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„Catcalling“ und worüber wir noch immer nicht reden

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Wenn ich abends allein auf die Straße gehe oder an einer Männergruppe vorbeigehe, achte ich darauf mit niemandem Blickkontakt herzustellen, ich habe eine Jacke oder ein Hemd an auch wenn es warm ist und gebe mir Mühe aufrecht zu gehen, ja keine Unsicherheit auszustrahlen. Doch innerlich fühle ich mich zittrig und meine Muskeln ziehen sich zusammen und entspannen sich erst wieder, wenn ich die Haustüre hinter mir schließe.

So habe ich mich nicht immer gefühlt. Das erste Mal habe ich Catcalling, also das Nachrufen von anzüglichen Kommentaren auf der Straße, in der Mittelschule erlebt. Ich war vielleicht elf oder zwölf. Ich ging mit meiner Schwester an einer Bushaltestelle vorbei, auf der ein etwa 20-jähriger saß. Er rief auf Italienisch, „Ciao belle! Non volete sedervi con me?“. Damals fand ich es noch gar nicht schlimm, wusste noch nicht einmal was er eigentlich meinte. Manchmal freute ich mich bei solchen Aussagen sogar. Nicht weil der Kommentar so nett war, sondern weil ich mich erwachsen fühlte. Viele Mädchen und Frauen empfinden noch immer eine seltsame Art von Stolz bei verbaler sexueller Belästigung. Die meisten wissen, dass es nicht richtig ist sich so zu fühlen und würden es auch niemals einem Mann erzählen. Denn man würde damit das sexistische Narrativ bestätigen, oder nicht? Sicher werden einige Männer solche Geständnisse als Bestätigung sehen, dass es ja wirklich nur ein Kompliment ist, dass Frauen es ja auch so wollen. Für mich beweist es einen viel tiefer greifenden Sexismus – den internalisierten. Also jenen Sexismus den auch Frauen und Mädchen verinnerlicht haben, ob sie wollen oder nicht, Gedanken die sie einfach nicht loswerden. Am offensichtlichsten wird es wenn junge Frauen sagen: „Wenn ich kein Catcalling abbekomme, dann fühle ich mich hässlich“. Wir werden so sehr über unser Äußerliches definiert, dass wir nach jeder Bestätigung suchen, sogar wenn wir uns danach irgendwie eklig fühlen. Die gesamte Welt wird durch die Augen von Männern gesehen, sodass selbst Frauen sich oft durch die männliche Linse wahrnehmen. Erwachsen werden heißt für Frauen auch gleichzeitig zum sexuellen Objekt werden. Das wusste ich auf einer unterschwelligen Ebene schon mit elf.

Grafik: Sophia Steinegger

Doch je öfter es passierte, desto unwohler fühlte ich mich. Ich realisierte, dass es kein Kompliment war, dass es nur darum ging Macht über mich zu haben, auch nur für einen kurzen Augenblick. Ich begann mich nicht mehr wohl in meiner Haut zu fühlen, besonders nicht in der Nähe von Männern.
Doch ich kann mich freuen – denn je älter man wird, desto weniger Catcalling erlebt man. Juhu. Viele Frauen erzählen, die meisten unangebrachten Kommentare erhielten sie zwischen 11 und 20. Laut einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen ist 19 das Alter wo der Catcalling-Höhepunkt stattfindet.
Online berichten Frauen immer wieder von solchen Beobachtungen. In einer Kommentarspalte zu dem Thema findet man Berichte wie: „Ich war 9 oder 10. War mit einer Freundin auf dem Weg nach Hause von einer Ferienveranstaltung. Auf Höhe einer Realschule zeigte ein Mann uns seinen Penis und fragte, ob wir sowas schon gesehen hätten“ oder „Ich erinnere mich wage daran… ich war 12-14… und ein deutlich älterer grauhaariger Mann geht an mir vorbei und sagt „mhh lecker“, und nein, er war nicht am essen.“ Viele sagen ab 20 wurde es deutlich weniger, und die Studie bestätigt das. Man ist als Kind anfälliger für verbale sexuelle Belästigung.
Das ist eine durchaus gefährliche Erkenntnis. Ist es das Aussehen selbst? Sind weibliche Schönheitsideale so eng an Unschuld und Kindlichkeit geknüpft? Oder suchen sich die Belästiger Opfer aus, von denen sie keine Gegenreaktion erwarten? Die noch möglichst unsicher sind?

