Martha Lechthaler hat mit 54 Jahren – während ihrer Weltreise – beschlossen, in Indien zu leben. Sie gab ihren Posten als Pflegedienstleiterin im Schlanderser Krankenhaus auf und lebt inzwischen schon seit 12 Jahren in Indien, hat dort die Liebe ihres Lebens getroffen und betreibt ein Gästehaus. Im Interview erzählt sie uns von ihrem wechselvollen Leben und von ihrer Ehe zwischen zwei Kulturen.
Du hast 33 Jahre im Schlanderser Krankenhaus gearbeitet. Wie bist du zu deinem Beruf gekommen?
Angefangen habe ich als Krankenpflegerin, dann habe ich die Ausbildung zur Stationsschwester gemacht und nach weiteren Fortbildungen bin ich zur Pflegedienstleiterin ernannt worden.
Du warst lange Pflegedienstleiterin, wie war das für dich?
Es war eine Herausforderung, vor allem weil ich mich als Frau in einer Männerwelt behaupten musste. In diese Zeit fiel auch der Zubau zum Krankenhaus Schlanders, was für mich viel Verantwortung bedeutete, auch in Hinblick auf die Planung der Abteilungen, Logistik und Hygiene. Doch ich war immer glücklich in meiner Arbeit. Als Pflegedienstleiterin habe ich mich auch immer für die Vereinbarkeit der – hauptsächlich weiblichen – Krankenpfleger*innen eingesetzt. In meiner Amtszeit waren 48% davon Teilzeitstellen, das war südtirolweit ein Rekord.
Wie bist du nach Indien gekommen?
Nach dem Umbau am Krankenhaus war es für mich an der Zeit, eine Pause einzulegen. So ging ich 2007 gemeinsam mit einer Freundin auf Weltreise – ohne Uhr und ohne Handy. Gestartet sind wir in Mexiko und Indien war ein weiteres Ziel. Ich war damals 54. Zu dem Zeitpunkt ist schon langsam der Gedanke herangereift, dass ich einen neuen Lebensabschnitt beginnen kann und dass Arbeit zwar wichtig im Leben ist, aber eben nicht nur die Arbeit.
Warum bist du in Indien geblieben?
Zusammen mit meiner Freundin habe ich ein Haus in Südindien gemietet für drei Jahre. In der Zeit ist mir Indien ans Herz gewachsen. Ich habe mich verliebt in die Menschen, die Lebensart, die Kultur, das Klima, in die Kontraste und vieles mehr. Ich war fasziniert, beeindruckt und habe mich wohl gefühlt.
Dort hast du auch die Liebe deines Lebens kennengelernt, richtig?
Ja, durch Zufall ganz unverhofft, nach zwei Jahren. Ich habe keinen Mann gesucht. Und doch war es ein Geschenk für mich, dass ich ihn kennen gelernt habe.
Wie habt ihr euch am Anfang verständigt?
Gute Frage 😉 Am Anfang hat unser Englisch nur für Small Talk gereicht. Dann haben wir für drei Monate eine Wohnung gemietet und dort Englisch gelernt. So haben wir uns näher kennengelernt. Das war eine lehrreiche, unterhaltsame und wichtige Zeit in unserer Beziehung.
Wie lebt ihr eure verschiedenen Kulturen in eurer Ehe?
Wir respektieren und akzeptieren gegenseitig unsere Religionen und Kulturen. Niemand von uns muss sich verändern. Als wir 2012 geheiratet haben, war das ein riesen Ereignis für die lokalen Medien. In Angasar im Bundesstaat Rajasthan in Nordindien, wo wir jetzt leben, kommen keine Touristen hin und ich war praktisch die erste Ausländerin, die in dieses Dorf eingezogen ist.
Wie ist euer Gästehaus entstanden?
In unserem Haus sind Zimmer, damit mich meine Freunde und Familie besuchen können, die auch für andere Gäste offen sind.
Wie erlebst du das indische Familien- und Dorfleben?
Durch das positive Medienecho bei der Hochzeit wurde ich sofort herzlich aufgenommen und akzeptiert. Wenn ich im Dorf spazieren gehe, werde ich zum Chai eingeladen und ich war auch schon oft in der Schule zu Besuch, um von Europa zu erzählen.
Mein Mann musste zwar seine Mutter fragen, ob er mich heiraten durfte, aber sie hat mich gleich akzeptiert. Natürlich wird erwartet, dass ich mich dementsprechend kleide, ansonsten kann ich mich im Dorf und in der Stadt frei bewegen. Im Haushalt haben mein Mann und ich uns die Aufgaben aufgeteilt.
Wie erlebst du die Rolle von Frau und Mann in Indien?
Ich kann nur von der Umgebung sprechen, in der ich wohne. Hier in Rajasthan ist es so, dass die Frau eine große Wichtigkeit hat. Als Mädchen ist sie überhaupt nicht wichtig. Erst als Frau, wenn sie verheiratet ist und Kinder gebärt, kommt sie zu ihrer Wichtigkeit. Nach außen bleibt der Mann die Hauptperson. Nach innen ist es die Frau. Sie hat das Geld, bei Entscheidungen muss immer die Frau gefragt werden.
Dein Lebensmotto?
Es gibt in jedem Winkel der Erde wunderbare Dinge zu sehen, wenn man mutig genug ist, sein Herz und seinen Geist dafür zu öffnen.
Was ist für dich Erfolg?
Mein Weg zum Erfolg: Nimm dir Zeit, Impulse von außen können wertvoll sein, aber die Arbeit selbst lässt sich nicht delegieren, sie erfordert Zeit.
Wen bewunderst du?
Alle die vielen Frauen, die was bewegen im Großen und im Kleinen.
Welche Lebensweisheit hast du im letzten Jahr gewonnen?
Es geht nicht darum, deinem Leben mehr Tage, sondern deinen Tagen mehr Leben zu geben.
Der Titel dieses Beitrags spielt auf die Sonderausstellung “Gewonnene Jahre”, die 2016 im Frauenmuseum Meran war, an. Die Ausstellung vermittelte die Botschaft, dass jedes Jahr ein gewonnenes Jahr ist und das Leben bis ins Alter in all seinen Facetten gestaltet werden kann. Eine die das wahrlich in diesem Sinne umgesetzt hat und auch den Mut aufbrachte, etwas Neues zu wagen, ist Martha Lechthaler.
Interview: Sissi Prader und Judith Mittelberger