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60 Jahre Pille – Ein Meilenstein der Frauengeschichte

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1960 kommt die Pille in Amerika auf den Markt. Ein Jahr später ist es in Europa soweit. Für die einen ist sie Stein des Anstoßes, für die anderen Symbol der sexuellen Befreiung. Bis heute sind immer wieder neue Diskussionen um die Pille und hormonelle Verhütung entbrannt. Doch eines ist sicher – die Erfindung der Pille ist ein Meilenstein der Frauen- und der Medizingeschichte des 20. Jahrhunderts. Von Frauenrechtlerinnen hartnäckig erkämpft, hatte die Pille innerhalb weniger Jahre enorme Erfolge zu verzeichnen und hatte das Sexualleben vieler Menschen verändert.

Die Dinnerparty

Auf einer Dinnerparty im Jahr 1951 in New York kommen zwei ältere Damen und ein Wissenschaftler ins Gespräch. Eine der beiden Damen fragt ihn, wie viel denn die Erforschung eines hormonellen Verhütungsmittels für die Frau kosten würde. Er schätzt 125.000 Dollar. Und liegt damit gewaltig daneben. Die Dritte im Bunde, Erbin eines millionenschweren Vermögens, willigt ein, die Forschungen finanziell zu unterstützen. 9 Jahre später hat sie zwei Millionen Dollar in die Entwicklung der Pille investiert, was heute so viel wie 18 Millionen Dollar entspräche. 1960 kommt die erste Antibabypille unter dem Namen Enovid in den USA auf den Markt.

Titelbild der Zeitschrift „Birth Control Review“ 1919, Margaret Sanger / Public domain

Wer waren die beiden Frauen?

Die wohl größte Kämpferin für eine sichere Verhütungsmethode für Frauen ist Margaret Sanger (1879 – 1966). Zu dem Zeitpunkt besagter Dinnerparty ist sie bereits 72 Jahre alt und kurz vor dem größten Erfolg in ihrem lebenslangen Kampf für sichere Empfängnisverhütung für Frauen. Wie sie dazu kam? Sie ist selbst Tochter einer kinderreichen Familie: Ihre Mutter war insgesamt 18 Mal schwanger, hatte davon 7 Fehlgeburten und starb mit nur 43 Jahren. Margaret Sanger ist als Krankenschwester häufig in den Armenvierteln New Yorks tätig und erlebte das Leid, die Armut und die Erschöpfung in Familien mit zu vielen Kindern. Nicht selten leiden Frauen an den Folgen einer illegalen Abtreibung. Als sie dabei ist, als eine 28-jährige stirbt, da sie selbst versucht hatte, ihre Schwangerschaft zu beenden, entscheidet sie für sich, etwas tun zu müssen. Und so widmet sie ihr Leben dem Kampf für zuverlässige Verhütung. Sie sagt: “Mir wurde plötzlich klar, dass meine Arbeit als Krankenschwester und meine Aktivitäten im Sozialdienst nur lindernd wirkten und daher nutzlos waren, um dem Elend, das ich um mich herum sah, einzudämmen.”

Sie schreibt Zeitungsartikel, gibt eine eigene Zeitschrift heraus, prägt den Begriff “birth control” (Geburtenkontrolle), eröffnet die erste Geburtenkontrollklinik in New York und gründet die American Birth Control League (später in Planned Parenthood Association umbenannt). Nicht nur einmal wird sie für ihren Einsatz verhaftet – Verhütung ist zu dem Zeitpunkt in den USA noch verboten.

Margaret Sanger, Bild: Bain News Service / Public domain

Katharine Dexter McCormick ist langjährige Freundin und engste Mitstreiterin von Margaret Sanger. Sie selbst hat als zweite Frau am Massachusetts Institute of Technology Biologie abgeschlossen und ist eine feurige Verfechterin des Frauenwahlrechts. Sie hat Sanger sogar damit unterstützt, indem sie Diaphragmen in die USA geschmuggelt hat. Nach dem Tod ihres Ehemannes fragt sie Sanger, wie sie ihr Vermögen einsetzen kann, um die Forschung um Empfängnisverhütung zu fördern.

Katharine Dexter McCormick, Bild: Bain / Public domain

Die Entwicklung des Medikaments

Der Wissenschaftler, mit dem Sanger und McCormick auf der Dinnerparty sprechen, ist Gregory Pincus, ein Endokrinologe, der schon seit einiger Zeit zu der Wirkung von Hormonen forscht. Gemeinsam mit seinen Mitarbeiter*innen erarbeitet er in einigen Jahren die erste Pille Enovid. Da Verhütung zu dem Zeitpunkt in vielen US-Staaten verboten ist, werden erste Tests an Menschen in Puerto Rico durchgeführt. Aufgrund schwerer Nebenwirkungen kündigen zahlreiche Frauen ihre Teilnahme an der Studie. So wird entschieden, die Pille an Insassinnen einer psychiatrischen Anstalt in Massachusetts zu testen – ohne ihre Zustimmung und ohne sie zu informieren. Als entschieden wird, den Portorikanischen Frauen über die Wirkung der Pille Bescheid zu geben, melden sich plötzlich zahlreiche Freiwillige, doch auch sie werden nicht darüber aufgeklärt, dass es sich um ein Experiment handelt.

