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„Das unsichtbare Fundament der Gesellschaft zu sein bedeutet ja nicht nur Bürde und Last, sondern auch Macht.“

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Laura Volgger ist Künstlerin, Aktivistin und arbeitet im Bereich der kulturellen und politischen Bildung. Sie schloss in Österreich und Großbritannien das Studium der Geschichte und Politischen Bildung ab und studiert aktuell Fotografie und Visuelle Medien in Berlin. Sie arbeitete in verschiedenen Selbstorganisationen von und für Frauen mit Migrationsgeschichte, aktuell ist sie in Südtirol im Kollektiv „Frauenmarsch – Donne in Marcia“ engagiert. Ihre Installation „On Remembrance“ ist seit 2021 als Mahnmal für Femizidopfer in Italien in Form einer Wanderausstellung in norditalienischen Gemeinden unterwegs.

Laura Volgger stellt ihre Fotoserie „My Work Is Your Foundation“ in der Gastvitrine des Frauenmuseums vor. Am 1.12.2022 um 19 Uhr findet die Vernissage statt.

  • Seit wann definierst du dich als Feministin und was hat dich dazu gebracht?

Geboren wurde ich nicht als Feministin, aber im Laufe der letzten Jahre dazu gemacht. In Gesprächen mit Freundinnen sind wir irgendwann draufgekommen: Es ist nicht ok, in Beziehungen immer den Löwinnenanteil an Care-Arbeit zu leisten; es ist nicht ok, auf Partys ungefragt angefasst zu werden. Es ist nicht ok, von einem Partner kontrolliert zu werden, indem er ständig wissen will, wann man sich mit wem abgibt. Ich habe angefangen, in meinem Umfeld viel über feministische Themen zu diskutieren und habe während der Recherchen für die Diplomarbeit, mit Frauen mit Migrationsgeschichte gearbeitet. All diese Begegnungen, Diskussionen und Einblicke in fremde Biografien haben dazu geführt, dass ich nach Antworten auf scheinbar naturgegebene Ungleichheiten und Ungleichbehandlungen zu suchen begann und mit feministischen Theorien in Berührung kam. Heute engagiere ich mich im Kollektiv Frauenmarsch und nutze künstlerische und pädagogische Arbeit als Sprachrohr, um politische Bildung zu betreiben.

  • Sind deiner Ansicht nach junge Frauen vom Begriff Feminismus etwas abgeschreckt, wenn ja wieso und was könnte sie umstimmen?

Wenn man gewisse Dynamiken nicht hinterfragt, erscheinen sie normal, weil sie immer so waren, auch bei anderen Freundinnen so sind und deswegen vielleicht immer so bleiben werden. Ich kann mir vorstellen, dass viele beim Begriff „Feminismus“ ein stereotypes Bild vor Augen haben und der Meinung sind, feministische Netzwerke nicht zu brauchen. Hierzu kann ich nur sagen: Wenn du eine Frau bist und arbeiten darfst, dann danke einer Feministin! Wenn du eine Frau bist und wählen darfst, dann danke – ja: auch einer Feministin! Wenn du eine Frau bist und in öffentlichen Räumen stillen darfst, dann danke, surprise!, einer Feministin. Und wenn du eine Frau bist und selber entscheiden darfst, ob du ein Kind bekommen willst oder nicht, dann danke einer Feministin. Ohne diese Vorkämpferinnen wäre unser Leben heute wohl ziemlich öde. Es ist wichtig, diese historischen Errungenschaften nicht aus den Augen zu verlieren und sich gleichzeitig bewusst darüber zu sein, dass sie heftigen Angriffen ausgesetzt sind, wie aktuelle Debatten um Abtreibungsrechte leider zeigen.

Prinzipiell fände ich eine gewisse Wutkultivierung im Klassenzimmer sinnvoll, auch vonseiten der Lehrpersonen. Das heißt konkret: Zeitungsartikel mitbringen und besprechen, Mini-Forschungsprojekte zu Genderstereotypen im eigenen Alltag machen, politisches Geschehen thematisieren, Geschichte der Frauenbewegungen ansprechen – also politische Bildung in alle Unterrichtsfächer stärker einbeziehen. Kinder brauchen Vorbilder. Nicht nur im Familien- und Freundeskreis, auch im Klassenzimmer. Ich hatte meine ersten feministischen Vorbilder neben Büchern und der Pop-Kultur auch bei Lehrenden.

