Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
Frauenmuseum | Museo delle donne

„Das Leben ist zu kurz, um es mit Blödsinn zu vergeuden“

0

Sie ist Sprachfrau, Wortklauberin, Büchersammlerin und –leserin, überzeugte Feministin, und vieles mehr. Frau des Monats August, Heidi Hintner, leitet seit 16 Jahren das Maria-Hueber Gymnasium in Bozen und ist vielseitig gesellschaftlich engagiert. Im Interview verrät sie, was sie mit Humor nimmt und was sie zum Schreien bringt, was Feminismus für sie bedeutet und warum ihr eine gerechte Sprache am Herzen liegt.

Kannst du dich kurz vorstellen?

Mein Name ist Heidi Hintner. Meine Wurzeln mütterlicherseits und väterlicherseits liegen im Hochpustertal; ich bin in Bozen aufgewachsen und habe von Mädchenbeinen an einen starken Gerechtigkeitssinn. Ich bin vielseitig interessiert, meist voller Energie, unkonventionell.

Du deklarierst dich selbst als Feministin. Wie würdest du Feminismus beschreiben und was ist dir dabei wichtig?

Jede politisch denkende Frau sollte Feministin sein. Der Anspruch der Frauen auf gleiche Rechte ist keine frauenspezifische Forderung, sondern dem Prinzip der Gleichheit und Freiheit inhärent. Sollen die allgemeinen Prinzipien der Gleichheit und Freiheit nur für einen Teil der Menschheit gelten? Ich sehe und erkenne hier einen großen Denk- und Handlungsspielraum – von täglichen kleinen und größeren Interventionen bis hin zu Dauerkämpfen (z.B. gleiche Arbeit – gleicher Lohn, Nein zu Männergewalt an Mädchen und Frauen, gerechte Sprache usw.). Wir brauchen eine frauenfreundlichere Zivilgesellschaft! Menschen müssen sich als Gleiche begegnen.

Zum Thema Feminismus: Ich spreche lieber im Plural, Feminismen. Aus meiner Sicht geht es da um Frauenbefreiung, die Befreiung aus historisch gewachsenen, begründeten, zementierten Einschränkungen und Unterdrückungen, die Frauen treffen. Also die Befreiung aus Abhängigkeiten, aus Ausbeutung (in Arbeit, Reproduktionsarbeit, Care-Arbeit), Rassifizierung.

Das Wort, die Sprache ist für dich besonders wichtig. Wieso ist hier besonderes Augenmerk zu legen?

Sprache bestimmt unser Denken, und Mutter Sprache verrät ihre Töchter… Mir ist eine Sprache wichtig, die Frauen sichtbar macht, eine Sprache, die nicht verletzt, die gerecht und auch elegant ist. Das ist Arbeit!

Aus der Sicht der feministischen Sprachwissenschaft geht es um das Sichtbarmachen von Mädchen und Frauen; zunächst auch ums Erkennen von weiblichen Wirklichkeiten überhaupt. Etablierte Schwesterndisziplinen der feministischen Linguistik sind die feministische Soziologie, feministische Philosophie, feministische Politikwissenschaft, feministische Literaturwissenschaft, feministische Theologie usw.

Ich denke, es ist wichtig, auch unserem eigenen Denken gegenüber kritisch zu sein – denn es ist auch ein im Rahmen der patriarchalen Tradition ausgebildetes Denken. Es braucht also Kreativität und intellektuellen Mut. Mut, alleine zu stehen. Mut, Ziele zu verfolgen.

Heidi Hintner, Foto: Manuela Tessaro
Deine Arbeitswelten, in denen du tätig warst und bist sind auch Berufungen, wo du einiges bewegen kannst und die dir Sinn geben.