1957 kommt das Medikament erstmals auf den amerikanischen Markt – getarnt als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden mit einer beigelegten Warnung, dass sie auch verhütend wirkt. Erst 1960 wird die Pille offiziell als Verhütungsmittel verkauft. Die Nachfrage ist gewaltig. 1965 nimmt jede vierte verheiratete Frau in Amerika die Pille. 1967 sind es weltweit 13 Millionen Frauen, 1984 50-80 Millionen und 2013 mehr als 100 Millionen Frauen weltweit.

Wie kam die Pille nach Europa?

Ab 1961 wird die Pille in Westdeutschland verkauft – als Antibabypille. Im prüden Nachkriegsdeutschland ist das für viele ein Affront: “Die Antibabypille automatisiert die Liebe und versaut die Moral”.

1964 kommt sie in die DDR – als Wunschkind-Pille – und ohne Aufschrei der Empörung. Dass Frauen nur erwünschte Kinder bekommen sollen, denen es dann auch besser ergeht, wird als etwas Positives gesehen.

Ab 1965 ist sie in Italien erhältlich, allerdings nur, um Zyklusstörungen zu therapieren, nur für verheiratete Frauen und dann nur mit Zustimmung des Ehemannes.

Befürchtungen um einen Verfall der Sitten, um Promiskuität, eine erhöhte Scheidungsrate usw. werden laut, auch und vor allem von Seiten der Kirche. Erst am 10. März 1971 hebt das Verfassungsgericht in Italien den Artikel 553 des Strafgesetzbuches auf, der die Herstellung, den Handel und die Werbung für Verhütungsmittel verbietet.

Behälter der Enovid Tabletten, frühe 1960er Jahre, Quelle: Wikimedia Commons

Welche gesellschaftlichen Umwälzungen hat sie begleitet?

Die Pille gibt Frauen die Kontrolle über ihre eigene Fruchtbarkeit und damit können sie erstmals entscheiden, ob und wann sie Kinder möchten. Die Gesundheit von Müttern und Kindern hat sich mit Einführung der Pille gebessert, die Kindersterblichkeit sinkt und Frauen kommen einen Schritt näher an den Zugang zu Bildung, politischer und beruflicher Mitgestaltung.

Die Pille ist auch im Kontext der sexuellen Revolution der 60er und 70er Jahre zu sehen. Sie hat Geschlechtsverkehr und Fortpflanzung voneinander getrennt und hat Familienplanung kulturell etabliert.

Die Nebenwirkungen

Die Pille hat viele Vorteile gebracht, aber auch die Nebenwirkungen bleiben nicht aus: Schwindelgefühl, Kopfschmerzen, Magenprobleme, Übelkeit und Erbrechen. Die erste Pille von 1960 enthält ungefähr 10 mal so viele Hormone, als notwendig wären. Dr. Edris Rice-Wray hat die ersten Studien in Puerto Rico geleitet und in ihrem Bericht zwar eine 100%ige Sicherheit der Empfängnisverhütung bestätigt, aber das Medikament als ungeeignet bezeichnet, wegen zu hoher Nebenwirkungen. Eine Frau ist an Herzversagen verstorben und eine andere hat eine Lungentuberkulose. Gregory Pincus, Leiter des Forschungsteams, ignoriert diese Bedenken und tut sie als Einbildung der Studien-Teilnehmerinnen ab. Die FDA (Food and Drug Administration in Amerika) befindet, dass die Pille schlussendlich mehr Frauen vor Geburts- und Abtreibungsproblemen schützt, als ihre Nebenwirkungen Schaden anrichten.

Es vergehen noch einige Jahrzehnte an Forschung, um herauszufinden, dass es eine viel kleinere Menge an Hormonen benötigt, um sicher zu verhüten. Trotzdem bleiben bis heute die Nebenwirkungen nicht aus.

An einer hormonellen Verhütungsmethode für den Mann wird ebenfalls seit Jahrzehnten geforscht. Theoretisch ist die Pille für den Mann schon lange erfunden – praktisch kommt sie aber nicht auf den Markt, wegen zu großer Nebenwirkungen. Aber mehr dazu in unserem nächsten Blogpost am Mittwoch.

 

 

Judith Mittelberger

 

Quellen:

https://www.emma.de/artikel/verhuetung-die-muetter-der-pille-265334

https://nonunadimeno.files.wordpress.com/2016/11/storia-pillola-x-cartelloni.pdf

https://www.deutschlandfunkkultur.de/warum-die-pille-fuer-den-mann-nicht-kommt.1067.de.html?dram:article_id=175729

https://www.plannedparenthood.org/files/1514/3518/7100/Pill_History_FactSheet.pdf

www.ilpost.it/2019/09/14/margaret-sanger-aborto-pillola

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