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Eine kleine Kulturgeschichte des Hamsterns

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Sie haben es wahrscheinlich auch schon erlebt: Lange Schlangen vor Geschäften, Menschen, die mit Konserven vollgepackte Einkaufswagen zum Auto schieben, leere Regale in Supermärkten. Besonders als die ersten Nachrichten vom Coronavirus in Südtirol kursierten, begann auch hier das so genannte Hamstern.

Das Phänomen des Hamsterns – als des Anhäufens von Vorräten – ist nicht neu, das hat es immer schon gegeben. Verena Amort von Rai Südtirol hat im April die Mitarbeiterin des Frauenmuseums, Hannelore Schettler zu diesem Thema interviewt:

 

Verena Amort: Wann ist es, im Lauf der vergangenen Jahrzehnte, in unseren Breiten zu Hamsterkäufen gekommen?

Hannelore Schettler: 1916/17, 2-3 Jahre nach Ausbruch des 1. Weltkrieges wurde in Deutschland – damals noch das Deutsche Reich – in großem Ausmaß gehortet oder umgangssprachlich gehamstert.

Das war ja nicht nur kriegswirtschaftlich bedingt – sondern vor allem durch die Nordseeblockade der Engländer. Dadurch kam es europaweit zu einer großen Hungersnot. Auch Tirol war betroffen. In unserer Sonderausstellung im Frauenmuseum Ende 2014 – Oktober 2015 Unsichtbare Heldinnen – Frauenfront im Ersten Weltkrieg haben wir ausführlich darüber berichtet.

Bei uns in Deutschland ist diese harte Hungersnot des Deutschen Reiches 1916/17 als Der Steck- oder Kohlrübenwinter bekannt. Da begann das Hamstern auch wegen der offiziellen Rationierung auf vieler Güter und dass man nur eine bestimmte Höchstmenge an Vorräten im Privathaushalt haben durfte. Also gehamstert hatte das deutsche Bürgertum schon vor 1916. Aber dann getrauten sich auch die Arbeiterfamilien zu hamstern, weil es immer mehr Hunger und Unterernährung gab und es zu Hungerkrawallen zwischen der Stadt- und Landbevölkerung kam.

Nach dem 2. Weltkrieg fanden sogenannte Hamsterfahrten statt.

Von meiner Schwägerin weiß ich, dass nach dem 2. Weltkrieg in der sowjetischen Besatzungszone, die Oma meines Mannes die ganze Familie ernährt hat. Da ist sie mit irgendwelchen Wertsachen – wie Schmuck, Teile vom Tafelsilber, feinste Bettwäsche, Leintücher usw. auf Hamsterfahrt zu den Bauern aufs Land losgezogen und hat da immer was Essbares eingetauscht. In der Familie heißt es bis heute, dass die Oma mit ihren Hamsterfahrten das Leben von allen gerettet hat – weil immer etwas Essbares da war. Diese Zeit soll für die Oma die glücklichste gewesen sein, denn als Tochter eines wohlhabenden Standes konnte sie sich nie in einer Tätigkeit selber verwirklichen. Und da konnte sie zum erstmal Mal selbstständig agieren, bekam Anerkennung.

In ganz Berlin, kam es 15 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges zu großen Hamsterkäufen. Das war deswegen, weil 1960 in Berlin erstmals das Gerücht um einen Mauerbau herumging und dass Berlin dann abgeschnitten sein könnte. Da haben meine Schwiegereltern, die inzwischen in Charlottenburg im westlich gelegenen Teil Berlins wohnten, auch ganz schön gehamstert: Mehl, Eier, Butter, Kartoffeln und Karotten, Milch, Schokolade und Alkohol. Die Mauer wurde dann tatsächlich 13. August 1961 gebaut. Es hat lange gedauert, bis sich auch für Westberlin das Leben dann normalisierte.

VA: Welche Produkte „hamstern“ Menschen besonders gern? Lebensmittel (welche)? Toilettenpapier? Sprit?