Das Leben ist zu kurz, um es mit Blödsinn zu vergeuden. Das beginnt bei mir bei der Auswahl der Bücher, die ich lese, über die Berufe, die ich ausüb(t)e bis hin zum Denken, besser: dem frauenzentrierten Denken. Ein Beispiel von Gerda Lerner: Frauenzentriert zu sein bedeutet: sich zu fragen, wie eine These, ein Argument lauten müsste, wenn Frauen im Mittelpunkt des Interesses stünden. Es bedeutet, alles zu ignorieren, was Frauen als weniger wichtig erscheinen lässt, d.h. also skeptisch zu sein gegenüber jedem bekannten System des Denkens, alle Annahmen, Wertordnungen und Definitionen kritisch zu hinterfragen.

Hier ein Beispiel aus der Wirtschaft: ein Drittel weniger oder die Hälfte mehr?

Ein Arbeiter verdient pro Stunde durchschnittlich 9 Euro, eine Arbeiterin durchschnittlich 6 Euro. Sie verdient also ein Drittel weniger als er (9-6); aus der Perspektive der Arbeiterin verdient er die Hälfte mehr als sie (6+3). Die Hälfte oder ein Drittel? Wenn wir die Perspektive der Frauen einnehmen, wird die Empörung noch empörender…

Du unterrichtest am Maria-Hueber-Gymnasium, an der Oberschule, die du auch seit 16 Jahren leitest. Was bedeutet dir die Arbeit mit den Oberschülerinnen?

Unterrichten sowie Leiten und Führen sind zwei verschiedene Bereiche/Berufe; beides bereitet mir Freude, fordert mich und gibt mir die Möglichkeit zum kreativen Gestalten und Wirken. Ich habe gemeinsam mit meinem Kollegium das Maria-Hueber-Gymnasium zu einer angesehenen Oberschule gemacht, mit einem klaren Profil. Ich arbeite gerne mit Mädchen und jungen Frauen, führe sie in die Welten des Denkens, der Poesie und des politischen Handelns ein, ermutige sie zu engagiertem und verantwortungsvollem Tun und solidarischem Handeln, getragen von Mitgefühl. Ich gebe Orientierung und gebe Denkanstöße, die im Alltag weiterhelfen können. Es ist eine tiefe Befriedigung, denn: Bildung ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe und Teilhabe an der Gestaltung der Zukunft. Vielleicht kommt die erste Landeshauptfrau aus dem Maria-Hueber-Gymnasium?

Heidi Hintner, Foto: Manuela Tessaro
Was sind deine Vorlieben, die du pflegst und wofür nimmst du dir Zeit?

Ich nehme mir Zeit für ehrliche, offene, inhaltstiefe Gespräche, für inspirierende und anregende Begegnungen, fürs Lesen (keine Krimis!) und fürs Spazierengehen. Ich suche meine Kleidung sehr bewusst aus, habe einen eigenen Stil, liebe kleine Brands, die es schon lange gibt, auch Vintage. Ich mag auch Schmuck und habe drei Lieblingsgoldschmiedinnen bzw. Schmuckdesignerinnen. Ich kaufe und sammle Kunst von Künstlerinnen und freue mich über jedes neue Stück. Letzthin erstanden: Eine rosarote Kristall-Vulva, gestaltet von einer jungen Südtiroler Künstlerin.

Deine Lebenswege sind vielseitig, beruhen wohl auf Neugier, Interesse, du nimmst auch Herausforderungen an, die dich weiterbringen. Was ist deine aktuelle Herausforderung, an der du arbeitest?

Im Sommer arbeite ich an einer FemBio über Clarice Lispector, die brasilianische Virginia Woolf. Mein Text erscheint zu ihrem 100. Geburtstag im legendären Kalender „Berühmte Frauen“ von Luise F. Pusch. Außerdem beschäftige ich mich seit über einem Jahr mit der britisch-mexikanischen Malerin und Schriftstellerin Leonora Carrington, lese ihre Texte (wunderbar!), besuchte Ausstellungen in Venedig, London, Kopenhagen, fahre ihren Ausstellungen sozusagen nach, um sie immer besser kennenzulernen. Ich bin gespannt, wohin mich Leonora Carrington noch führen wird…Mein feines Gespür für Komplexität, Zerbrechlichkeit, Ambiguitäten wird mir helfen.

