Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
Frauenmuseum | Museo delle donne

Auf nach Amerika…

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…zu Flughäfen und Einkaufszentren, in Kunsttempel und kleine Galerien, zu ehemaligen Farmen und Fabriken, in Wohnhäuser, Geschäfte und Büroräume – kurz: zu gewöhnlichen und außergewöhnlichen Standorten, die Frauenmuseen beherbergen.

Wir schreiben das Jahr 2018 und befinden uns auf den Spuren von Frauenmuseen im Osten und Mittleren Westen der USA, die den Verlauf unserer Reiseroute bestimmen. Die Sehenswürdigkeiten entlang der Route bilden sozusagen den Zusatznutzen. Nach 4 Wochen und 4 546 Meilen durch 15 Bundesstaaten, bilanzieren meine Freundin Resi und ich: 14 Frauenmuseen, eine Menge schöner Erlebnisse, einen großen Zuwachs an Wissen und interessante Begegnungen mit freundlichen Menschen.

Thematisch spannt sich der Bogen von Frauenwahlrecht und Suffragetten, über Luft- und Raumfahrt, Bürgerkrieg und Basketballsport, zu Frauen der Appallachenregion, Künstlerinnen und vieles mehr. In den folgenden Blogbeiträgen können Sie uns auf dieser inspirierenden Reise durch die amerikanische Frauengeschichte begleiten.

Route entlang von Frauenmuseen in den USA
Auf den Spuren von Frauenmuseen im Osten und Mittleren Westen der USA

Nach der Übernahme des Mietautos am Newark Airport führt uns die Interstate 95 gleich einmal quer durch die Bronx, einen nicht mit dem besten Ruf behafteten Stadtteil im Norden New York Citys. Langsam, sehr langsam, mit zwischendurch immer wieder einmal Stillstand, stauen wir den Cross Bronx Expressway mit seinen unzähligen Auf- und Abfahrten entlang. Nach etwa drei Stunden haben wir es geschafft. Weiter geht es auf der Interstate.

Voller Vorfreude erreichen wir um 13:00 Uhr Attleboro, wo wir das erste Frauenmuseum dieser Reise besuchen wollen. Laut Auskunft im Internet und Nachfrage via E-Mail hat es an Samstagen von 11:00 Uhr bis 16:00 Uhr geöffnet:

Women at Work Museum Attleboro, USA
Women at Work Museum Attleboro, USA

Der erste Schock: Die Tür neben dem Museumsschild – versperrt. Doch aufgrund meiner Recherchen weiß ich, dass das Juweliergeschäft „Attleboro Jewelry Makers“, das sich im anschließenden Gebäude befindet, dazugehört. Noch immer hoffnungsfroh betreten wir den Laden, um zu erfahren, dass das Museum derzeit wegen Renovierung und Umzug geschlossen ist. Doch wir haben Glück im Unglück. Frau Nancy Young, die Museumsgründerin und Besitzerin des Juweliergeschäfts, ist anwesend und wird sich Zeit für uns nehmen. Im Moment bedient und berät sie ein Paar beim Kauf eines Schmuckstückes. Schon an der Art, wie eingehend und ausführlich sie sich mit den Wünschen der Kundschaft auseinandersetzt, merkt man ihre persönliche Beteiligung und Hingabe an ihre Arbeit. Mit der gleichen Zuwendung und Aufmerksamkeit widmet sie sich anschließend uns. Stolz auf die Familientradition erzählt sie:

Unser Betrieb designt Schmuck, stellt ihn her und vertreibt ihn – und das bereits in der 7. Generation. Mit meiner 96jährigen Mutter als ältestem Familienmitglied, leben derzeit 5 Generationen gleichzeitig.

Women at Work Museum Attleboro, USA
Women at Work Museum Attleboro, USA

Die Erlebnisse der Frauen ihrer Familie über die Generationen hinweg, nennt sie als ein wesentliches Motiv, das sie zur Gründung des Museums veranlasste:

Obwohl die Frauen Großartiges leisteten, innovativ waren und wesentlich zum Aufbau und Erfolg des Unternehmens beitrugen, mussten sie ihre Namen hinter jenen der Männer verstecken. Sie durften z. B. nicht als Betriebsbesitzerinnen firmieren. Sogar ich selbst verwendete in meinen jungen Jahren einmal ein männliches Pseudonym, um ein Produkt auf den Markt zu bringen. Übrigens: Mit 26 Jahren eröffnete ich mein erstes Geschäft.

Ihr Engagement in Sachen „Frauen“ beschränkt sich nicht nur auf die eigene Familie, sondern kommt auch im Unternehmen zum Tragen. Aus ihrer eigenen Zeit als berufstätige Mutter weiß sie, was es für Frauen bedeutet, arbeiten zu gehen und Kinder zu betreuen. So achtet sie in ihrem Betrieb darauf, die Arbeitszeiten für die Frauen so zu gestalten, dass sie Arbeit und Kinderbetreuung vereinbaren können. Selbstbewusst äußert sie:

Aus meiner Position heraus setze ich hier die Regeln, auch, wenn männliche Teilhaber meinen, dass das nicht ginge.

