Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
Frauenmuseum | Museo delle donne

Ein Frauenmuseum in den Souks von Marrakech

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Würde ist, einen Traum zu haben, einen starken Traum, der dir eine Vision gibt, eine Welt, in der du einen Platz hast, in der deine Teilhabe, so minimal sie auch sein mag, etwas verändern wird.

Fatima Mernisse (1940 – 2015), marokkan. Soziologin und Feministin

Dieses Zitat begrüßt Besucher*innen im Marokkanischen Frauenmuseum in Marrakech.

Mit Fatima Mernissi und ihrem Ausspruch gelingt ein wunderbarer Einstieg ins Frauenmuseum. Die marokkanische Soziologin und Feministin publizierte über die Rolle der Frau im Islam und den Einfluss des Islam auf die Stellung der Frauen in der arabischen Welt.

Ich freue mich über ihre leicht verständlichen und klaren, aber inhaltsstarken Worte, die für mich den Geist ausdrücken, den viele Frauenmuseen widerspiegeln. Viele von ihnen wurden aus der Vision einzelner Frauen geboren, die von einer anderen Welt träumten, von einer Geschichtsschreibung, in der der weibliche Teil der Weltbevölkerung vorkommt und in der ihre Leistungen gewürdigt werden.

Ganz besonders neugierig macht mich die Aussage im Hinblick darauf, dass dieses Museum ungewohnterweise von 2 Männern gegründet wurde. Welche Vision beflügelte sie, als Männer ein Frauenmuseum zu gründen? Von Nizar Gartit, einem der Gründer, erfahre ich in einem Mail:

Das Museum war ein Lebenstraum, den ich mir erfüllen wollte. Heute ist es eine Institution, die ihren Platz in der Stadt einnimmt. Ich hoffe, dass meine Geschichte andere inspiriert, ein Frauenmuseum zu gründen bzw. an sich selbst zu glauben. (Lesen Sie dazu Nizar Gartits persönliche Geschichte am Ende dieses Textes.)

Ausstellungsplakat „Frauen Marokkos“

Ein Plakat neben dem Eingang zum Ausstellungsbereich im Erdgeschoß kündigt die Inhalte der ersten Ausstellung an: Frauen Marokkos. Zeigt es Frauen auf einer Demonstration, aus welcher Zeit? Wofür marschieren sie? Worüber freuen sie sich offensichtlich? Sie tragen islamische Kleidung und ich überlege kurz, wie mir die Marokkanerinnen bisher im öffentlichen Raum begegneten. Sehr unterschiedlich, stelle ich fest: Frauen in Burka mit nur einem Sehschlitz als Öffnung zur Welt, nie ohne männliche Begleitung unterwegs; Geschlechtsgenossinnen mit Kopftuch (Hidschab) und Dschellaba, die auch alleine anzutreffen sind; „westlich“ gekleidete Frauen; gemischt gekleidete Frauengruppen, die gemeinsam in Restaurants neben uns saßen. Neugierig betrete ich den ersten Ausstellungsraum. Unvermittelt und ein wenig verblüfft blicke ich auf König Mohammed VI, die marokkanische Fahne schwenkend, hauptsächlich von Männern umgeben. Den angeführten Zitaten entnehme ich, dass er sich für die Stärkung der Frauen einsetzt. Im Gespräch mit Sihame, die heute das Museum betreut, erfahre ich, dass er die Frauen speziell in ihrem Kampf gegen die Gewalt unterstützt. In seinen Aussagen fordert er u.a. die Gleichstellung von Frau und Mann, das Ende aller Ungerechtigkeiten und der Gewalt gegen Frauen, die Integration der Frauen bei der Weiterentwicklung des Landes. Als religiöses Oberhaupt der Nation verankert er seine Ansichten in „unserer heiligen Religion“ und in einem System, das die Einheit und den Zusammenhalt der Familien stärkt. Dieser religiöse Wermutstropfen wird verständlich, wenn man weiß, dass dadurch seine liberale Haltung auch von den Strenggläubigeren akzeptiert wird.