HS: Allgemein und je nach Notsituation hamstern die Menschen wohl gerne Lebensmittel, Bargeld, Devisen, Gold oder Waffen.

In Kriegszeiten wurden keine Luxusgüter gehamstert. Da ging es ums Überleben, um die Grundnahrungsmittel wie Mehl, Zucker, Kartoffeln, Eier, Milch, Salz, Fett. Und vielleicht noch Seife. Wenn diese Grundnahrungsmittel infolge der gesteuerten Rationierung mit Lebensmittelkarten zu wenig waren oder ausfielen, verhungerten vor allem viele Kinder und alte Menschen. Vom 1. Weltkrieg ist auch bekannt, dass die Bäcker das Brot erst mit Kartoffelmehl oder Mehl aus Steckrüben oder Hülsenfrüchten gestreckt hatten. Als diese Nahrungsmittel auch knapp wurden, streckten sie das sogenannte Notbrot mit Sägemehl. Das war auch nicht sehr gesund. Darüber berichteten wir in der Sonderausstellung von 2014/2015 Unsichtbare Heldinnen – Frauenfront im Ersten Weltkrieg.

Ausstellungskatalog Unsichtbare Heldinnen: Frauenront im Ersten Weltkrieg, 2014/15
VA: Gibt’s geschichtliche Quellen übers Hamstern, oder dass man eben nicht hamstern soll (Frauenzeitschriften/Haushaltsbücher oder ähnliches)?

HS: Es gibt sehr viele geschichtlichen Quellen zum Horten bzw. Hamstern und wann treibt es den Menschen zum egoistischen Hamstern?… d.h. die Hortung von dringenden Gütern in Notsituationen in den Händen von wenigen, die dann anderen fehlen. In Notsituationen entsteht eine nicht fassbare Angst vor dem Unbekannten. Der Geist malt sich Szenarien des Hungerns aus, die Emotionen in der Tiefe schalten auf Überleben – und Hamstern wird dann zu einer Überlebensstrategie. Das hat es schon immer gegeben.

Auch im Römischen Reich, wo das Geld u.a. durch Hortung knapp wurde, kam es damit zum Zusammenbruch des Handels.

VA: Doch wann spricht man nicht von Hamstern, sondern von intelligenter Vorratswirtschaft?

HS: Ich denke da an die Bibelstelle mit dem Traum des Pharaos von den 7 fetten Kühen und 7 mageren Kühe und auch den Ähren. Josef deutete seine Träume dahingehend, dass 7 reiche Jahre und 7 Jahre der Hungersnot kommen würden. Er riet dem Pharao, in den guten Jahren genügend Getreide zu horten, was auch geschah. Das entspricht einer guten gesellschaftlichen Ethik, dass man sich Vorräte in Zeiten anschafft, wo es genug für alle gibt.

In unserer großen Sonderausstellung von 2019 Ausgekocht brachten wir das Beispiel von unseren bäuerlichen Ahninnen auf dem Land oder bürgerliche Ahninnen in der Stadt, die ja noch weit ins 19. Jahrhundert hinein eine ausgedehnte und nachhaltige Vorratswirtschaft betrieben, wo die Küche die Werkstatt von Hunderten von Produkten war. Wie z.B. eigene Teigwaren, Kraut, Dörrobst, Marmeladen, Bier, Würste, gepökeltes Fleisch bis hin zu Bohnerwachs oder Kerzen,- die dann sorgfältig im Vorratskeller oder Vorratsschrank gehortet wurden.

Ausstellung „Ausgekocht?“ im Frauenmuseum Meran 2018/19

Das Hamstern im 1. Weltkrieg diente dem Überleben, ist deswegen menschlich verständlich. Aber es blieben dann eben viele auf der Strecke, die nicht schnell genug oder wohlhabend genug waren. Im Deutschen Reich gab es zwar viele moralische Appelle und harte Strafandrohungen, um gegen das Hamstern vorzugehen, aber angesichts der Versorgungskrise und wachsenden Hungersnot  1916/17 ging das Hamstern weiter und erreichte seinen Höhepunkt 1919. Als die Versorgung sich danach verbesserte, hörte das Hamstern auch auf.

