Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
Frauenmuseum | Museo delle donne

„Dadurch, dass ich hier inneren Frieden und Harmonie finde, kann ich meine Arbeit als Psychologin weiterhin ausüben“

0

Diesen Monat stellen wir zwei Frauen des Monats vor.
Wir haben sie in den letzten Monaten bei der Vorbereitung eines unserer Projekte zum Thema Brot, Migration und Tradition kennengelernt, das uns im nächsten Herbst begleiten wird.
Es handelt sich um Natalia Gubina und Victoria Smirnova, zwei Ukrainerinnen, die kurz nach dem Ausbruch des Krieges in ihrem Land nach Südtirol gekommen sind und nun in Lana zusammen mit einer Gruppe von Flüchtlingen leben.
Es sind zwei Frauen, die in ihrem Land ein stabiles Leben mit einem soliden Beruf hatten, die ein langjähriges Studium hinter sich haben, und die uns nun in diesen Zeilen ihre Geschichte erzählen, gestern und heute.
Über ihre Zukunft haben wir versucht, nur sehr zurückhaltend zu sprechen, denn Zukunftspläne und Träume sind ungewiss, wenn man, wie in ihrem Fall, der Weltpolitik ausgeliefert ist.
In einer Vision einer inklusiven und sich transformierenden Gesellschaft ist es wertvoll, die Geschichten der Menschen um uns zu sammeln und ihnen Raum zu geben. Es ist nicht selbstverständlich, Menschen zu finden, die bereit sind, ihre Geschichten zu erzählen, vor allem, wenn sie nicht bereits in einer öffentlichen Rolle stehen, aber das ist es, was uns an ihren Geschichten fasziniert, deshalb danken wir Natalia und Viktoria für ihre Bereitschaft.

Die Geschichte von Victoria Smirnova wurde bereits am Freitag veröffentlicht und kann hier nachgelesen werden.

 

Liebe Natalia, kannst du dich kurz beschreiben und uns ein wenig über dein Leben erzählen, bevor du nach Südtirol gekommen bist?

Mein Name ist Natalia Gubina, ich bin 52 Jahre alt. Ich komme aus der Ukraine, aus der Stadt Charkiw. Ich bin nicht verheiratet und habe keine Kinder. Mein Vater ist jetzt in Charkiw, meine Mutter ist vor 15 Jahren gestorben.

Ich habe einen Abschluss in Rechtswissenschaften und einen in Psychologie. Von 1993 bis 2021 (28 Jahre lang) arbeitete ich an einem der Gerichte unserer Stadt. Im Justizsystem hatte ich eine Verwaltungsposition inne und organisierte die Arbeit des Gerichtspersonals: Bürosekretäre und Hilfsrichter.

Im Jahr 2010 trat ich in die Fakultät für Psychologie ein, da mir dieses Berufsfeld sehr entsprach und widmete diesem Thema fortan meine ganze Freizeit. Abends nach der Arbeit besuchte ich Kurse, psychologische Gruppen und bekam eine persönliche Therapie bei einem Psychologen. Ich praktizierte auch in der Reiki-Schule eine Heilung mit den Händen.

Irgendwann wurde mir klar, dass ich beruflich Psychologie studieren wollte. Im Jahr 2021 verließ ich das Gericht, um mit meiner Beratungstätigkeit zu beginnen.

Zu Beginn hatte ich Angst, im Alter von 50 Jahren den Beruf zu wechseln und noch einmal von vorne anzufangen. Aber mir wurde klar, dass ich nicht mehr so leben konnte wie bisher, weil die Psychologie meine Lebenseinstellung völlig verändert hatte. Ich habe mich innerlich verändert, daher waren äußere Veränderungen ebenso unvermeidlich.

Ich hatte ein schönes Büro und ich empfing Kund:innen, doch 2022 begann der Krieg und ich musste die Ukraine verlassen.

Charkiw, wo ich lebte, liegt 30 Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt, daher wurde die Stadt seit den ersten Kriegstagen ständig bombardiert. Das russische Militär drang sogar in die Stadt ein und zerstörte sie.

In der Stadt war es sehr gefährlich, also fuhr ich in die Vororte von Charkiw. Als Freiwillige habe ich unserer Armee geholfen. Mit anderen Frauen haben wir Tarnnetze für militärische Ausrüstung hergestellt. Sobald ein Tarnnetz fertig war, wurde darüber ein Schutzgebet vorgelesen und es wurde an die Front geschickt.

Wann hast du dich entschieden, die Ukraine zu verlassen?