Es folgt der Ausstellungsteil „Frauen und Wirtschaft“. Für 75% der Frauen in Marokko gilt nach wie vor, dass sie kein eigenes Geld verdienen. Trotz harter Arbeit werden sie lediglich als Mitarbeiterinnen in der Familie gesehen. Generell spielen Frauen in der marokkanischen Wirtschaft zunehmend eine wichtige Rolle, wobei die Unterschiede zwischen Stadt und Land groß sind. Den traditionellen Rollenbildern entsprechend arbeiten viele Frauen in der Textilindustrie, im Bereich der Landwirtschaft und im Dienstleistungssektor. Moderne Businessfrauen finden sich als Unternehmerinnen und Führungskräfte in den verschiedensten Wirtschaftszweigen. Als ich die dazu ausgestellten Fotos betrachte, fällt auf, dass sie durchwegs „westlich“ gestylt sind. Fragen tauchen auf: Welchen Marokkanerinnen stehen diese Karrieren offen? Wie eng oder häufig sind die Kontakte zwischen den verschiedenen (Kleider-)Welten?

Blick in die Ausstellung: Frauen Marokkos

Unter der Überschrift „Frauen und Politik“ entdecke ich das Bild, dessen Sujet das Ausstellungsplakat ziert und es wird mir klar, dass es um die Unabhängigkeitsbewegung in den 1940er-Jahren geht, in der die französischen und spanischen Kolonialisten abgeschüttelt werden sollten. Spannend zu erfahren, dass die Marokkanerinnen sehr aktiv mitwirkten, genau so wie am Aufbau Marokkos in den nachfolgenden Jahren. Bereits in früheren Jahrhunderten regierten sie oft aus dem Schatten heraus, indem sie alsTöchter, Mütter oder Frauen von Stammesführern großen Einfluss ausübten. Widerstand regt sich in mir, als ich über diese „Schattenregierungen“ lese. Für mich repräsentieren sie ein typisch patriarchales Klischee, mit dem wir Frauen konfrontiert werden, wenn wir – aufmüpfig- Rechte und Machtpositionen beanspruchen und fordern.

Der nächste Ausstellungsteil zeigt Frauen, die in Marokko Berühmtheit erlangten. 8 Frauenporträts samt Kurzbiografien in 3 Sprachen – Arabisch, Französisch und Englisch – bieten Einblick in die Welt „Die ersten ihrer Art“. Bekommen Frauen eine eigene Kategorie, ist Vorsicht angebracht. Leicht tappt man in die Falle und denkt, dass sie nichts Großartiges leisten konnten, weil sie unterdrückt waren. Im Gegenteil: Parallel zu den Männern schufen sie Großes, auf gleichem Niveau, obwohl sie unterdrückt waren. Allerdings wurden sie lange übergangen und ihre Leistungen verschwiegen. Deshalb finden Frauennamen lange Zeit kaum Widerhall in Nobelpreisen, Straßennamen und in Lehrplänen. Nichtsdestotrotz liebe ich die Kategorie „Die ersten ihrer Art“, denn durch sie werden Stereotype und Rollenzuschreibungen in Frage gestellt und dem Weiblichen anhaftende Grenzen erweitert.

Die ersten ihrer Art

Die erste Journalistin des Landes, Malika el-Fassi (1919 – 2007), erinnert mich noch einmal an die Bedeutung der Frauen für die Unabhängigkeitsbewegung des Landes. Als Aktivistin arbeitete sie am Manifest für die Unabhängigkeitserklärung mit, die sie als einzige Frau auch unterzeichnete (1944). Ihr verdanken die Marokkanerinnen das Wahlrecht, für das sie sich bei König Mohammed V einsetzte und in der Folge 1956 eingeführt wurde. Als Pionierin der marokkanischen Frauenbewegung gilt sie für viele als die Symbolfigur des Kampfes der Frauen für Emanzipation und Würde.

