Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
Frauenmuseum | Museo delle donne

Ein Frauenmuseum in der Welthauptstadt der Gleichberechtigung

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Die schwedische Stadt Umea denkt bei der Stadtplanung an die Frauen im öffentlichen Raum und setzt ihre Erkenntnisse und Erfahrungen in einer Architektur um, die Bauweise, Kunst und eine sichere Umgebung kombiniert. So entstand der Bahnhofstunnel, in dem sich Frauen bei der Benützung weniger fürchten. Mit einem weiteren Beispiel frauenpolitischer Natur wartet der Rathausplatz in der Innenstadt auf.

Foto: Marianne Wimmer

Auf einer 3m hohen Stahlplattform sitzt eine imposante, lackrote, muskulöse Berglöwin mit wütend aufgerissenem, vergoldetem Maul, die Zähne gefletscht. Seit 2019 weist die erste #MeToo-Staue der Welt, namens „Listen“ von der Künstlerin Camilla Akraka auf die Haltung der kommunalen Politik gegen sexuelle Gewalt hin. Welche Projekte diese Stadt auf ihrem Weg in Richtung Gleichberechtigung verfolgt, lässt sich auf ihrer Homepage unter der Überschrift „Equality by Umea“ nachlesen. Darunter findet sich auch das Frauenmuseum. Untergebracht ist es in einem modernen Gebäude, das mit seinen dunklen Glasfronten schwarz-weiß gestreift aussieht und auch die Stadtbibliothek beherbergt.

Frauenmuseum Umea. Foto: Marianne Wimmer

Seine zwei Ausstellungen präsentieren Überraschendes, ermöglichen kluge und sogar leiblich spürbare Einsichten. Als erstes tauche ich in eine Kultur ein, von der ich vorher noch nie etwas gehört hatte.

Haenyeo – Frauen des Meeres

Kurz und prägnant formulierte Ausstellungstexte und Bilder vermitteln der Besucherin auf angenehme Art das Wichtigste: über das Arbeitsleben Apnoe-Taucherin mit seinen Regeln und Gefahren, über interessante Details zu Fauna und Flora des Meeres und über die Geschichte der Haenyeo.

Haenyeo. Foto: Marianne Wimmer

Momentan leben ca. 4 500 aktive Taucherinnen auf der Insel Jeju, am Ausgang der Koreastraße zum Ostchinesischen Meer. Viele von ihnen sind bereits jenseits der Sechzig, und die heute 30 – 50jährigen Haenyeo könnten die letzte Generation sein. Viele junge Frauen tendieren dazu, in die Städte zu gehen, sich höhere Bildung anzueignen und andere Berufe zu ergreifen. Angenehmere, weniger riskante, die nicht gleich das Leben kosten, wenn man einen Fehler begeht oder eine Situation falsch einschätzt. Jedes Jahr sterben 4 – 5 Taucherinnen. Dabei ist der Verkehr auf hoher See das kleinere Problem. Die größten Gefahren finden sich unter der Oberfläche: Strömungen, das Sich-Verheddern im treibenden Seetang, Müdigkeit, Kälte, Krankheit oder – das Schlimmste von allem: mulsum – das Einatmen von Wasser. Eine Unvorsichtigkeit genügt, wie die Verlockung, noch einen begehrten Fang mit nach oben zu bringen – und schon passiert es.

The sea doesn´t take our lives. We hand them over to the sea.

From the documentary: Breathing under Water

Die Haenyeo–Tradition ist über 1 000 Jahre alt und begann, indem beide Geschlechter nach Meerestieren und -pflanzen tauchten. Wie kam es dazu, dass die Frauen mehr und mehr den Familienunterhalt erwirtschafteten und die Männer die Kinderbetreuung und den Haushalt übernahmen? Dazu präsentiert die Ausstellung zwei Erklärungsansätze. Pragmatische Überlegungen bewogen die Männer, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen. Als vor langer Zeit begonnen wurde, die Arbeit zu besteuern, und zwar nur die männliche, hörten die Männer zu arbeiten auf. Die andere Erklärung argumentiert mit den Vorzügen des weiblichen Körpers – ausgerechnet mit dem Körper, aus dem den Frauen normalerweise ein Strick gedreht wird. Ihr höherer Anteil an subkutanem Fett schützt sie besser vor der Kälte. Dazu meint eine Betroffene:

The men were too cold to dive without diving suits. Women went cold, too, but we persevered.

