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Immigrant Sisterhood

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Wie ergeht es Frauen auf der Flucht? Welche Erfahrungen machen sie, welche Bedürfnisse haben sie und wie möchten sie davon erzählen? Ansichten und Stimmen von Frauen mit Fluchtbiografien bleiben oft unsichtbar. Das Projekt PhotoVoice möchte das ändern und zeigt Perspektiven von geflüchteten Frauen, die verschiedene Aspekte ihres Lebens in Erstaufnahmezentren zeigen wollen. Im Rahmen dieses Projekts ist die Ausstellung Immigrant Sisterhood entstanden, die noch bis 30. November in der Bibliothek „Kulturen der Welt“ in Bozen und anschließend von 01.Dezember bis 31.Dezember im Caritas Cafè in der Sparkassenstraße 1 zu sehen ist.

Die Doktorandin der Fakultät für Erziehungswissenschaften der Freien Universität Bozen, Sabine Tiefenthaler, ist Teil des Projektteams und berichtet, wie es zu dem Projekt kam. Zwei der Künstlerinnen, Alice und Thatcher, erzählen von ihren Arbeiten und Erfahrungen.

Frau Tiefenthaler, woher kam die Idee für das Projekt PhotoVoice?

Ich habe bereits vor einigen Jahren ein PhotoVoice Projekt mit unbegleiteten, minderjährigen, geflüchteten Mädchen und jungen Frauen in Wien durchgeführt und dabei die Methode schätzen gelernt. Als ich bei meiner Feldforschung für meine Doktorarbeit die jungen Frauen mit Fluchtbiografien kennengelernt habe, habe ich auch den geflüchteten Frauen im Aufnahmezentrum vorgeschlagen diese Methode zu verwenden, um ihr Leben im Aufnahmezentren und die damit einhergehenden Herausforderungen zu diskutieren.

Es war kein leichtes Unterfangen, da kurz nach Projektstart das Sicherheitsdekret (nr.53) in Kraft getreten ist und dadurch viel Unsicherheit und Bedenken ausgelöst wurde. Dies hat die Lebensbedingungen der geflüchteten Frauen stark beeinflusst und sich wiederum auf das Projekt ausgewirkt. Bereits nach wenigen Monaten wurde das Aufnahmezentrum für Frauen aufgelöst und wir mussten unser Vorhaben stets an die neuen Gegebenheiten anpassen.

Von links nach rechts: Nicole Pozzi (Friedenszentrum), Sabine Tiefenthaler und Gemma Lynch.
Was wird in der Ausstellung Immigrant Sisterhood gezeigt?

Die Ausstellung thematisiert die Erfahrungen und Herausforderungen von geflüchteten Frauen in einem Erstaufnahmezentrum in Sardinien. Im Laufe eines Jahres haben die Frauen Bilder ihrer Lebenswelt gemacht, diese in Kleingruppen diskutiert und Narrationen dazu entwickelt. Die Ergebnisse des Projekts werden in der Ausstellung gezeigt.

Die Ausstellung ist in drei Teile geteilt: Ein Teil zeigt die Fotos und Narrationen der jungen Frauen mit Fluchtbiografien die im Rahmen des Projekts entstanden sind. Ein weiterer Teil bezieht sich auf die Reportagebilder der Fotografin, die das Projekt begleitet hat. Zusätzlich gibt es noch ein Fotobuch in dem die Entwicklung der Fotos in der Dunkelkammer dokumentiert ist.

Wie haben Sie die jungen Frauen, die an dem Projekt mitgearbeitet haben, kennengelernt?

Im Rahmen meiner Doktorarbeit habe ich in einem CAS (Centro di accoglienza straordinaria) mit der Feldforschung begonnen und dabei die Frauen kennengelernt. Bevor wir das Projekt begonnen haben, habe ich bereits zahlreiche Stunden gemeinsam mit den Frauen verbracht, um sie besser kennenzulernen. Diese Zeit davor war sehr wichtig, da ohne eine bestehende Beziehung und vorhandenes Vertrauen die Durchführung des Projekts nicht möglich gewesen wäre. Die Entscheidung für das Foto-Projekt haben die Frauen dann selbst getroffen. Durch die Bilder und die Erzählungen dazu wollten sie auf ihre Situation aufmerksam machen.