Laura Volgger
  • Haben alle deine künstlerischen Werke einen politischen Hintergrund? Hast du neben dem feministischen Engagement, auch weitere Schwerpunkte oder Themenbereiche, die dich beschäftigen oder brennen lassen?

Natürlich habe ich auch ein ästhetisches Interesse an Kunst, aber diese Art pflege ich dann für meinen eigenen Genuss. Ich liebe es zum Beispiel, andere zu porträtieren und im Abbild oft ganz neu kennenzulernen. Ich mag es auch, Alltagsszenen fotografisch zu inszenieren. Brennen lassen mich auch veganer Schokoladekuchen, Gin und meine Pflanzen, wenn ich merke, dass sie wieder gewachsen sind, obwohl ich sie zu Gießen vergessen hatte.

  • Hast du als Frau im Kunstbereich jemals Benachteiligungen erfahren?

Ich arbeite kaum im institutionalisierten Bereich der Kunst, daher eigentlich nicht. In den Kollektiven, in und mit denen ich arbeite, ist das Klima wertschätzend.

  • Was möchte deine Kunst erzeugen?

Ich liebe den Moment, wenn Menschen erst glauben, mit gewissen Themen nichts am Hut zu haben und dann nach Gesprächen und Wühlen in den eigenen Biographien doch merken, dass sie total in der Thematik drinnen sind. Da möchte ich eine Person zitieren, die sich am Projekt „My Work Is Your Foundation“ beteiligt hatte:

„Arbeiten zu Hause werden ausverhandelt, aber zu wenig konsequent. Die Konsequenz müsste – was aber wiederum Arbeit ist – von mir eingefordert werden. Darüber nachzudenken macht einer Person, die es gewohnt ist, einfach alles zu erledigen, so richtig bewusst, wie viel an Arbeit, die nicht verhandlungsbedürftig erscheint und über die nicht einmal geredet wird, sie täglich einfach so erledigt. Erledigen muss. Denn welch Unmengen an nicht erledigter Arbeit würden sich anhäufen und wer würde am Ende die angestaute Arbeit erledigen in einem von vorwiegend Männern bewohnten Haushalt, die es nie gelernt haben, einen Haushalt zu führen? Ein Haushalt muss nämlich in der Tat geführt werden und es genügt dabei nicht, wieder einmal etwas zu erledigen.“

Wenn ich solche Rückmeldungen erhalte, die zeigen, dass Denkprozesse in Gang gesetzt werden, dass reflektiert und über scheinbar „Natürliches“ und „Stabiles“ kritisch nachgedacht wird, dann kann ich nachts ruhig einschlafen.

  • Hat Kunst das Potenzial Chancenungleichheit aufzudecken oder umzupolen?

Ich sehe die Kunst unter anderem als Werkzeug, um Utopien oder alternative Gesellschaftsmodelle sichtbar zu machen. Das hat immer eine politische Motivation. Denn das beste Mittel gegen mangelnde Repräsentation ist, selbst aktiv zu werden und die Repräsentation verschiedener Gruppen, ihrer Interessen, Zugehörigkeiten und Identitäten selber zu erzeugen. Diese Möglichkeit, die öffentliche Wahrnehmung durch Kunst zu verändern, müssen wir nutzen. Indem beispielsweise unbezahlte Sorgearbeit künstlerisch sichtbar gemacht wird, speisen sich die produzierten Bilder in das kollektive Gedächtnis ein. Dies schafft wiederum nicht nur ein Sprachrohr für unbezahlte Sorgearbeit Leistende, sondern wirkt sich auch auf die Wahrnehmung der Realität jedes und jeder einzelnen von uns aus. Und ohne Einsicht keine Besserung! Bilder können die Vorstellungskraft aktivieren und dadurch unsere Gegenwart beeinflussen.

  • Was möchtest du mit deinem Werk „My Work Is Your Foundation” mitteilen?

