Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
Frauenmuseum | Museo delle donne

Ein Textdenkmal aus Verbundenheit, Respekt und Zuneigung

0

Interview mit Vera Zwerger-Bonell zu ihrem Debüt „schattenwärts“

Ich sitze mit Vera Zwerger-Bonell, die ich schon seit meiner Kindheit kenne, in ihrem wunderbar lebendigen, sprießenden Garten in Truden. Schon der Name, Truden, klingt irgendwie verwunschen, finde ich. Und so ist es auch: Wasser plätschert, ein Windspiel singt, zwei Katzen streunen umher und wir trinken Malvensaft.

Vera (geboren 1957) trägt eine farbenfroh-gemusterte Bluse und erzählt mir über ihr literarisches Erstlingswerk „schattenwärts – Lebensskizzen“, das 2022 beim Verlag ohne Geld (München) erschien und Episoden aus dem Leben dreier Südtiroler Frauen erzählt.

Das Gespräch nimmt wie folgt seinen Gang…

Lass uns recht allgemein beginnen: Was ist deine Schreib-Reise? Seit wann schreibst du und warum?

Sprache ist mir schon seit der Schule wichtig, Schreiben hat mir immer Spaß gemacht. Als ich mich für ein Studium entscheiden musste, war ich unentschlossen. Ich habe tatsächlich eine Münze geworfen, um mich zwischen Germanistik und Psychologie zu entscheiden – wobei die Münze Germanistik verkündet und ich schlussendlich doch Psychologie gewählt habe. Im Zuge meiner Verbeamtung als Lehrerin habe ich mich intensiver mit dem kreativen Schreiben auseinandergesetzt, und zwar im Unterricht selbst. Es war großartig zu sehen, dass die authentischsten Texte von den Schüler:innen kamen, die ansonsten nicht „leistungsstark“ im klassischen Sinne waren. Nachdem ich 15 Jahre lang unterrichtet hatte, ging ich ans pädagogische Institut nach Bozen und verlor das Schreiben aus den Augen. Erst zu meinem 50. Geburtstag habe ich mir vorgenommen, drei Frauen aus meiner Familie erzählerisch zu proträtieren. Zwischen Arbeit und Familie lag der Text dann ewig in der Schublade. In der Corona-Zeit habe ich mich ihm endlich wieder gewidmet.

Wer sind, beziehungsweise waren, die Figuren in „schattenwärts“? Wie kamst du auf die Idee, ihre Geschichten zu erzählen?

Die drei Frauen sind alle Vorfahrinnen von mir.

Mir war es wichtig, für meine Familie, für meine Kinder, diesen Frauen einen guten Platz zu geben. Ihre Geschichten liegen Generationen zurück, sie würden sonst vergessen. Aus Verbundenheit, aus Respekt, aus Zuneigung wollte ich ihnen auf meine Art ein Textdenkmal setzen.

Hast du unterschiedliche Verhältnisse zu den drei Portraits?

Mir fiel das Schreiben umso leichter, je entfernter die Figur mir selbst war. Ich erachte die erste Geschichte, die von einer meiner Vorfahrinnen handelt, die lange bevor ich geboren wurde starb, als am besten gelungen. Je näher die Figuren mir und meiner eigenen Zeit kamen, desto anstrengender wurde das Schreiben. Mir war es wichtig, die Perspektive der Figuren einzunehmen, also keine persönlichen Sichtweisen einfließen zu lassen.

Es wirkt, als wäre die Erinnerungskultur in deiner Familie sehr gepflegt worden. Hat dir jemand die Geschichten der drei Frauen erzählt?

Da ich die jüngste in meiner Familie bin, meine Geschwister sind um einiges älter, mein Vater starb als ich ein Jahr alt war, bin ich ähnlich einem Einzelkind mit meiner Mutter aufgewachsen. Sie hat mir viel erzählt, sehr lebendig und detailreich. Was mich dabei immer fasziniert hat: meine Mutter, die 1921 geboren wurde, hat mir Episoden aus dem Leben von Frauen erzählt, die bis 1880 zurückreichen.

Vera Zwerger-Bonell
Wie war der Schreibprozess an diesem Buch?

