Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
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Vagina Museum: Frausein – ohne rot zu werden

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Scham, Ekel, Unwissenheit, Unsicherheit – Das war einmal, möchte ich meinen, wenn ich als Kind der späten 1950er-Jahre an mein erstes Mal denke. Nein, nicht an den ersten Kuss oder den ersten Sex. Nein, schlicht und einfach an etwas ebenso Normales und Gesundes, an das erste Mal, als Blut „unten“ zwischen den Beinen herausfloss, unaufhaltsam und unaufhörlich. Jetzt war sie also zu Besuch gekommen, die „rote Tante“, wie ich in meinem Umfeld hörte. Auch „Alarmstufe Rot!“ bezeichnete das Geschehen. Sollte ich Binden verwenden oder doch lieber auf Tampons setzen? Wussten Sie bei Ihrem ersten Mal bereits Bescheid, wie Sie sich Abhilfe verschaffen konnten? Wie stand es mit Ihrer Aufklärung? Kannten Sie Ihre eigenen Geschlechtsteile, wie sie aussahen und funktionierten? Wie tabuisiert das Thema auch heute noch ist, lese ich gleich im Eingangsbereich des Frauenmuseums in einem Text zur Frage: Warum braucht es ein Vagina-Museum? Konsterniert lese ich die Ergebnisse aktueller Studien: 1 von 4 Mädchen lernt nichts über die Periode, bevor es sie bekommt (2019); 52% der Menschen in GB können die Vagina auf einer anatomischen Abbildung nicht kennzeichnen (2019). Begründung genug für die Existenz und Bedeutung des Vagina-Museums in London, das seit 2019 frischen Wind zur geistigen Entstaubung durch seine Räumlichkeiten bläst.

Bis 2022 war das Vagina Museum in diesem Gebäude untergebracht. Derzeit zieht das Museum in ein neues Gebäude um.

Da ist auch der Name schnell verziehen, der die Vagina und nicht die Vulva zitiert. Dahinter steckt die Absicht, mit einer gängigen, allgemein bekannten Bezeichnung, ein niederschwelliges Angebot zu setzen und somit mehr BesucherInnen anzuziehen. Zu lange fehlte es ohnehin in der Museumslandschaft, das Äquivalent zum Penismuseum in Reykjavik. Dieses männliche Pendant war es, das die Museumsdirektorin Florence Schechter motivierte, auch dem weiblichen Geschlecht in einem eigenen Museum Raum zu geben und Beachtung zu verschaffen.

Zu jeder Zeit menstruieren ca. 800 Millionen Menschen auf der Welt.

Diese beeindruckende Zahl katapultiert mich mitten in die laufende Ausstellung des Museums über ein lästiges und beschämendes Übel, das lange Zeit verschwiegen wurde – die Regelblutung: Eine kurze Geschichte über die Periode (Periods – A Brief History). Beim Gang durch die Jahrhunderte, vom Ägypten um 1800 v.Chr., über die Römer:innen und Griech:innen, von europäischen, mittelalterlichen Vorstellungen bis herauf ins 20. Jahrhundert, fällt auf, dass die krausesten Gedanken zur Menstruation sich entlang männlicher Hirnwindungen emporranken. Der römische Gelehrte, Plinius d. Ältere (23-79 n.Chr.) berichtet von beinahe übernatürlichen Kräften der Menses, wenn er feststellt, dass Samen steril werden und Pflanzen verdörren, werden sie von blutenden Frauen berührt; weiters fallen Früchte vom Baum, unter denen sie sitzen, Spiegel werden blind und Elfenbein ermattet. Ich wünschte, er hätte recht ob solcher Frauenpower. Ähnlich Staunenswertes verbreitet noch im 20. Jahrhundert der österreichische Kinderarzt Professor Bela Schick in seinen Experimenten mit Schnittblumen, die menstruierende Frauen durch Anfassen zum Verwelken bringen. Obwohl bereits in den 1950er-Jahren widerlegt, geistern seine exotischen Gedankenblüten noch bis in die 1980er-Jahre in den Köpfen der Menschen herum. Auch die Religionen steuern ihre Beiträge bei und verbannen Menstruierende zeitweilig aus der Gemeinschaft, indem sie ihnen das Stigma der Unreinheit andichten. Die einzigen Gegenstimmen zum menstrualen Fluch aus Männermündern bilden jene, die aus eigener Erfahrung heraus schreiben: Hebammen, kräuterkundige Frauen und Heilerinnen. Sie verweisen auf Aspekte, die die Regel in ein segensreiches Licht setzen. So schreibt Trotula von Salerno (12.Jhd.) über die Notwendigkeit der Blutungen, ohne die es keine Empfängnis gäbe: „Die einfachen Leute nennen die Menses ‚die Blume‘. So wie ein Baum ohne Blüte keine Frucht trägt, so sind Frauen ohne ihre ‚Blüte‘ um die Empfängnis betrogen“. Zusätzlich gesellen sich zur Chronologie Hinweise zum lebenspraktischen Umgang mit der Periode.