Im deutschen Nationalsozialismus wurde 1939 per Kriegswirtschaftsverordnung u.a. das Hamstern, Schwarzschlachtungen als Kriegswirtschaftsverbrechen sogar mit der Todesstrafe geahndet: „Todesstrafe für denjenigen, der „Rohstoffe oder Erzeugnisse, die zum lebenswichtigen Bedarf der Bevölkerung gehören, vernichtet, beiseiteschafft oder zurückhält und dadurch böswillig die Deckung dieses Bedarfs gefährdet“. Die Verfolgung dieser Verbrechen sollte an der sogenannten Heimatfront Ruhe und Disziplin gewährleisten.

Als 1986 eine radioaktive Wolke aus einem explodierten Kernkraftwerk in Tschernobyl in der Ukraine nach Deutschland zog, da kam es zu massiven Hamsterkäufen von Dosennahrung, H-Milch und Milchpulver. Es wurde damals gewarnt, Freilandprodukte vor allem Obst, Gemüse und Pilze zu meiden. Wir waren zu der Zeit in Afrika, aber konnten das in den Zeitungen verfolgen.

Als die Vogelgrippe 2006 die Menschheit in Alarm versetzte, wurden große Mengen an Medikamenten gehamstert, die angeblich gegen das Grippevirus wirken sollten.

Erinnern wir uns an das Verkaufsverbot von Glühlampen 2012. Ich selber habe mich gegen die Energiesparlampen gesperrt und mich auch an den Hamsterkäufen von den Glühlampen beteiligt.

Ja – und nun haben wir einen Ausverkauf von bestimmten Waren in Supermärkten und Drogeriemärkten. Die Corona Welle führt zum Hamsterkauf von Reis, Nudeln, Dosenbrot und Konserven, Desinfektionsmittel – und jede Menge Toilettenpapier. Das ist auch in Deutschland so, in den USA oder in Australien und vielen anderen Ländern.

Warum ausgerechnet das Toilettenpapier zum Hamstern reizt und sich Leute sogar um die letzte Packung prügeln, ist mir ehrlich gesagt völlig unverständlich – zumal das Virus ja keinen Durchfall hervorruft. Inzwischen ist allgemein bekannt, dass das Virus Husten und Fieber hervorruft und auf die Lunge geht – aber keinen Durchfall.

Warum in einer Zeit, wo Rückzug geboten ist, viel Vitamin C und ausgiebiges Händewaschen geraten wird, das Toilettenpapier zu einem Symbol der Sicherheit geworden ist, wäre doch mal interessant in einer Umfrage – auch per Telefon – herauszufinden, oder?

Foto: Pixabay

Die Lieferengpässe entstehen nur durch die Hamsterkäufe d.h. die Rotation der Waren ist erhöht, auf welche die Produktion nicht so schnell reagieren kann. Engpässe kann es höchstens bei Elektronik oder Kleidung kommen, die in Asien produziert werden.

Es gibt viele Stimmen, die vor dem Hamstern warnen. Das deutsche Magazin Der Stern schreibt, dass Hamstern asozial und gefährlich für die eigene Psychologie ist. Die Übersprunghandlung, mit der viele Bürger dem unsichtbaren Feind begegnen wollen, lässt sich längst nicht mehr rechtfertigen als Reaktion auf unruhige und unsichere Zeiten.

In Frankfurt am Main, der Stadt, in der ich großgeworden bin (nicht geboren), hat jetzt der Bürgermeister verfügt, dass Hamstereinkäufe verboten sind. An der Kasse werden nur noch haushaltsübliche Mengen angenommen. Andere Städte folgen dem Beispiel von Frankfurt. Bravo.

Wir leben in einer Zeit, wo wir uns nicht auf einen 3. Weltkrieg vorbereiten, sondern eine Grippewelle in den Griff bekommen müssen.

Hannelore Schettler, Mitarbeiterin im Frauenmuseum

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