Seit Beginn des Krieges haben die EU-Länder ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. So habe ich beschlossen, dass es für mich besser ist, das Land zu verlassen, als in einer Situation täglicher Lebensgefahr zu leben. Ich hatte keine Pläne, bin einfach dorthin gegangen, wohin der Hauptstrom der Flüchtlinge ging. Vorher ging ich noch zur Kirche und bat einen Priester der orthodoxen Kirche, um den Segen für meine Reise nach Europa. Dann nahm ich meine beiden Katzen mit und überquerte die Grenze in die Slowakei. Wir wurden dort sehr gut von unglaublich tollen Menschen aufgenommen. Ehrlich gesagt wusste ich nicht, wohin ich als nächstes gehen und was ich tun sollte und war völlig verwirrt. Doch in diesem Moment wurde uns gesagt, dass ein Bus aus Italien kommt und alle abholen würde, die wollten.

Später stellte sich heraus, dass unsere Gruppe von 35 Flüchtlingen mit dem Geld von Mitgliedern einer religiösen Organisation in Bozen nach Italien gebracht wurde. Ein Vertreter dieser Gemeinschaft, Riccardo, brachte uns mit dem Bus nach Meran und wir wurden in einem Frauenkloster untergebracht. Die Leiterin des Klosters, Edita, hat sich vom ersten Tag an um uns gekümmert und lebt nun auch bei uns in Lana. Jetzt wohnen wir im Gebäude des ehemaligen Klosters St. Anna.

Das war sicher eine große Veränderung für dich. Wie hast du sie erlebt? Wie geht es dir jetzt und was hat dir geholfen, damit umzugehen?

Seit März 2022 erhalten wir in Italien kostenlose Unterkunft, Verpflegung, medizinische Versorgung und die Möglichkeit, unsere Tiere zum Tierarzt zu bringen.

Auf unserem YouTube-Kanal sprechen wir über unser Leben in Italien: https://www.youtube.com/@UkrainaStAnna (Unter jedem Video auf dem Kanal gibt es eine Übersetzung auf Italienisch)

In Sankt Anna lebe ich mit meinen Katzen in einem separaten Raum.

In Lana arbeite ich mehrere Stunden pro Woche als Zimmermädchen und putze in einem Hotel. In meiner Freizeit zeichne ich in der neurographischen Technik. Dies ist eine Methode der Kunsttherapie, anhand welcher der psychische Zustand durch Zeichnen verbessert werden kann.

Derzeit absolviere ich außerdem Backkurse, nach deren Abschluss ich gerne eine Anstellung in einer Bäckerei oder Konditorei annehmen würde, um ein stabiles Einkommen zu haben.

Außerdem habe ich in naher Zukunft vor, den Online-Kurs „PSYCHOLOGISCHE HILFE FÜR VERWANDTE, wo Menschen beim MILITÄR sind“ zu belegen. In Zukunft möchte ich im Online-Format psychologische Hilfe leisten und so meinem Land helfen. Dadurch, dass ich hier inneren Frieden und Harmonie finde, kann ich meine Arbeit als Psychologin weiterhin ausüben. Ich bin dem Schicksal und Gott unendlich dankbar, dass ich jetzt in diesem wunderschönen Land bin, wo ich von freundlichen Menschen umgeben bin.

Gibt es Frauen, die für dich Vorbilder sind, die dich inspirieren?

Die ganze Zeit über inspiriert mich das Schicksal der berühmten amerikanischen Künstlerin Grandma Moses, die mir die Kraft gibt, mutig zu sein. Diese Frau hatte keine Ausbildung, lebte ihr ganzes Leben auf einem Bauernhof und hatte fünf Kinder.

Im Alter von 76 Jahren begann sie zu malen und wurde schließlich eine berühmte Künstlerin. Sie starb im Alter von 101 Jahren. Mittlerweile sind ihre Bilder in vielen Museen auf der ganzen Welt zu sehen, ein Film über sie wurde für einen Oscar nominiert und auf der Venus ist ein Krater nach ihr benannt.

Für mich zeigt diese Geschichte, dass man in jedem Alter sein Leben verändern und in jedem Alter ein erfolgreicher, erfüllter Mensch werden kann.

Die Hauptsache ist, dem Weg des Schicksals zu folgen, und dann werden wir daran wachsen.

Hast du ein Motto, das dich im Leben begleitet?

Mein Lieblingssatz der letzten Jahre: Das Beste fängt gerade erst an!

Leave A Reply