Es ist mir wichtig zu betonen, dass dem Buch beim Schreiben nur der familiäre Zweck zugrunde lag. Vielleicht hätte ich ganz anders geschrieben, wenn ich andere Adressaten im Kopf gehabt hätte. So lagen den Geschichten zu Beginn noch Familienstammbaum und Fotos bei. Erst nachdem ein befreundeter Verleger es drucken wollte, habe ich es anonymisiert.

Was ist es für ein Gefühl, dass nun fremde Menschen diese Geschichten lesen, die ursprünglich für deine Familie bestimmt waren?

Am Anfang war da ein gewisses Unbehagen; das Gefühl, aus einem intimen Kreis herauszutreten und sich zu öffnen. Mittlerweile habe ich viele positive Rückmeldungen erhalten und unterschiedliche Menschen erzählen, dass das Buch etwas in ihnen auslöst. Vor allem Frauen kommen auf mich zu und berichten, dass auch ihre Mütter Ähnliches erzählt hätten.

Mir sind vor allem zwei Themen aus dem Buch im Gedächtnis geblieben: die Psychiatrie als ein Schauplatz der ersten Geschichte und ein lesbisches Paar am Rande der zweiten Erzählung…

Ja, die Psychiatrie ist jene in Pergine und zeigt den Alltag in solchen Institutionen vor der Psychiatrie-Reform 1978 sehr gut. Damals hatten Patient:innen wirklich gar keine Autonomie, es war furchtbar.

Am Geschäft der zwei Frauen hingegen ging ich als Kind jeden Tag auf meinem Schulweg vorbei, es war kein so abgeschotteter Ort wie die Psychiatrie, obwohl auch sie ein zurückgezogenes Leben führten. Tatsächlich, wie sich in der zweiten Geschichte nachlesen lässt, mussten aber auch diese beiden schlimme Erfahrungen machen.

Bei solchen Themen sieht man, dass vieles über Generationen hinweg verschwiegen und tabuisiert wurde. Südtirol hat(te) rigide gesellschaftliche Regeln, sodass vieles unterdrückt wurde und wird. Das Buch zeigt: jede Familie weist Diversität auf – auch in Südtirol.

Wie kamst du zum Titel „schattenwärts“?

Die Frauenfiguren im Buch wurden durch ihre Zeit und die Anforderungen ihres sozialen Umfeldes in eine Schattenposition gedrängt – und haben sich irgendwann mit ihr arrangiert. Im Laufe ihres Lebens wurde ihre Energie immer weniger, die Träume die sie als junge Mädchen hatten wichen der damaligen Realität, in der für „einfache“ Frauen aus dem dörflichen Milieu nichts vorgesehen war. Dass sie sich dem fügten, keine „grinta“ hatten, wie man im Italienischen sagt, ist kein Wunder, nach all dem, was ihnen abverlangt wurde.

Auf dem Umschlag des Buches ist ein weiteres kreatives Werk von dir zu sehen: eine Kleinplastik…

Ja, die habe ich vor langer Zeit gemacht und fand sie sehr passend für das Buch, da der Schleier die junge Frau in einen Zwischenzustand versetzt: schläft sie? Oder ist sie tot?

Verrätst du uns, ob du schon an etwas Neuem schreibst?

Tatsächlich schon (lacht). Ich verbringe den Sommer gern im Garten und in meiner Töpferwerkstatt und den Winter in meiner Schreibstube. In den kommenden kalten Monaten werde ich mich dem neuen Projekt also intensiver widmen…

Zu guter Letzt würde mich interessieren, wohin du gehst. Ebenfalls schattenwärts oder doch eher neuwärts…?

Ich spüre eine große Spannkraft für eigene Projekte in mir, und gehe deshalb noch lange nicht schattenwärts. In diesem Sinne empfinde ich den Zustand als Pensionistin nicht als Belastung, wie viele Andere, sondern als Freiheit, mich mit dem zu beschäftigen, was ich mir selbst wünsche. Eine Freiheit, auf die ich lange gewartet habe. Meine eigene Zeit aber, die gebe ich mir.

 

Interview: Anna Messner

 

Schattenwärts | Vera Zwerger Bonell | Taschenbuch | ISBN 978-3-943810-34-9

Leave A Reply