Wie behalfen sich Frauen in früheren Zeiten, das Blut aufzufangen, nicht sichtbar werden zu lassen? Dabei ermöglichen ausgestellte Objekte, ein Stück weit die Erlebniswelten früherer Frauengenerationen nachvollziehbar zu machen. Die gezeigten Hilfsmittel sind nicht nur beeindruckend, weil ich sie vorher noch nie gesehen hatte. Ebenso lassen sie ein wenig erahnen, wie unbequem, stressig und beschwerlich sich der Alltag in Zeiten vor Tampons oder Menstruationstassen angefühlt haben mag:

Wie spürt sich wohl getrocknetes Sumpfmoos zwischen den Beinen an? Beruhigend klingt, dass es höchst saugfähig ist.

Sumpfmoos

Wie sicher würden wir Frauen uns beim Tragen von Menstruationsschürzen fühlen? Das ausgestellte Modell aus dem Amerika der Wende zum 20. Jhd. aus weißem, wasserdichtem Material bürgt für fleckenfreie Kleidung und ist waschbar. Ungläubig lese ich über die Zeit, in der noch keine Unterhosen, sondern lediglich Unterröcke getragen werden. Die hinter der Menstruationsschürze zu sehende Replik eines Unterrocks in Rot verdeutlicht, dass die Farbe des Kleidungsstücks sehr wichtig ist. Das Blut fließt frei und Flecken sollen nicht so leicht gesehen werden.

Menstruationsschürze /weiß; dahinter: roter Unterrock

Es ist kaum zu glauben, dass die erste selbsthaftende Auflage erst 1969 auf den Markt kommt, beinahe 50 Jahre, nachdem ein an den Körper anpassbarer Gürtel mit einem Haftelement an der Einlage bereits in den 1920er-Jahren erfunden wird. Der größere Skandal liegt allerdings darin, dass die Erfinderin der selbsthaftenden Binde, Mary Beatrice Davidson Kenner (1912 – 2006), aus der Geschichte aus rassistischen Gründen wegradiert wird. Erst braucht sie 30 Jahre, bis sie genung Geld aufgetrieben hat, ihr revolutionäres Patent anzumelden. Als dann das Unternehmen Sonn-Nap-Pack beim 1. Treffen mit Kenner sieht, dass sie Schwarz ist, verweigert es jede weitere Zusammenarbeit, so wie alle anderen Firmen, mit denen sie Kontakt aufnimmt. Nach Ablauf des Patents greifen sie gerne auf ihr Design zurück, ohne ihr einen Cent zukommen zu lassen. Ein Beispiel, wie Frauen klein gehalten werden und aus der Geschichte verschwinden, aber auch für ihre Hartnäckigkeit. Kenner lässt sich ihre Kreativität nicht nehmen und erfindet weiterhin Produkte (Behelfe für Rollstühle, Klopapierrollenhalter, mit Griff versehene Geräte zum Rückenwaschen bzw. -massieren), sodass sie den Rekord für die meisten US-Patente einer Schwarzen Frau hält.