Wer taucht in unseren Köpfen auf, wenn wir an die Antarktis denken oder an Teleskope? Mit Sicherheit nicht Merieme Chadid (geb.1969), die als 1. Astronomin in der Antarktis arbeitete und 1998 das größte Teleskop der Welt in der Atacama-Wüste in Chile installierte.

Mit 19 Jahren vor ihrem Haus ermordet, aus unbekanntem Grund: Touiria Chaoui (1936 – 1956). Sie war die erste Pilotin Marokkos und der arabischen Welt und mit 17 Jahren die jüngste weltweit. Wem passte sie nicht in seine Vorstellungswelt?

Wer gewann 1984 in Los Angeles die Goldmedaille im 400 m, Hürdenlauf? Mit ihrem Sieg geht Nawal El Moutawakkel (geb. 1962) als erste afrikanische und muslimische Frau in die Geschichte der Spiele ein. Als ich lese, dass Radia Bent Lhoucine 50 Jahre alt war, als sie 1962 als erste marokkanische Malerin ihre Bilder ausstellen konnte, denke ich an die österreichische Künstlerin Maria Lassnig und ihre Schwierigkeiten in der männlich dominierten Kunstwelt Fuß zu fassen und Anerkennung zu finden.

Gleich nebenan locken Schattenrisse von Frauenköpfen im Profil und verweisen auf Heldinnen früherer Jahrhunderte. Als ich die Kurzbeschreibungen lese, staune ich von Zeile zu Zeile mehr über den Mut, den Kampfgeist und die Hartnäckigkeit dieser Frauen. Sie beeindrucken als Stammesführerinnen, Rebellinnen, Verbündete von Strafexpeditionen gegen Spanien und Portugal oder als Geld- und Ideengeberinnen öffentlicher Bauten.

Pionierinnen früherer Jahrhunderte

Fatimah Al-Fihria (800 – 880) zeichnet für die größte Moschee Afrikas in Fez verantwortlich. Ebenso gründete sie die älteste existierende, ununterbrochen lehrende und noch erhaltene Universität der Welt (Madrassah al-Qaraouiyine, gegr. 859.n.Chr.). Mit ihrem Erbe, ihren Ideen und ihrem Beharren auf Einhaltung des Zeitplans für den Bau, kommt der Tochter eines reichen tunesischstämmigen Kaufmanns eine bedeutende Rolle in der islamisch-theologischen Geschichte zu – einer Frau.

Selbst die Stadt Marrakech verdankt ihre Gründung einer Geschlechtsgenossin: Zaynab Nefzaouia (1039 – 1117). Nicht allen Frauen bekam ihr Erfolg gut. Grausam zu lesen, dass manche von ihnen ermordet, gefoltert oder lebendig begraben wurden.

Mit dem Ziel, zeitgenössische Künstlerinnen in ihrem Werdegang zu unterstützen, bietet ihnen das Frauenmuseum im 2. Stock die Möglichkeit, sich zu präsentieren und auszuprobieren. Zur Zeit meines Besuches im Dezember 2022 titelt die Ausstellung: „Women Photographers“ . Sie zeigt Werke dreier Fotografinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Besonders sprechen mich die Fotografien von Sarah El Ghouat an, die alltägliche Marokkanerinnen zeigen. Die Fotografin versteht es, in der Kombination mit hintergründigen Werktiteln zum Nachsinnen anzuregen und das Herz zu berühren. Da verzeihe ich gerne, dass die Fotos technisch noch nicht ausgereift sind. Es ist traurig zu hören, dass die junge Künstlerin im Alter von 25 Jahren an Corona verstarb. Im Gegensatz dazu wirken die geschönten Hochglanzfotos von Hind Aliliche auf mich flach und seelenlos. Nur vereinzelt durchtönt die Persönlichkeit der abgebildeten Frau die glänzende Oberfläche. Meist bleibt der „Spirit of Morocco“, wie sie ihre Fotoserie nennt, im Klischeehaften stecken. Was wird in den Fotos von Fatima Zahra Cherkaoui verhandelt, deren Serie „Mysterious“ überwiegend sinnliche, in kräftigem Rot geschminkte, aufgespritzt wirkende Lippen ins Zentrum der Fotos rückt: Verändern sie den Blick auf die Frau oder stehen sie mit ihren dem männlichen und umstrittenen Blickmuster eines Helmut Newton näher? Die Diskussion ist eröffnet – Was will eine Ausstellung mehr?