Sabine Tiefenthaler
Alice und Thatcher, wie haben Sie an dem Projekt gearbeitet?

Zuerst haben wir uns ein Thema gesucht, über das wir das Projekt machen wollten. Wir haben Bilder mit analogen schwarz-weiß Kameras gemacht und diese dann in der Gruppe besprochen. Dadurch konnten wir unsere Sichtweise auf die Dinge beschreiben und unsere Meinung sagen. Wir haben die Bilder auch kategorisiert, um zu sehen, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede wir feststellen können. Danach haben wir entschieden welche Bilder wir der Öffentlichkeit zeigen wollen und haben dazu kurze Bildbeschreibungen oder Geschichten entwickelt. Einige Bilder haben wir auch in der Dunkelkammer entwickelt. Das war interessant, weil wir das vorher noch nie gemacht haben. Wir haben die Fotos auf einer Homepage und bei verschiedenen Ausstellungen gezeigt.

Alice
Warum haben Sie an dem Projekt PhotoVoice teilgenommen?

Ich habe teilgenommen, da ich zeigen wollte, wie das Leben für schwarze Frauen in einem Aufnahmezentrum in Italien ist. (Alice)

Ich habe über meinen Weg nach Europa und meine Eindrücke im Aufnahmezentrum gesprochen. Ich wollte nach Europa kommen, um hier eine Arbeit zu finden. Ich habe mir wirklich etwas anderes erhofft. Nun bin ich in einem Aufnahmezentrum und habe keinen Job. Ich muss mit anderen Personen leben, die ich vorher nicht gekannt habe. Das alles ist nicht einfach für mich. Aber jetzt muss ich diese Situation bewältigen. Alles ist neu für mich. Mit diesem Projekt, möchte ich auch über meine Situation erzählen und zeigen, wie schwer es ist, damit fertig zu werden und auch was mir dabei hilft. Nur wenn andere darüber Bescheid wissen, kann etwas verändert werden. (Thatcher)

Möchten Sie kurz von Ihren Erfahrungen berichten?

Zu Beginn wusste ich nicht worüber ich sprechen sollte, aber dann habe ich die Bilder gesehen und konnte die Wahrheit sagen. Mit den Bildern konnte ich erklären, wie ich mich fühle und das ist wirklich wichtig. (Alice)

Es war gut. Mir hat es sehr gut gefallen. Wenn ich ein Bild gesehen habe, konnte ich sofort eine Geschichte dazu erzählen. Ich wusste was wichtig ist und was ich darüber sagen wollte. (Thatcher)

Wie ist Ihre aktuelle Situation? Wo leben Sie?

Ich bin immer in meinem Zimmer. Ich bin einsam. Ich warte noch immer auf meine Papiere und ich kann nichts machen. Ich bin nun schon seit mehr als drei Jahre in dieser Situation. (Alice)

Ich lebe seit 1,5 Jahren in einem Aufnahmezentrum. Diese Situation ist neu für ich. Ich habe nie mit anderen Personen zusammengelebt. Meine Anwältin hat gesagt, dass ich geduldig sein muss aber ich warte schon sehr lange. Ich habe gesundheitliche Probleme und jetzt muss ich auch noch für meine Medikamente selber bezahlen. Vorher war das nicht so. Es ist wirklich schrecklich. (Thatcher)

Ausstellungsansicht Immigrant Sisterhood

Alice und Thatcher sind Künstlerinnen-Namen, welche die Frauen im Rahmen des Projekts aus Datenschutzgründen gewählt haben.

https://diespinnerei.com/

 

Interview: Judith Mittelberger

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