Jeong-Ji Kim, 66 years and haenyeo

Eines wird schnell klar, wenn die Besucherin die beeindruckenden, kraftvollen Porträts betrachtet, die der Ausstellung eine hohe Anziehungskraft verleihen: Es handelt sich um starke, widerstandsfähige, zähe, selbstbewusste Frauen, die einiges auf sich nehmen, um ihre Familie zu ernähren, die aber auch nicht vergessen, das Leben zu feiern:

Sell off heavens´s gifts, spend the revenues on earth.

Saying among haenyeo

Mit diesen faszinierenden Frauenbildern im Kopf, von denen ich mich nur schwer lösen kann, betrete ich einen Ausstellungsraum, der mich mit seiner umfassenden Darbietung samt kritischer Auseinandersetzung zum Thema Korsett mit einem vielschichtigen Bild von Frauen konfrontiert.

 

Krieg der Korsette

Der Kampf um weibliche Formen zur Zeit der Jahrhundertwende.

Unter diesem martialisch klingenden Titel eröffnet die Ausstellung ein vielschichtiges Diskussionsfeld über ein kleines Stück Stoff und verschränkt dabei die Mode mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und Denkweisen der Epoche. Kurz umrissen entnehme ich einem Ausstellungstext:

Frauen und Männer werden als Gegenpole gesehen, von körperlichen Unterschieden auf unterschiedliche Gehirne samt entsprechender Leistungsfähigkeit geschlossen, Geschlechtertrennung wird als Norm akzeptiert und gelebt, Ungerechtigkeit generell für natürlich und notwendig gehalten. Was bedeutet das für Frauen? Weil sie so unterschiedlich sind, macht es keinen Sinn, ihnen die gleichen Rechte und Chancen zu gewähren.

Foto: Marianne Wimmer

Durch die ausgestellten Modellkleider aus den Jahren 1885, 1899 und 1917 werden die Idealmaße samt ihrer Veränderungen sichtbar. Mit Hilfe des Korsetts gelang es den Frauen, ihre Figur im Zaum zu halten und dem männlichen Begehr zu genügen. Und mit ihm, dem Korsett, beginnt der tägliche Kampf der Frauen schon beim Anziehen. Wie lange brauchen Sie, bis Sie am Beginn des Tages in Ihre Kleider geschlüpft und für Ihren Auftritt in der Öffentlichkeit gerüstet sind? Ich erledige das Anziehen in 2 Minuten. 10 Minuten 36 Sekunden dauert es im Film der Ausstellung, der nachstellt, wie sich eine Frau der 1880er-Jahre ein schickliches und respektierliches Äußeres verschafft. Umständlich, beschwerlich, zeitaufwändig, von Hilfe abhängig – beim Zusehen allein ist Geduld gefordert. 10, 11 Schichten an Kleidung, jedes Teil mit speziellem Verschlusssystem, dazu Schnürschuhe, Kopfbedeckung und Accessoires. Fotos und Illustrationen aus der Zeit der 1880er-Jahre zeigen die Ergebnisse der mühevollen Prozedur. Am Ende beginnt der Kampf mit dem Gewicht. Wie schwer das Outfit auf dem Körper der Frau lastet, kann man nachspüren, indem man ein bereitliegendes 7-kg-Gewicht als Äquivalent zur Kleidung hochhebt und mit ihm nach Lust und Laune durch die Ausstellung spaziert.