Blick vom Roof-Top-Cafe des Museums auf die Medina

Geschrieben von:

Marianne Wimmer, Frauenmuseensammlerin

 

Vom Traum zur Wirklichkeit – Über die Gründung des Frauenmuseums in Marrakech

Wie oft sind es die Zufälle im Leben eines neugierigen und lernbereiten Kindes oder Jugendlichen, die Personen, auf die jemand trifft und die Möglichkeiten anbieten, Ideen aufkeimen und großartiges Neues entstehen lassen – Nizar Gartit, der Gründer des Frauenmuseums erzählt:

Ich wuchs in einer traditionellen Familie auf und war das einzige von 4 Kindern, das sich Bildung aneignete. Ich war immer neugierig und wollte Neues lernen. Mit 10 Jahren traf ich auf einen französichen Nachbarn, der mir Französich und ein wenig Englisch lernte. Dabei entdeckte ich Neues über andere Kulturen, von dem ich in der Schule nicht hörte. Beim Spazierengehen durch die Medina lernte ich eines Tages zufällig den Gründer des Fotomuseums von Marrakech kennen, Herrn Manac’h. Mit meinen 16 Jahren kam ich das erste Mal mit einem Museum in Berührung. Für mich war das wie eine Initialzündung, meine Leidenschaft für visuelle Kultur erwachte. Ich begann, Fotos als Medium zu betrachten, das mir Kultur, Bräuche, Gesichter, Volksstämme, Städte,….nahebringen konnte. Dabei interessierte mich besonders die Geschichte der Frauen, die in den Bildern vermittelt wurde. Wie kleideten sie sich zu Beginn des 20. Jhdts? Wer waren sie? Während meiner Arbeit im Fotomuseum wurde mir bewusst, dass es dazu keine Antworten gab. In den Artikeln und Büchern zu geschichtlichen Ereignissen wurden sie nicht erwähnt. Ich fragte mich: Warum finde ich sie nicht in den Texten, ihre Namen und ihre Geschichten? Mit all meinen Fragen im Kopf organisierte ich schließlich während meines Geschichtestudiums eine erste Ausstellung mit Porträts unbekannter Frauen Marokkos. Ein Projekt in Frankreich brachte mich auf die Idee, einen Raum für all das zu schaffen, was fehlt – einen Platz für diese vergessenen Frauen und ihre Lebensgeschichten. Mit 23 Jahren, einem Studienabschluss und der Idee eines Frauenmuseums, kontaktierte ich verschiedene Institutionen und Menschen mit der Antwort: ‚Das ist eine höchst sensible Materie. Viel Glück! Wieviel Geld haben Sie?‘ Zum Glück fand sich ein Partner, mit dem ich ein Haus kaufen konnte und 2018 öffneten die Pforten des Frauenmuseums mitten in der Medina von Marrakech. Ich möchte hier allen Frauen Anerkennung zollen, den berühmten und einflussreichen genauso wie denen, die unbekannt bleiben. Sie alle sind das Gesicht und die Seele Marokkos.

Eines meiner Projekte, das ich ständig weiterentwickle, nennt sich „Positive Männlichkeit“. Männer sollen erkennen, wie privilegiert sie von der Gesellschaft werden und wie man verschiedene Handlungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten kann. Das Museum war mein Traum. Es bleibt weiterhin eine Menge zu tun, um Vorstellungen zu ändern, Kindern und der Gemeinschaft, die wir bilden, Beispiele zu geben.

Wie wunderbar passt doch diese persönliche Lebensgeschichte zu jenem Zitat von Fatima Mernissi, das im Eingangsbereich des Museums die Besucher*innen begrüßt.

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