Sie ist eine Frau, die viele Bücher liest. Um euch auf die neue Rubrik #Leselust auf unserem Blog einzustimmen, stellen wir heute Ulrike Steinhäusl vor. Ab nun wird sie in regelmäßigen Abständen Buchempfehlungen von Literatur von und über Frauen an uns weitergeben.
Wir durften ihr einige Fragen stellen, um sie besser kennenzulernen.
ERZÄHLEN SIE UNS VON IHREM HINTERGRUND.
Ich bin in Österreich in gutbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen und hatte das Privileg meine Kindheit auf den Wiesen, an und in den Seen und Flüssen des Salzkammerguts zu verbringen. Nach einem Übersetzer- und Dolmetscherstudium in Graz war ich eine Zeitlang in England, habe mich aber dann für das warme Spanien entschieden und einen Andalusier geheiratet. Meine Tochter Vanessa wurde auf den Kanarischen Inseln geboren, mein Sohn in Salamanca. Es waren Wanderjahre, die uns auch in die damals noch Spanische Sahara führten. Nach weiteren Studien während der Ehe habe ich in Würzburg zum Dr. phil. promoviert. Irgendwann sind wir berufsbedingt in Palma de Mallorca gestrandet. Ein Neubeginn und die damit verbundene Trennung zeichneten sich ab. Nach einigen spannenden Übersetzer- und Dolmetscherjahren konnte ich mit 57 Jahren noch einen Lehrstuhl für Germanistik an der Universität der Balearen in Palma de Mallorca ergattern. Bis zuletzt war ich bei internationalen Forschungsprojekten engagiert, die sich u.a. mit Biographien und Literatur jüdischer Frauen im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigt.
WAREN SIE IMMER SCHON FASZINIERT VON BÜCHERN ODER HAT SICH DIESES INTERESSE IM LAUFE DER ZEIT ENTWICKELT?
Ich habe als Kind und Jugendliche gierig gelesen, was ich in die Finger bekommen konnte. Der Bücherschrank meiner Eltern war gut bestückt. So manche Lektüre hätte ich als heranwachsendes Mädchen nach den damaligen Moralvorstellungen wohl noch gar nicht in die Hände kriegen dürfen. Durch das Studium von Sprachen und Literatur ist der Kontakt mit Büchern immer eng geblieben, war aber teils durch das Auge der Übersetzerin gefiltert und ist später durch akademische Notwendigkeiten und Interessen geprägt, ja vielleicht sogar davon belastet worden. Und es gab auch eine Zeit, in der das Leben so intensiv gelebt werden wollte, dass für Lesen nicht viel Zeit übrig blieb. Die ganz große Lust am Lesen ist im reiferen Alter wiedergekommen. Ohne akademische Dünkel und Vorurteile sich hineinwagen in Neuerscheinungen junger AutorINNEN; KlassikerINNEN mit anderem Verständnis und vor allem freiwillig lesen; Lyrik auf sich wirken lassen; andere Kulturen in Romanen erkunden. Und, und, und. Großartig ist es natürlich, wenn man eine Buchhändlerin zur Tochter hat.
WAS INSPIRIERT SIE AN BÜCHERN VON UND ÜBER FRAUEN
Es gibt eine Essay-Sammlung von Ruth Klüger, die „Frauen lesen anders“ heißt. Darin denkt sie vor allem über den Zugang weiblicher Leserinnen zu den Frauenfiguren von männlichen Autoren nach. Und kommt zu dem Schluss, dass Frauen anders lesen als Männer, wei sie anders leben als Männer. Immer noch, auch wenn die unnötigen Unterschiede in der Erziehung der Geschlechter immer kleiner werden, und auch geringer geworden sind in den fast 50 Jahren, die seit der Veröffentlichung des Buchs vergangen sind. Es gibt Autoren, deren Zugang zu Frauenfiguren erstaunlich empathisch ist, andere wieder sind so unerträglich paternalistisch und herablassend, dass eine gewisse Gereiztheit bei der Leserin nicht ausbleiben kann und soll. Dass dabei der historische Kontext eine Rolle spielt, ist klar. Es ist aufschlussreich, teils irritierend, aber auch spannend, was Frau sein in der von Männern geschriebenen Literatur alles bedeuten kann.