Einige finden da eine ganz andere Erklärung: Die Teenager ziehen sich einfach zu freizügig an. In derselben Kommentarspalte schreibt ein User: „Glaube früher war das weniger, bei dem Kleidungsstil, den Eltern heute durchgehen lassen“. Die Kleidung ist also schuld. Wer Minirock trägt und Ausschnitt zeigt, der muss mit sowas rechnen, heißt es. Feminist:innen wehren sich schon lange gegen solche Aussagen, sexuelle Belästigung habe nichts mit dem zu tun was man anhat. Das stimmt auch. Trotzdem bekommt man eindeutig mehr Kommentare zu hören, wenn man mal was Kürzeres trägt oder sich für eine Party stylt. Ich merke es selbst. Mein Kleidungsstil ist sehr divers, mal feminin, mal maskulin oder androgyn, grad wie ich mich in dem Moment fühle. Feminine Outfits mit Rock und Sommerbluse sind die schlimmsten, da mache ich mich schon bevor ich das Haus verlasse auf „Catcalling“ gefasst. Dennoch sind nicht die Kleidungsstücke der Grund dafür. Der Ursprung liegt immer bei der Entscheidung eines Mannes einen Kommentar abzulassen. Aber bei einem Outfit, das mehr Haut zeigt oder enger anliegt ist es viel eher sozial akzeptiert aufdringlich zu werden. „Sie fragt ja danach“ heißt es da.
Laut der schon zuvor zitierten Studie änderten 8% der Frauen nach verbalen Belästigungen ihren Kleidungsstil. Eine durchaus verständliche Reaktion. Das gibt man aber ungern zu, man möchte doch eigentlich eine selbstbewusste mutige Frau sein, die sich von gar nichts einschüchtern lässt. Doch Belästigungen hinterlassen bei uns allen Wunden.
Auch viele queere Frauen ändern ihr Erscheinungsbild, um weniger oft von Männern angemacht zu werden. Kurze Haare und weite Kleidung sorgen für weniger Kommentare. Nötig sollte das allerdings nicht sein, denn so ist es wieder an den Frauen, ihr Verhalten anzupassen.

Von Männern wird das kaum erwartet. Die sind einfach so, es liegt in ihrer Natur. Schon in vielen Diskussionen habe ich so eine Argumentation gehört. Gegen Biologie kann man nichts ausmachen, ist die These. Dabei sind solche Aussagen nicht nur frauen- sondern auch männerfeindlich. Die sonst immer als „starkes“ Geschlecht betitelten Männer, sind also auf einmal chancenlos ihren Trieben unterlegen? Sie können gar nicht anders als der 15-jährigen hinterher zu pfeifen oder den Busen einer arbeitenden Frau auf dem Heimweg zu kommentieren? Sexualtriebe haben Männer und Frauen gleichermaßen und das ist okay. Doch unsere Handlungen können wir selbst kontrollieren.

C.Suthorn / cc-by-sa-4.0 / commons.wikimedia.org

Dass „Catcalling“ existiert und viele Frauen davon betroffen sind, ist mittlerweile zum Glück weithin bekannt. Trotzdem gibt es einige Dinge über die wir noch immer kaum sprechen. Wie jung wir waren als wir sowas zum ersten Mal hörten. Dass es uns manchmal gefallen hat. Dass wir uns ab und zu verantwortlich fühlen, wegen der Kleidung die wir getragen haben. Und sie dann sogar ändern.
Wir schämen uns dafür, weil wir stark sein wollen und emanzipiert. Wir wollen die Art von Frau sein, die die Männer, die ihnen nachrufen, zur Sau machen und lautstark in die Schranken weisen. Manchmal sind wir aber doch noch kleinlaut, drehen den Kopf weg und haben Angst. Die Realität ist komplex und in den meisten unserer Alltagsgeschichten sind wir nicht die Heldinnen, die wir gerne wären. Darüber reden muss man aber dennoch. Denn bei diesem Thema darf nichts unausgesprochen bleiben.

 

Sophia Steinegger

 

Quellen

https://www.zeit.de/campus/2020-10/catcalling-sexuelle-belaestigung-frauen-sexismus/seite-2
https://www.abendblatt.de/hamburg/hamburg-mitte/article238997807/Catcalling-in-Hamburg-wie-junge-Frauen-belaestigt-werden.html
https://kfn.de/wp-content/uploads/2021/11/PM%20Catcalling.pdf#:~:text=Unter%20den%20Befragten%20sind%20besonders%20Frauen%2C%20diverse%20Personen,Catcalling%20am%20h%C3%A4ufigsten%20er-%20lebt%20wird%2C%20ist%2019.
https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/der-maennliche-drang-zum-anbaggern-soziologisch-erklaert-16139961.html
https://twitter.com/oezgeinan/status/1687878325216411648?ref_src=twsrc%5Egoogle%7Ctwcamp%5Eserp%7Ctwgr%5Etweet
https://www.meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.792044

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