Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
Frauenmuseum | Museo delle donne

Im Haus mit den 7 Leben: Das Frauenmuseum in Norwegen

0

Das norwegische Frauenmuseum befindet sich in Kongsvinger, einer Kleinstadt nahe der schwedischen Grenze, in dem „Haus mit den 7 Leben“, wie es geheimnisvoll genannt wird.

Das Museum zeigt derzeit eine Ausstellung über ein noch immer tabuisiertes Thema.

Psst! Geschichten über Abtreibung und Sexualität

Mein erster Weg führt mich in den Keller, in die finsteren, düsteren Zonen eines Hauses, dorthin, wo Gefahr lauert. Es könnte keinen symbolträchtigeren Ort für die Ausstellung: „Pssst! Geschichten über Abtreibung und Sexualität“ geben, als die Kellerräume. Die Abtreibung gehört auch im 21. Jhd. zu den umstrittensten und umkämpftesten Themen unserer Gesellschaft. Eines gleich vorweg: Das Recht auf Abtreibung gehört zu den Errungenschaften der Frauenbewegung der 1970er-Jahre und ihrem Kampf um die Selbstbestimmung der Frauen über ihren Körper. Bei diesem Thema geht es ums Eingemachte: um die Kontrolle über schwangere Leiber, um die Macht über die Hälfte der Menschheit.

Im ersten Kellerraum treffe ich auf ein Thema, das die Emotionen weniger hochkochen lässt, auf die Verhütung. In einer Vitrine wird vorgestellt, was es an Möglichkeiten gab und gibt, um Empfängnis zu verhindern – eine breite Angebotspalette. Abgesehen von der unsicheren, „natürlichen“ Methode, die fruchtbaren Tage im Kalender zu vermerken und die eigenen Lustgefühle danach abzustimmen – übrigens die einzige, päpstlich abgesegnete Vorgehensweise und deshalb von den Abtreibungsgegner:innen propagiert, wurden für Frauen etliche Mittel entwickelt, mechanische und hormonelle: Pille, Spirale, Diaphragma, Pille danach, Hormonimplantate. Männer verhüten lediglich mittels Kondom, wird mir beim Betrachten der ausgestellten Verhütungsmittel bewusst. Bei so viel Ungleichgewicht stellt sich unweigerlich die Frage: Ist Verhütung Frauensache? Wer zeichnet verantwortlich fürs Schwangerwerden?, fragt das Museum.

Der Vitrine gegenüber nähern wir uns dem Thema Schwangerschaftsabbruch. In einem Video erzählen Ärztinnen, Hebammen und im Gesundheitsbereich Tätige von ihrer Arbeit mit abtreibungswilligen Frauen und über reproduktive und sexuelle Gesundheit.

„Vergessen Sie nicht den Mythenzerstörer zu betätigen, bevor Sie den Raum verlassen.“

Folgt die Besucherin der Aufforderung, erfährt sie durch Drücken von Knöpfen, ob sie bei der Beantwortung von Fragen über Abtreibung richtig liegt, z.B.

„Nach einer Abtreibung ist es schwieriger, wieder schwanger zu werden“.

„Sichere Abtreibung ist ein Menschenrecht“.

„In Norwegen ist Abtreibung gratis“.

„Ein Fötus kann während der Abtreibung Schmerzen spüren“……

Ich sitze im „Raum der Geschichten“ vor einem Frisiertisch mit golden gerahmtem Spiegel. Drücke ich den Startknopf, läuft in der Spiegelfläche ein Video, indem ungewollt schwanger gewordene Frauen zu Wort kommen und ihre Erfahrungen darüber teilen:

„Ich habe mich dauernd übergeben, deshalb blieb ich von der Schule zuhause. Es war nicht die beste Art mit der Highschool zu beginnen. Mein Freund unterstützte mich zwar, aber wir sahen uns in diesen Wochen kaum.“

„Ich hatte gerade eine Wohnung gemietet, hatte keinen fixen Job und war gerade dabei, mein Erwachsenenleben anzufangen.“

„Die schlimmste Zeit war jene zwischen dem Moment, in dem ich realisierte, schwanger zu sein und dem Zeitpunkt, an dem ich die Abtreibung hatte.“

