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Leselust

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Vanessa Gómez-Salas Steinhäusl stellt uns heute in der Rubrik #leselust zwei  spannende Bücher vor.

 

Weibliches Schreiben mit scharfem wütenden Blick

Anke Stellings „Schäfchen im Trockenen“ und Nina Lykkes „Alles wird gut“

Schon vor etwa 90 Jahren forderte Virginia Woolf in einem Vortrag, dass Schriftstellerinnen den Engel im Hause töten und endlich die Wahrheit über sich selbst und ihren Körper schreiben sollten. Sie meint damit natürlich den Ausbruch aus der vom Patriarchat eingeschränkten weiblichen Rolle als hochanständige Gattin und liebevolle Mutter. Damals kam das einer Revolution gleich. Inzwischen ist das zornige Anschreiben gegen die tradierten Rollen und gegen das verschämte Schweigen in den von Frauen verfassten literarischen Texten gang und gäbe. Weibliche Autorinnen sind laut geworden, selbstbewusst, ironisch, manchmal überspitzt, aber auch scharfsichtig, nicht ohne Mut zur Peinlichkeit und Unsicherheit. Noch immer werden diese Werke vor allem von männlichen Kritikern mit herablassender Geste als „Frauenliteratur“ bezeichnet, was schon eine qualitative Herabstufung bedeutet: von Frauen geschriebene Bücher, die dann wieder von Frauen gelesen werden. Während Frauen seit Jahrhunderten nichts anderes übrig blieb, als sich mit der männlichen Weltsicht und ihrem Blick auf das weibliche Geschlecht in deren literarischen Werken auseinanderzusetzen, gibt es zumindest das Vorurteil, dass Männer nicht gern von Frauen geschriebene Bücher lesen.  Was weibliches Schreiben im heutigen Zeitgeist bedeutet, seine Sichtbarkeit in den Medien und im Literaturbetrieb, ist zunehmend Thema vieler Essays und Artikel. Ein komplexes und hochbrisantes Geflecht aus historischen Altlasten und zeitgenössischer Aufbruchsstimmung.

Die Romane „Schäfchen im Trockenen“ der deutschen Autorin  Anke Stelling (1971) und „Alles wird gut“ der norwegischen Schriftstellerin Nina Lykke (1965) sind nur zwei Beispiele aus einer Reihe von Büchern, die zeitgenössische weibliche Lebensgeschichten thematisieren und damit die existentiellen  Unsicherheiten und Probleme, mit denen ihre Protagonistinnen zu kämpfen haben.

Bei „Schäfchen im Trockenen“ ist es die Protagonistin Resi, die versucht ihre schriftstellerische Tätigkeit mit vier Kindern in Einklang zu bringen. Vor allem möchte sie ihrer ältesten Tochter Bea Ratschläge mitgeben, wie man es im Leben besser und erfolgreicher machen könnte, obwohl sie es selber nicht ganz genau weiß. Dabei gelingt Anke Stelling ein messerscharfes ironisches Bild der heutigen Mittelklasse und des noch immer bestehenden Standesunterschiedes trotz angeblicher Chancengleichheit. Das intensive Wutschreiben, dem ein mikroskopisch genaues Hinsehen und Hinterfragen einer angeblich so toleranten linksliberalen Gesellschaft zu Grunde liegt, ist manchmal anstrengend. Weglegen will man das Buch aber dann doch nicht, auch wenn man manchmal zusammenzuckt, weil der Text nicht gefiltert ist durch irgendeine Schönrednerei und mildernde soziale Floskeln. Dass die Autorin Jelinek und Bernhard kennt, scheint mir wahrscheinlich.

Auch die Norwegerin Nina Lykke zeichnet in ihrem Roman „Alles wird gut“ scharfsichtig, ironisch und wütend das Bild der, ach so aufgeschlossenen, linksliberalen Gesellschaft. Hier ist die Protagonistin eine Ärztin für Allgemeinmedizin, die ihre Patienten innerhalb einer Gemeinschaftspraxis in Oslo betreut. Gleich auf der ersten Seite eine Einführung in ihre medizinische Welt: „Ich habe alles durch, glutenfrei, laktosefrei, zuckerfrei, jede Schlagzeile in den Zeitungen und im Netz, die gesunden Menschen einredet, wenn sie kein Brot oder keinen Käse mehr essen, renkt sich alles wieder ein“.  Mit einem Hämorrhoiden-Patienten geht es weiter. Die Einblicke in den Alltag einer Allgemeinmedizinerin sind trocken, humorvoll und schonungslos. Das Eigenheim samt ihrem Mann, der Orthopäde ist und vor allem am Skifahren interessiert ist, hat die Ärztin fluchtartig verlassen. Ihre Töchter studieren bereits. Unmittelbarer Grund für die Flucht aus der Ehe ist ein wieder aufgeflackertes Verhältnis zu einem Jugendfreund, das nicht unproblematisch abläuft. In ihrer Verzweiflung schläft die Frau eine Zeitlang auf der Behandlungspritsche ihrer Ordination und führt Gespräche mit dem da aufgestellten Plastikskelett. Dem erzählt sie zornig von ihren Unsicherheiten, ihren alltäglichen Anforderungen mit den Patienten und der immerwährenden Angst zu versagen.

Wie auch im fiktionalen Selbstporträt der Schriftstellerin Resi in „Schäfchen im Trockenen“ beschäftigen die norwegische Ärztin Elin in „Alles wird gut“ Themen wie Familie und Beruf, die Stellung der Frau in der Gesellschaft, die weibliche Körperlichkeit und das Älterwerden. Und beide haben ein überaus kompliziertes Verhältnis zu ihrer Mutter. Es sind zum Teil Angelegenheiten, die in der Vergangenheit als trivial oder unsagbar galten, welche die heutigen Schriftstellerinnen durch die Stimmen ihrer Antiheldinnen sichtbar machen. Es entstehen Bilder der heutigen Gesellschaft, ihrer Verlogenheit und Schwächen, durch einen weiblichen Blickwinkel. Es ist nur logisch, dass dieses Prisma anders ist als das männliche. Vielseitig, spannend und meiner Meinung nach notwendig, ist die weibliche Perspektive auf jeden Fall.

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