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Sexualerziehung in der Schule

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Was ist Sexualerziehung? Wie wichtig ist sie in der heutigen Zeit, in der Kinder und Jugendliche vermehrt Falschinformationen, sexistischen Bildern und Pornos im Netz ausgesetzt sind? Wie kann das Schulsystem Eltern und Lehrkräfte unterstützen in der wichtigen Aufklärungsarbeit?

Dies und viel mehr wurde am 21.9.22 im Arbeitsvereinssaal Lana dank der Organisation der Frauengruppe Lana besprochen. Anlass war die Vorführung der Filmdokumentation von Evi Keifl „Die Kinder bringt nicht der Storch“(Rai Südtirol, Amt für Film und Medien 2021, Produzent Jiri Gasperi). Der Film arbeitet auf, wie tabuisiert das Thema Sex in Südtirol noch in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren war und welche Konsequenzen eine mangelnde Sexualerziehung in der Schule bis heute noch hat.

Ich habe selbst unterrichtet und kann mich noch gut erinnern, welche Widerstände es von Seiten einiger Eltern und fundamentalistischer Gruppierungen gab, als die ersten Lehrpersonen Themen zu Sexualerziehung und Prävention  in den Unterricht einbauten. Die offizielle Schule hat bis weit in die 1980iger Jahre die Bedürfnisse und Fragen der Jugendlichen ignoriert, mit allen negativen Folgen für deren Entwicklung. Höhepunkt dieser Haltung war die Zensur bundesdeutscher Naturkundebücher. Erst unter Schulamtsleiter Walter Stifter wurde Sexualkunde in die Lehrpläne aufgenommen und eine Professionalisierung der Lehrkräfte zum Thema Sexualpädagogik eingeleitet, erklärt die Autorin Evi Keifl.

Foto: Frauengruppe Lana

Mit ihrem Film will sie die Aufmerksamkeit auch auf die heutige Situation lenken, in der schon Grundschulkinder mit Gewaltpornos auf ihren Händen konfrontiert werden.

Welchen respektvollen Umgang in der Partnerschaft sollen Kinder erlernen, wenn solche Bilder unreflektiert und unkommentiert bleiben, weil die Erwachsenen sich (wieder) wegducken und die Themen nicht ansprechen?, so Keifl.

Der Film unterstreicht die Unwissenheit der Jugendlichen der 1970er Jahre und wie diese heutigen Erwachsenen, dieses Unwissen zu Sex, zum Teil unbewusst, auch den nächsten Generationen weitervermittelt haben. Eltern und Schule seien immer noch gefordert, Kinder und Jugendliche mit ihren wichtigen Fragen und Sorgen nicht allein zu lassen, dies ist die Botschaft des Filmes, der bei manchen Zuhörer:innen ungute Erinnerungen auch an ihre eigene Jugend geweckt hat.

Mit den zwei Sexualpädagoginnen Evi Mittersteiner und Christiane Gamper wurde am Informationsabend in Lana, tiefgründig erläutert wie es heute ums Thema Sexualerziehung steht. Beide sind mit Jugendlichen in Kontakt, die erstere im Schulwesen, die zweite in der außerschulischen Jugendarbeit. Beide bestätigen, wie stark das Bedürfnis heute noch in den Pubertierenden sowie Kindern nach Dialog und Aufklärung besteht.

Sexualerziehung beinhaltet nämlich nicht nur Informationen über den Geschlechtsakt und die Fortpflanzung, sondern beschäftigt sich mit Identität, Körper, Zyklus, Verhütung, Schwangerschaft, zwischenmenschlichen Bindungen, Bezug zu sich selbst, Respekt in der Partnerschaft, Rollenbildern, sexuellen Identitäten, sexuellen Orientierungen und auch mit kritischem Medienkonsum und viel mehr.

Deshalb brauchen wir offene aufgeklärte Erwachsene, Eltern wie Lehrkräfte, die diesen Dialog suchen. Nicht handeln oder das Thema Sexualerziehung wegschieben, löst keineswegs das Problem der natürlichen Neugier im pubertären Wachstumsprozess.

Im Film erwähnt die engagierte Lehrperson Margit Künz aus Eppan, dass das wichtigste Element in der Sexualerziehung ein gegenseitiges Vertrauen ist.