Schreiben Frauen anders? Laut dem 2010 herausgekommenen Buch „Was Frauen schreiben“ derselben Autorin kommt Klüger zu dem Schluss: Nein. Doch sehen sie die Welt durch anders geschliffene Gläser. Viele sehen genauer und schonungsloser hin, nicht zuletzt auf eigene Erfahrung bauend: auf sich selbst, auf die Gesellschaft, auf die Beziehungen. Gerade in der hybriden Gattung „Autofiktion“, einer Mischung von Autobiographie und Roman, findet man unglaublich inspirierende und mutige Texte. Sicher bleibt ein gutes Buch immer ein gutes, und ein schlechtes ein schlechtes, unabhängig von Genderfragen.
GLAUBEN SIE, DASS IN ZEITEN DER DIGITALISIERUNG DAS LESEN VON BÜCHERN, VOR ALLEM BEI JUNGEN LEUTEN AUS DER MODE KOMMT?
Zu dieser Frage habe ich mich umgehört im Familien- und Bekanntenkreis. Das Fazit ist, dass es, grob gesprochen, zwei Gruppen bei den jungen Leuten gibt. Jene, die vor allem im Internet zuhause sind und kaum längere zusammenhängende, gedruckte Texte lesen. Und jene, die gerade jetzt in den zurückliegenden Covid-Zeiten das Lesen für sich entdeckt haben. Es soll ja sogar unter den Jungen einen Aufwärtstrend zum Lesen von Klassikern geben. Das können antike, alte oder moderne Klassiker sein. Aus der moderneren Zeit vermehrt auch Klassikerinnen, natürlich.
KÖNNEN SIE SICH AN DER ALLERERSTE BUCH ERINNERN, DAS SIE ALS KIND GELESEN HABEN?
Eines meiner ersten richtigen Bücher mit Illustrationen habe ich mit drei Jahren vom Christkind bzw. meinem Opa geschenkt bekommen. „Die Abenteuer des kleinen Hansel“ heißt es, „den Kindern erzählt von Manuel Oppitz“. Es hat entsetzlich unheimliche Illustrationen. Es gab einen Riesen Fressdichauf: „Mit einem Messer, scharf und krumm, schleicht heimlich er im Wald herum. Und Mensch und Tier und Vögelein stopft er sich in sein Maul hinein…“. Ein riesiges Ungetüm, das Wokenwulli hieß und sogar die Sonne schlucken konnte, und einen bösen Riesen, der in den Zwerg Schnudiputz verwandelt wird. Als ich das Buch endlich selber lesen konnte, konnte ich es fast auswendig. Zimperlich und politisch korrekt war man damals wirklich nicht. All das machte natürlich Angst, aber die gute Alpenfee in ihrem Königreich Tirol (siehe da!) hat dann wieder alles gutgemacht. Schon vergilbt und zerfleddert wurde es auch von meinen Kindern und meinem Enkel gelesen und geliebt.
WELCHES BUCH SOLLTE JEDE FRAU, IHRER MEINUNG NACH, EINMAL GELESEN HABEN?
Jede Frau braucht ein anderes Buch zu einer anderen Zeit. Da möchte ich mich nicht festlegen. Vielleicht haben Sie gehofft, ich nenne jetzt ein Buch aus dem Kanon de Feminismus. Da muss ich Sie enttäuschen. Eines zu nennen, hieße andere zu vernachlässigen. Bei mir sind es immer die zuletzt gelesenen Bücher, die mich weiterführen und zurück- oder vorwärts leiten, sich mit anderen verbinden, mit Erfahrungen und bereits Gelesenem assoziieren. Das Denken ohne Geländer, wie Hannah Arendt das so treffend nannte, ist wichtig. Es gibt eine Zeit für Lyrik, für Philosophie, für historische Romane, für Liebesromane, und und und. Gut müssen die Bücher sein. Und sogar darüber kann man streiten.
Interview: Sissi Prader & Nicole Bergamo