Mary Beatrice Davidson Kenner (1912 – 2006)

In sattem Rot glitzert das blutgetränkte Ende und weiß leuchtet der Rest des Riesentampons, flankiert von ebenso prachtvoll funkelnden, halbvollen Menstruationstassen – Scham ade! Weg mit den Stigmata und der Geheimnistuerei! Lasst uns feiern, was an unseren Körpern natürlich ist! – Assoziationen, die beim Anblick der unübersehbaren Installation im Gehirn zünden. Sie verscheucht die letzten Zweifel über die Öffentlichkeitstauglichkeit des Themas und bildet gleichzeitig eine Überleitung zum 21. Jahrhundert mit seinen neuen Themenschwerpunkten und Gedanken für die Zukunft. Auf gespendeten, nicht mehr für den Gebrauch geeigneten Tampons samt angehefteten Notizzetterln lassen sich die Themen ablesen, die den Besucher:innen wichtig sind. Die Antworten auf die Frage: Was denken Sie, wie wird die Periode der Zukunft ausschauen? kreisen vorwiegend um kostenlose Menstruationsprodukte, Unterricht und Aufklärung für alle Geschlechter, denn Menstruation ist nicht nur Frauensache und den Zugang zur Abtreibung als Menschenrecht – Alles Antworten, die an aktuelle gesellschaftliche Diskussionen andocken und den Zeitgeist widerspiegeln. Neben der Verantwortung von Unternehmen und Marken verweisen die Ausstellungsgestalter:innen auf individuelle Möglichkeiten, einen Beitrag zum natürlichen Umgang mit der Periode zu leisten:

So, we`re asking our visitors to make a period promise today to help continue breaking down period shame!
(Helfen Sie mit, Menstruationsscham und -stigmata zu durchbrechen. Machen Sie heute ein Versprechen!)

Dabei kann die Besucher:in aus einem Angebot an Vorschlägen auswählen: Reden und Herzeigen statt schamvolles Verstecken der Menstruationsartikel, Spenden selbiger für Arme und Bedürftige, Verwendung einer gender-inklusiven Sprache und Entgegentreten von Stigmatisierungen/Klischees („Ach, sie hat wohl ihre Tage.“) im Alltag.

Aufklärung über die Anatomie des weiblichen Körpers, seine Funktionsweisen, gesundheitlichen und medizinischen Aspekte sowie Probleme, die Menschen mit Vulva im Medizinsystem begegnen, erhalten Besucher:innen in einem – an den wichtigen und breitgefächerten Inhalten gemessen – viel zu kleinem Raum, der die Dauerausstellung: „Von A bis V“ beherbergt. Einladend wirkt seine als Schaufenster gestaltete Glaswand, aus dem mich ein Objekt besonders anblitzt – ein Vulvakissen.

Vulvakissen

Mit seinen güldenen und wie Diamanten glitzernden Knöpfen, seinem kuscheligen und samten wirkenden Materialien und den Verzierungen aus schwarzer Spitze, weckt es die Vorstellung, dass es sich bei der Vulva um etwas Wertvolles handelt. Daneben lese ich über die Rechte von Trans- und Intersexpersonen, Sexarbeiter:innen, ein alle Geschlechter inkludierendes Buch über die Periode – Hier wird auf einen Blick der Anspruch einer inklusiven Museumskultur deutlich. Beim Betreten des Raumes fällt mein erster Blick auf eine beeindruckende Fotowand – Vulven in ihrer faszinierenden Vielfalt. Gerade angesichts der Vereinheitlichung unseres Geschlechtsorgans durch Schönheitsoperationen, die einem propagierten Ideal folgen, leisten diese Fotos einen unschätzbaren, aufklärerischen Beitrag.

Fotowand: Vulven

Beim Verlassen des Museums taucht die Frage auf:

Was wäre, wenn es gelänge, offen über unsere Körper, unsere Vulven, unsere Geschlechtlichkeit und wie wir sie lustvoll leben und erleben können, zu sprechen? Was würde es für uns Frauen bedeuten?

 

Marianne Wimmer

 

Anmerkung: Das Vagina Museum zieht 2023 in neue Räumlichkeiten um.

 

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