Es sind Geschichten, die weltweit in über 20 Ländern gesammelt wurden und anonymisiert von Schauspielerinnen gesprochen werden. Trotzdem kriechen die persönlichen Erfahrungen der Betroffenen in mich hinein und gehen nahe: ihre Verzweiflung während des Wartens wird zu meiner; das befreiende Gefühl nachher; die Verunsicherung durch das ständige Nachfragen: Wollen Sie die Abtreibung wirklich?; das Schamgefühl einer Frau, die nach einer Abtreibung wieder schwanger wird und mit ihrem Wunsch nach einem weiteren Abbruch nur auf Unverständnis stößt. Beim Zuhören wird klar, dass nicht der Abbruch selbst belastend ist, sondern die mit ihm verbundene Stigmatisierung. Wie oft las ich von den psychischen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs, unter dem angeblich viele Frauen leiden, sich lebenslang schuldig fühlen, ihre Tat bereuen und hinkünftig traurig durchs Leben gehen. Diese Angstmache lag immer jenseits meiner Vorstellungswelt. Viel eher kann ich nachvollziehen, was ich hier vermittelt bekomme: Ich spüre ein Durchatmen, ein erlösendes, von einer unerträglichen Last befreites Aufatmen.

Verbote hindern Frauen nicht daran, abzutreiben, das wissen wir. Nicht das OB steht zur Debatte, sondern das WIE, wobei die Kurzformel für Illegalität lautet: Teuer für Reiche, gefährlich für Arme.

„I know from what I have seen with my own eyes, that providing safe abortion care saves women´s lives.“

Manisha Kumar, von ÄrztInnen ohne Grenzen

Wie künstlerisch durchdacht die Hörstationen gestaltet sind, wie der „Raum der Geschichten“ trotz der heftigen Inhalte eine intime und beschützende Atmosphäre entfaltet, merke ich aufgrund meiner Gebanntheit auf die mitreißenden Erzählungen erst auf den 2. Blick. Diffizil und wie nebenbei erzählt selbst die Tapete in diesem Raum in fein ausgeführten Zeichnungen eigene Geschichten, nämlich über Tatwaffen, die bei illegalen Abbrüchen zum Einsatz kommen. Dank dafür gebührt einem schwedischen Künstlerinnenkollektiv, das für die professionelle künstlerische Gestaltung der Ausstellung verantwortlich zeichnet.

Aufgrund der räumlichen Enge bedarf es nur einer Wendung des Körpers und die Besucherin steht mittendrin im „Raum des Aktivismus“. Fotos von Frauenprotesten katapultieren mich gedanklich zurück in die 1970er-Jahre und dem damaligen Slogan: „Mein Bauch gehört mir“. Aber hier befinden wir uns im 3. Jahrtausend, z.B. in Polen, einem Land der Europäischen Union. Abtreibungen werden sogar nach Vergewaltigung oder Inzest verboten und seit 2021 selbst bei schweren Missbildungen des Fötus. Erfahrungen zeigen uns, dass u.a. ein kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln Abhilfe schaffen würde. Doch auch Verhütung ist des Teufels, lässt die katholische Kirche wissen. Ein Poster verweist darauf, dass sich ukrainische Frauen mit einer Zunahme an Pro-Life-Aktionen in der Öffentlichkeit konfrontiert sehen. Pro-Choice-AktivistInnen halten mit ihren Protesten dagegen.

Bei den norwegischen Frauenrechtler:innen läuteten 2018 die Alarmglocken. Zu den ausgestellten Schlüpfern erfahre ich von Mona Holm folgende Geschichte: „Diese Unterhosen waren Teil der Demonstrationen 2018 gegen das Vorhaben der neuen Regierung, in Norwegen die Abtreibungsgesetze zu beschneiden. Die geplanten Restriktionen waren ein Zugeständnis der liberal-konservativen Parteien an ihre neue Koalitionspartnerin, die Christliche Volkspartei. ‚Take away your hands from my uterus‘, war die Botschaft der Demonstrantinnen, die solche und ähnliche Slogans auf ihre Slips schrieben und sie an den Premierminister sandten. Mit der Bitte, mir die Höschen für meine Ausstellung zukommen zu lassen, schrieb ich an ihn. Und hier hängen sie.“ Eine kreative Idee des Protests und ein Premierminister mit Humor.

