu werden?

Die Erfahrung, Mutter zu werden, hat für mich ein tiefgreifendes Verständnis von den stärkenden und herausfordernden Erfahrungen im Mutter- und Frausein geschaffen. Themen, zu denen ich zunächst nur kognitiven Zugang hatte, wurden lebendig. Mein damaliges vorwiegend getragenes Baby hat mich dazu bewogen, die Ausbildung zur Trageberaterin zu machen, um dieses Werkzeug auch anderen Eltern mitgeben zu können. Später zur Fachberaterin für Emotionelle Erste Hilfe und Still – und Laktationsberaterin IBCLC.

Hat sich dadurch der Zugang zu deinem Beruf für dich verändert?

Meine persönliche Erfahrung war Impuls dafür, die Aufmerksamkeit in meiner Arbeit auf die Stärkung von inneren Ressourcen und Bindungsprozessen zwischen Eltern und deren Babys zu richten.

Kennst du ein Ritual oder eine Geste aus unserer Geburtskultur, welche du schön findest?

Mir gefällt das Ritual, einen Baum für das geborene Kind zu pflanzen. Ich bin diesem Brauch als Grundschulmädchen in unserem Dorf begegnet. Für jedes geborene Kind im Jahr, wurde eine Tanne im Wald gepflanzt.

Gibt es etwas, das du an unserer Geburtskultur gerne ändern würdest? Was wünschst du dir für unseren (gesellschaftlichen oder privaten) Umgang mit Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett?

Ich wünsche mir, dass Elternsein als gesellschaftliche Verantwortung verstanden wird. Dass es ein unterstützendes Feld um Familien gibt, das selbstverständlich ist. Dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, vor allem für Frauen, politisch und arbeitsrechtlich mehr Aufmerksamkeit und unterstützende Maßnahmen erfährt. Dass Care-Arbeit sichtbar und wertgeschätzt wird. Ein notwendiger Schritt wäre die Berücksichtigung von angemessenen Rentenansprüchen für Mütter, die ihre Erwerbstätigkeit aufgrund der Fürsorgearbeit reduzieren oder aufgeben.

 

Interview: Judith Mittelberger & Yvonne Rauter

 

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