Diese Rücksichtnahme auf die Situation der Frauen ist insofern bemerkenswert, da ich aus Gesprächen weiß, dass gerade Frauen in Führungspositionen oft die schwierige Lage ihrer Geschlechtsgenossinnen vergessen und wenig Verständnis für sie aufbringen. Konkurrenz gewinnt oft die Oberhand gegenüber Frauensolidarität. Die Gründe dafür sollten wir aber nicht in den Frauen und ihren Eigenschaften suchen, sondern in der Tatsache, dass Frauen nicht im luftleeren Raum leben und erzogen werden. Von Kindesbeinen an lernen sie die Spielregeln des Patriarchats kennen und handeln schließlich nach ihnen.

Wenn uns der kalte Wind ins Gesicht bläst, hält sich die Solidarität nur bei den Frauen, die das sowohl durchdacht als auch durchfühlt haben, die nicht einfach nur eine Mode mitgemacht haben. Solidarität ist nichts Oberflächliches. – Irmtraud Morgner (1933 – 1990), dt. Schriftstellerin

Frau Young betreibt auch noch auf andere Weise Frauenförderung. Als sozial engagierte Frau bietet sie weiblichen Jugendlichen aus finanziell weniger begüterten Familien die Möglichkeit, im Betrieb ein Praktikum zu absolvieren:

Gerade für sie ist es wichtig, verschiedene Bereiche kennenzulernen, wie Marketing, Design, Verkauf und Produktion. Sie sollen herausfinden können, ob ihnen diese Arbeit bzw. Branche gefällt. Vielleicht entdecken sie, dass ihnen die Arbeit Freude macht, dass sie über ein besonderes Geschick oder eine spezielle Begabung in einem Bereich verfügen.

 

Wohin du auch gehst: Dein Job ist es, ein, zwei andere Frauen mitzunehmen. Wenn du das nicht tust, ist mir ganz egal, wohin du gehst. – Gerda Lerner (1920 – 2013) amerikan. Historikerin und Autorin; 2000

Dann richtet sich Nancy Youngs Aufmerksamkeit auf die Bilder an den Wänden des Geschäftsraumes, die Szenen aus den Anfängen der Schmuckbranche in der Gegend zeigen. Auf eines, das ihren Unmut erregt, weist sie besonders hin:

Was fällt Ihnen auf, wenn sie das Bild betrachten? Beachten Sie, wie die Frauen dargestellt sind! Von den arbeitenden Frauen gibt der Maler nur die Rückenansicht preis – noch dazu in der zweiten Reihe, im Bildhintergrund. Das lässt auf die mangelnde Wertschätzung schließen, die ihnen damals zugedacht war. Frauen als Staffage ins Bild gesetzt, obwohl sie wertvolle Arbeit verrichteten. Im Vordergrund, der Betrachterin nahe und in Gesamtansicht zu sehen – natürlich die arbeitenden Männer.

 

Männer werden generell überschätzt. – Maren Kroymann (*1949), dt. Schauspielerin, Kabarettistin und Sängerin

Aus Nancy Youngs Worten wird hörbar, wie alle diese unterschiedlichen Mosaiksteinchen dazu beitrugen, ein Frauenmuseum zu gründen.

Ausstellung über Astronautinnen
Ausstellung über Astronautinnen

Zum Schluss präsentiert sie uns auch noch ihre neue Idee für das zukünftige, renovierte Frauenmuseum. In einer Sonderabteilung hat sie vor, die Modelleisenbahnsammlung ihres vor Kurzem verstorbenen Mannes auszustellen, der Eisenbahnen, zurückgehend bis in die Zeit des Bürgerkrieges (1861 – 1865), sammelte. Über dieses Zusatzangebot möchte Frau Young einerseits Familien ins Frauenmuseum holen und andererseits ihrem Mann ein „Denkmal“ setzen.

Wie sähe die Welt aus, hätten Frauen ihres Kalibers das Sagen? Für mich wäre sie eine würdige Kanditatin für die „National Women’s Hall of Fame“ (Genaueres dazu im nächsten Blogbeitrag über Seneca Falls).

Obwohl wir das Frauenmuseum nicht besuchen konnten, fahren wir trotzdem inspiriert aus Attleboro weg. Wir warfen einen Blick hinter die Kulissen und erhielten Einblick in die Motivlagen, aus denen heraus Frauen zu Museumsgründerinnen werden können. Ich nehme mir vor, bei der nächsten Amerikareise im renovierten und neu gestalteten Museum vorbeizuschauen.

 

Hier geht’s zu diesem Beitrag in Englischer Sprache.

 

Vorhergehender Blogbeitrag: China National Museum of Women and Children

Was folgt als nächstes: National Women’s Hall of Fame, Seneca Falls / New York State

 

Marianne Wimmer, Frauenmuseensammlerin

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