Das gilt heute immer noch so,“ unterstreicht Evi Mittersteiner „nur wenn Vertrauen zwischen den Jugendlichen und einer erwachsenen Bezugsperson besteht, wird offen gesprochen und Zweifel tatsächlich geklärt. Dabei ist es vorteilhaft eine externe Bezugsperson zu beauftragen, also kein Elternteil und keine Lehrperson, sondern eine neutrale Person mit einer Ausbildung in Sexualpädagogik, mit der alles ohne Hemmungen besprochen werden kann. Eltern wie Lehrpersonen sind zudem meist völlig überfordert mit all den Facetten und Fragen der Aufklärung und ehrlich gesagt, glaube ich auch nicht, dass Lehrkräfte neben ihrem Fachwissen, sexual-pädagogische Kompetenzen aufweisen müssen. Trotzdem wird heute zunehmend in den Schulen gespart, wenn es um sexualpädagogische Projekte mit Expert:innen  geht, wobei ganz klar ist, dass Sexualpädagogik als Teil der Lebenskompetenzförderung ein wichtiger Schwerpunkt an den Schulen und im Lehrplan ist. Vermehrte Kürzungen sind hier nur bedauerlich nach einer jahrelangen Aufbauarbeit in den Schulen und es braucht ein Miteinander von externen Fachkräften und den Lehrpersonen.  Sexualerziehung ist ausschlaggebend, sie lehrt uns wer wir sind, wer wir sein können, wie wir uns schützen können, wie wir mit anderen umgehen und wie wir uns selbst und andere lieben lernen. Es ist die Basis eines guten Miteinanders und schützt zudem vor sexualisierter Gewalt. Also worauf warten wir noch, dieses Wissen allen zu vermitteln, Erwachsenen wie Kindern.

Im Film wird auch auf eine unterschiedliche Erziehung von Mädchen und Buben in den 1970ern hingewiesen. Mädchen sollten brav zu Hause bleiben, sich aufs zukünftige Familienleben vorbereiten, während es Jungs gestattet wurde, ihre Jugend auszuleben und sich in Sexualakten mit den Touristinnen zu vergnügen. Heute sind Erziehungsstile zwar etwas geleichberechtigter, dennoch gibt es in vielen Familien immer noch unterschiedliche Regeln je nach Geschlecht, wobei Buben immer noch meist unaufgeklärter sind als Mädchen.

Wir bieten z.B. im Jugendzentrum JUX Lana Zyklusshows an, in denen wir Mädchen beibringen, ihre Regel und ihren Körper besser kennen und achten zu lernen. Diese Projekte kommen sowohl bei Eltern wie Jugendlichen sehr gut an, es gibt einfach noch zu wenige solcher Angebote in Südtirol, noch zu wenig geschultes Personal und Jugendarbeiter:innen. Aber wir versuchen es auszubauen und die positiven Rückmeldungen sind jetzt schon spürbar.

Für Christiane Gamper ist es zudem ein großes Anliegen, dass Jugendliche, aber auch Erwachsene, welche ihre eigene sexuelle Identität und Orientierung noch suchen oder frei ausleben wollen, in der Gesellschaft Platz und Respekt finden.

Wir wollen sie in ihrer persönlichen Entwicklung fachgerecht begleiten und ihnen versichern, dass jede Person das Recht hat sie selbst zu sein. Unterschiedliche Ansätze in Punkto Sex und vielfältige Identitäten zu ermöglichen und kennen zu lernen, heißt noch lange nicht Promiskuität oder Devianzen zu fordern, sondern vielmehr Offenheit und Toleranz.

 

Um den Abend in Kürze zusammen zu fassen:

  • Erziehende sollen Fragen und Zweifel der Jugendlichen in Bezug auf das umfassende Thema Sexualität hören und darauf eingehen.
  • Eltern und Lehrpersonen sollten den Umgang der Kinder mit dem Handy kontrollieren und sich der Tatsache bewusst sein, dass Kinder unter Umständen mit Bildern konfrontiert werden, die sie nicht einordnen können.
  • Schulamt und Schulen können nicht die Augen verschließen und sollten weiterhin flächendeckend sexualpädagogische Projekte mit außenstehenden Expert:innen  in Schulen fördern und mit diesen zusammenarbeiten.
  • Jugendliche brauchen offene und interessierte Bezugspersonen. Deshalb müssen Familien und Schulen gemeinsam agieren, um zu vermeiden, dass gefährliche Miterzieher:innen oder virtuelle Realitäten die Oberhand gewinnen.
  • Je mehr Wissen rund um das Thema Sexualität besteht, desto mehr kann Schutz und gegenseitiger Respekt aufgebaut werden.
  • Sexualität ist eine Lebensenergie von Lebensbeginn bis zum Lebensende, die sich in unterschiedlichen Ausdrucksformen zeigt.

 

Teilnehmende:

Evi Keifl, Autorin des Dokumentarfilms „Die Kinder bringt nicht der Storch“

Evi Mittersteiner, Sexualpädagogin und Supervisorin

Christiane Gamper: Sexualpädagogin, Jugendzentrum Jux Lana

Sarah Trevisiol: Moderatorin, Frauenmuseum Meran

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