Im benachbarten Kämmerchen gibt die Ausstellung einen Überblick über einen weiteren zentralen Aspekt des Schwangerschaftsabbruchs: Wann beginnt das Leben? Wie diese Frage beantwortet wird, hat Auswirkungen auf die Abtreibungsgesetze. Neben den mehr oder weniger strengen Ansichten der Religionen und Kulturen ist vor allem interessant, wie kreativ Abtreibungsgegner:innen im Festlegen neuer Kriterien sind. So legte Texas 2021 den Herzschlag des Fötus als Marke fest, bis zu der ein Abbruch legal ist, also bis zur 6./7. Woche. Weitere Bundesstaaten der USA versuchen ebenso, diese Verschärfung durchzusetzen. Das kommt praktisch einem Verbot gleich, denn während dieser Zeitspanne wissen die meisten Frauen noch gar nicht, dass sie schwanger sind. Eine wesentliche Rolle für die Gesetzgebung spielt auch die Wahl der Worte: Spreche ich von einem „Zellhaufen“, einem „Fötus“, einem „Embryo“ oder bereits von einem „ungeborenen Kind“?

Wie oft werden wir Frauen in Zukunft noch auf die Barrikaden steigen müssen, um unser Recht auf Selbstbestimmung zu verteidigen?

„Abtreibung ist für viele Frauen nicht nur eine Leidenserfahrung, die alles übersteigt, was Männer je erfahren können, es ist auch ein Akt der Barmherzigkeit und der Selbstverteidigung.“

Alice Walker (geb. 1944), amerikan. Schriftstellerin und polit. Aktivistin, 1991

LOCUS Bee Sanctuary

Im Museumsgarten gestalteten Osloer Künstlerinnen „LOCUS Bee Sanctuary“ (Bienenasyl), eine Installation mit Blumen, die Bienen lieben. Hiermit wird eine Autorin geehrt, die in ihren Texten häufig Blumen metaphorisch verwendete.

Haus mit den 7 Leben

Von Mona Holm, Direktorin des Museums und ehemalige Präsidentin des Internationalen Netzwerks der Frauenmuseen erfahre ich das Geheimnis des „Hauses mit den 7 Leben“ und damit auch, wie die Idee entstand, hierin ein Frauenmuseum einzurichten: „Ursprünglich war es ein Landhaus, dasin der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts von einem reichen Paar bewohnt wurde. In seinem 2. Leben (1875 – 1908) beherbergte es die Arztfamilie des Bezirks, die Familie Juel mit ihren 4 Töchtern. Eine davon, Dagny Juel, wollte man später in ihrem Leben sogar aus der Stadt vertreiben. Als unkonventionell lebende Künstlerin, als Bohemienne, sprengte sie den Rahmen der bürgerlichen Moralvorstellungen. Sie studierte in Oslo und in Berlin Musik, ließ ihre Kinder lange Zeit bei den Großeltern zurück, verließ schließlich ihren Mann und wurde von einem Freund der Familie im Alter von 34 Jahren in Tiflis erschossen. Diese ‚verruchte‘ Dame erwarb sich durch ihr wildes, intensives Leben den Ruf einer ‚Hure‘ und passte nach Meinung der ehrbaren Einwohner:innen so gar nicht nach Kongsvinger. Um den Blick auf diese Frau etwas zurechtzurücken und sie als Künstlerin zu ehren, wurde in ihrem ehemaligen Wohnhaus das Frauenmuseum eingerichtet. Nach seiner Funktion als Pfarrhaus (1908 – 1940) nahmen es während des 2. Weltkrieges die Nazis in Beschlag. Nach dem Krieg diente es 9 Jahre als Mietshaus. Nach seiner Zeit als Holzfabrik für Fenster und Türen (1954-1983) sollte es abgerissen werden. Doch junge Frauen sahen darin eine Bleibe für ein geplantes Frauenmuseum. Nach 6jähriger Renovierung konnte das Haus sein 7. Leben aufnehmen. Zur Eröffnung 1996 reiste sogar Königin Sonja an.“

Für so unterschiedliche Menschen das Gebäude in seiner wechselvollen Geschichte eine Zuhause bot, so vielfältige Lebenswelten werden heute in seinen Ausstellungsräumen präsentiert. Neben der bereits genannten Sonderausstellung „Psst! Geschichten über Abtreibung und Sexualität“ und dem „LOCUS Bee Sancturary“ im Garten, präsentiert das Frauenmuseum noch Folgendes:

  • Spiel fürs Leben – Über Kindheit und Sozialisation
  • Die Dame von Berlin – Über Dagny Juel
  • In der Öffentlichkeit – Über den Weg norwegischer Frauen zu einem Platz in der Gesellschaft

 

Geschrieben von: Marianne Wimmer, Frauenmuseensammlerin

Leave A Reply