Ich denke die Forderungen für einen Paradigmenwechsel hin zu mehr Gleichberechtigung weiter und kehre die Machtdynamik um: Was würde passieren, wenn die Menschen, welche unbezahlte Sorgearbeit leisten, ihre „Waffen“ plötzlich einfach niederlegen würden? Wenn sie die Arbeit verweigern, faire Bezahlung einfordern und streiken würden? Das unsichtbare Fundament der Gesellschaft zu sein, bedeutet ja nicht nur Bürde und Last, sondern auch Macht. Eine politische Handlungsmacht, die es in der kollektiven Forderung nach einer gerechten Arbeitsteilung, angemessenen Entlohnung und besserer Absicherung wirksam zu machen gilt.[1]

Ich beschäftige mich jetzt seit fast einem Jahr mit dem Thema und habe manchmal das Gefühl, am liebsten alles verändern zu wollen. Im Kern wären es drei Hauptbotschaften: Care-Arbeit ist ARBEIT, her mit fairer Bezahlung und Aufteilung von unbezahlter Sorgearbeit und Geschlechterstereotypen sind doof.

Foto-Credits: Laura Volgger
  • Wie wichtig ist es für dich, einen Bezug zu Südtirol beizubehalten?

Ich liebe die Berge und meine Familie. Letztere noch mehr. Daher wird Südtirol immer ein Mittelpunkt für mich bleiben.

  • Was sind dein Zukunftspläne/-Projekte/-Visionen?

Ein nächstes Projekt entsteht bald zusammen mit Berliner Künstler:innen und der Vereinigung der Brandenburger Frauenhäuser. Ziel ist es, eine alternative Bildsprache zu häuslicher Gewalt zu entwickeln. Damit die Bebilderung dieser Artikel nicht mehr nur aus Fäusten und zusammengekrümmten Frauenkörpern, Gesichtern mit blutunterlaufenen Augen oder sich die Hände über dem Kopf zusammenschlagenden Menschen besteht. Sondern eine, die versucht, die Stärke und den Mut der Frauen zu unterstreichen, die sich aus einer gewaltvollen Beziehung lösen. Auf dieses Projekt freue ich mich besonders. Auch auf die Beschäftigung mit dieser Thematik auf wissenschaftlicher Ebene, der ich mich in Zukunft wieder vermehrt im universitären Rahmen widmen werde.

[1] Was zählt überhaupt alles zu unbezahlter Sorgearbeit?!
Wäsche waschen, bügeln, Wäsche falten und wegräumen, Betten machen, aufräumen, saugen, Bad putzen, Blumen gießen, abstauben, Fenster, Kühlschrank und Ofen putzen, abspülen, Spülmaschine ein- und ausräumen, Abflüsse reinigen, Wocheneinkäufe erledigen, Obst und Gemüse einkaufen, Putzmittel nachkaufen, kochen, Mahlzeiten planen, Müll entsorgen, Altglas und Sperrmüll entsorgen, die Einkaufsliste pflegen, wischen, Maschinen entkalken, Geschirr nachkaufen, Recherchen für Strom und Versicherungen anstellen, Dekokram kaufen, Brotboxen für die Kiddies vorbereiten, Sportkleidung einpacken, Kleider auswählen, ungenutzte Kleidung verschenken, Gespräche mit älteren Kindern führen (Liebeskummer, Zukunftspläne…), Haare kämmen, Haustiere versorgen, Kinder in die Schule, den Kindergarten oder Pflegeeinrichtungen bringen und wieder abholen, Kleidergröße und Schuhe prüfen und sortieren, Nachtschichten bei Krankheit einlegen, Medizinschrank updaten, Kinder wickeln, Hausaufgaben betreuen, an Elternabenden teilnehmen, neue Kleidung kaufen und kaputte reparieren, Kinder wecken und ins Bett bringen, Erinnerungen und Fotos aufbewahren, zu ÄrztInnen gehen, Geburtstagsgrüße an FreundInnen und die Familie senden, Recherche für Sport- und Freizeitvereine durchführen, Taschengeld ausgeben und verwalten, Geburtstagsgeschenke organisieren, Koffer packen für den Urlaub, Familienausflüge und Urlaube planen – das alles erledigen Menschen nicht aus Liebe oder reinem Verantwortungsbewusstsein. Wir werden auf gewisse Weise erzogen. Aber Abhängigkeit und Fürsorglichkeit bilden den Boden für Verletzungsoffenheit.

Infos zu Teilnahme am Projekt unter: https://lauravolgger.art/projects/my_work_is_your_foundation

Foto-Credits gehen an Katrine Mosbæk (Instagram: @katrinelmosbaek)

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