Gesellschaftspolitisches Engagement aus tiefer Überzeugung und wo du aktiv deinen Teil beitragen kannst!

Die Liste ist lang; auch hier: entscheiden und dann engagiert mitwirken. Ich möchte vier Handlungsfelder aufzeigen:

  • Frauen*marsch – donne*in marcia – NB: Der nächste Frauen*marsch findet am 23.09.2023 in Bozen statt. Treffpunkt: 11 Uhr Gerichtsplatz

  • FemBio – Feministisches FrauenBiographieForschungsInstitut Hannover/Boston

  • Kleinere journalistische Arbeiten z.B. RAI-Morgengedanken

  • Projekte mit Schülerinnen und Schülern in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Partnern z.B. die ästhetische Kulturforschung mit Museion und der Universität Marburg

    Heidi Hintner beim Frauenmarsch, Foto: Manuela Tessaro
Leidenschaften

Lesen. Lesen. Lesen. Ein gutes Glas Weißwein, gekühlt, trocken, am liebsten von einer Winzerin.
Reisen. Und Lesen. Lesen. Lesen.
Philosophinnen entdecken, immer mehr, immer wieder. Sie waren immer schon da, von Anfang an, z.B. Aspasia und Diotima, die Sokrates als seine hervorragenden Lehrerinnen nennt. Wir kennen sie nicht, weil vielfach nur die männlichen Texte überliefert sind. Die Forschung hat begonnen, diese Schätze zu heben und Texte von Philosophinnen zugänglich zu machen.

Und ich mag Eleganz, Stil und Vintage.

Heidi Hintner liebt Vintage , Foto: Manuela Tessaro
Humor und Leichtigkeit pflegst du genauso wie Ernsthaftigkeit, wenn es die Situation erfordert.

Ja, zum Glück habe ich diese Gabe. Auch wenn ich angesichts der Tatsache, dass jeden 3. Tag eine Frau von ihrem Freund, ihrem Ex, ihrem Mann ermordet wird, nur immer laut schreien könnte und meine Stimme erhebe. Wo ist der große gesellschaftliche Aufschrei? Weshalb wurde und wird die Auslöschung, Vernichtung, Verstummung, Ermordung von Frauen oder der Stimmen von Frauen von Männerkulturen „legitimiert“?

Humor (manchmal böser), Leichtigkeit, Scharfsinn helfen bei solchen Fragen: Wie überwinden wir eine Tradition, die Frauen von vornherein die intellektuellen Fähigkeiten fürs Philosophieren absprach, die Vernunft oder Rationalität geschlechtsspezifisch männlich konnotiert, die Frauen aus dem literarischen, künstlerischen, philosophischen Kanon ausschließt… am besten mit lautem Lachen!

Frauen, die dir Vorbilder sind.

Viele, viele. Philosophinnen, Denkerinnen, Schriftstellerinnen, Künstlerinnen, Malerinnen, Musikerinnen, Fotografinnen, Politikerinnen, Mathematikerinnen, Physikerinnen, Wissenschaftlerinnen. Freundinnen, Lehrerinnen, Netzwerkerinnen. Feministinnen. Zum Beispiel derzeit Iris Murdoch, die unkonventionelle Philosophin, privat und beruflich, die 26 Romane schrieb. Sie gefällt mir besonders gut, weil sie klug ist und mich in die Weite und Tiefe führt.

Dein Lebensmotto

Finanzielle Unabhängigkeit trägt zu innerem Selbstbewusstsein und zu einem Leben in Freiheit bei.

 

Heidi Hintner beim Frauenmarsch, Foto: Manuela Tessaro

Leave A Reply