Foto: Marianne Wimmer

In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts wurde die schwedische Gesellschaft demokratischer und gleichgestellter. Neue Gesetze erlaubten den Frauen, an Universitäten zu studieren und über ihre eigenen Finanzen zu verfügen. Und sie begannen das Wahlrecht zu fordern. Um das kleine Stück Stoff, namens Korsett, entflammte eine hitzige, emotional geführte Debatte. Die Gegnerinnen wunderten sich. Da kämpften die schwedischen Frauen so vehement für ihre Rechte und ließen sich von der Mode tyrannisieren:

Trotz aller Ketten, die über die Jahre von ihr genommen wurden, trägt die Frau weiterhin, stärker und resilienter als alle anderen, eine Kette, die nur von uns selbst gebrochen werden kann. Ich spreche von der Mode.

1892, geschrieben in einem schwedischen Magazin

Wie tief sich die patriarchalen Strukturen in den Köpfen der Frauen, selbst der Suffragetten festgesetzt hatten, wird in ihrer zwiespältigen und zerrissenen Haltung dem Korsett gegenüber deutlich. Nur schrittweise war es ihnen möglich, zu weniger festgezurrten Miedern zu wechseln, um sich nicht unweiblich, hässlich oder wie „eine Bauersfrau“ zu fühlen. Auch wenn die Korsette nicht mehr ganz so fest saßen wie früher, verwiesen sie nach wie vor darauf, dass eine Frau charakterlich diszipliniert und kontrolliert war. Varianten des Korsetts blieben bis ins 20. Jhd. ein wesentlicher Bestandteil der Frauengarderobe.

Foto: Marianne Wimmer

Bisher hatte die Mode durch Umbildung des Frauenkörpers, die Differenzierung der Geschlechter mehr und mehr verschärft, sodass uns schließlich die Vorstellung vom natürlichen Frauenkörper verlorengegangen war. Es wird auch noch eine geraume Zeit dauern,bis wir diese zurückgewonnen haben.

Else Wirminghaus, 1911

Und wir heutigen Menschen? Steht es uns an, die Moden der Vergangenheit samt ihrer Körperdeformierungen für komisch oder verrückt zu erklären? Ein fester, straffer Körper von schlanker Gestalt ist auch im 21. Jhd. das Ideal. Mit einigen Anmerkungen, Beispielen und Fragen zu heutigen Trends im Streben nach Schönheit, gelingt der Ausstellung der Brückenschlag von der Vergangenheit zur Gegenwart. 2019 trat Kim Kardashian West bei der Met Gala in New York in einem streng geschnürten Silikonkorsett auf. Später meinte sie in einem Interview, dass sie noch nie in ihrem Leben solche Schmerzen ertragen hätte. Mit ihrer Gage als Gegenleistung würde ich mich auch eine Zeitlang in ein Korsett pressen und leiden, blitzt es durch meinen Kopf. Wie steht es um die Inszenierung des Körpers der Durchnittsmenschen? In einem Film der Ausstellung spricht eine Verkäuferin über Hilfsmittel, die beide Geschlechter verwenden, um ihre Körper zu formen: „Push-up BHs, BHs, die den Busen größer oder flacher erscheinen lassen, Hosen mit Push-up für das Gesäß. Für Männer gibt es Unterhosen mit einer eigenen Tasche für ihre Genitalien, damit sie leichter zu tragen sind.“ Interessant, denke ich bei mir: Beim Mann geht es um Bequemlichkeit, nicht um Schönheit. Doch heutzutage bleiben wir nicht bei der Kleidung stehen, auch Männer nicht. „Das Korsett der modernen Zeit sitzt im Inneren unserer Körper und ist aus Muskeln gemacht“, meint ein Verweis in einem Ausstellungstext auf die Fitnesstrainigs zur Erreichung der Idealfigur. Damit nicht genug. Die plastische Chirurgie ist für viele das Mittel der Wahl um einem fragwürdigen Schönheitsideal näherzukommen oder jüngeres Aussehen vorzutäuschen. Also: Worin liegt der Unterschied? Geht es nur um modische Details oder wird über den weiblichen Körper mehr verhandelt? Was ist es, das Frauen heutzutage erreichen können, wenn sie ihren Körper in Form bringen? Was steht auf dem Spiel? Mit diesen klugen Fragen am Ende der Ausstellung, verstehen es die Ausstellungsgestalter:innen, ins Herz der Debatte über Mode zu treffen.

 

Marianne Wimmer

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