Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
Frauenmuseum | Museo delle donne

„Die Stimme erheben, es hilft!“

0

Marlene Rinner ist Ingenieurin und seit kurzem erste technische Expertin an der Landesprüfstelle für Fahrzeuge der Autonomen Provinz Bozen. Was es bedeutet, als Ingenieurin zu arbeiten und warum sie sich als Präsidentin des Südtiroler Frauennetzwerkes Wnet-networking women für Chancengleichheit einsetzt, erzählt sie uns hier.

Marlene Rinner an der Landesprüfstelle für Fahrzeuge
Du bist Ingenieurin, das heißt du arbeitest in einem Männerberuf. Was bedeutet das im Alltag?

Sagen wir es so: mein Beruf wird noch vorwiegend von Männern ausgeübt. Ich merke keinen großen Unterschied, ob ich mit Männern oder Frauen zu tun habe. Nach meiner Erfahrung ist die Bandbreite an Charakteren bei beiden Geschlechtern mehr oder weniger dieselbe. Im Vordergrund steht für mich ein respektvoller Umgang und professionales Arbeiten. Zum Schmunzeln bringen mich gelegentlich Kunden, für die eine Frau Ingenieurin noch nicht alltäglich ist.

Wusstest du schon immer, dass du Ingenieurin werden wolltest?

Ich wusste nach der Mittelschule genau, was ich nicht werden wollte: Verkäuferin, Lehrerin, Friseurin, alles wichtige Berufe, aber sie sagten mir nicht zu. Aufgrund meiner Begabungen und Interessen kam eine technische oder naturwissenschaftliche Oberschule in Frage. Es wurde das Realgymnasium. Die nächste Entscheidung stand nach der Matura an. Welche der drei Studienrichtungen Mathematik, Physik oder Ingenieurwesen werde ich wohl einschlagen? Nach reiflichem Überlegen entschied ich mich pragmatisch für Ingenieurwesen. Erstens weil ein Ingenieur, pardon eine Ingenieurin für Expertise, Fachkompetenz und die Fähigkeit steht, schwierige Aufgaben lösen zu können. Zweitens wollte ich unbedingt den Frauenanteil in dieser Berufsgruppe erhöhen und drittens bot und bietet dieser Beruf gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt und Verdienstmöglichkeiten. Eingeschrieben habe ich mich dann an der damals neu eingerichteten Fachrichtung Ingegneria dei Materiali der Universität Trient. Nach dem erfolgreichen Studienabschluss habe ich noch ein Forschungsdoktorat angehängt und an der TU-Darmstadt promoviert.

Was reizt dich besonders an deinem Beruf?

Kreativ für bestimmte Zielsetzungen, Fragestellungen technisch machbare häufig auch innovative Lösungen zu entwickeln. Diese Lösungen sollten auf jedem Fall zu einer Verbesserung der Lebensqualität führen und wirtschaftlich sein. Dabei gehe ich gerne den Dingen auf den Grund, um Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Meine große Neugierde und das Interesse an Technik und Naturwissenschaften sind dabei überaus hilfreich.

Woher kommt deine Leidenschaft für E-Mobilität?

Die Leitung von Innovationsprojekten zieht sich wie ein roter Faden durch meine berufliche Laufbahn. Los ging es in der internationalen Automotive Zulieferindustrie mit der Entwicklung des Ausgleichsbehälters des Brennstoffzellenfahrzeuges Hydrogen IV von General Motors. Von 2011 bis 2017 war ich bei der Inhouse Gesellschaft der Autonomen Provinz Bozen STA Südtiroler Transportstrukturen AG für die Einführung der ersten fünf Brennstoffzellenbusse in den Öffentlichen Personennahverkehr der Stadt Bozen im Rahmen des europäischen CHIC verantwortlich. Die blauen Busse prägen seit 2013 das Stadtbild emissionsfrei und leise mit. Im Anschluss wechselte ich themengerecht zum städtischen Busunternehmen SASA AG und betreute dort als Vehicle und Maintenance Managerin die ersten Versuche mit Batteriebussen und die Ausschreibung für deren Ankauf einschließlich der Ladeinfrastruktur.

Einer der fünf Brennstoffzellenbusse, die Marlene Rinner 2013 in den öffentlichen Personennahverkehr brachte.
Welche war die größte Herausforderung in deinem Berufsleben bisher?

In meinem Berufsleben hatte ich einige sehr komplexe Projekte abgewickelt. Die Teamführung und die Beziehung zu Kunden und Lieferanten verlangten mir manchmal mehr Energie ab als die technischen, terminlichen und budgetmäßigen Anforderungen. Die bisher wohl größte Herausforderung war die Entwicklung zur Serienreife eines komplett neuen Fertigungsverfahrens (PIT-Verfahren) beim international tätigen Automotive-Zulieferer Röchling Automotive in Leifers. Dieses Projekt wurde 2006 mit dem GRAND INNOVATION-AWARD (Body Exterior) der SPE SOCIETY OF PLASTICS ENGINEERS ausgezeichnet, welchen ich als Projektleiterin für das Unternehmen und das Projektteam entgegennehmen konnte.

Marlene Rinner in Düsseldorf bei der Entgegennahme 2006 des GRAND INNOVATION-AWARD (Body Exterior) der SPE Society of Plastic Engineers Inc. für das in Projektil-Injektionstechnik hergestellte Kühlwasserrohr.
Wann hast du gewusst, dass du dich für Chancengleichheit engagieren willst?

Eigentlich schon in meiner Kindheit. Bei Messen in der Kirche und öffentlichen Veranstaltungen fiel mir damals schon auf, dass vorne meistens Männer standen und Reden schwingen, Frauen hingegen hinten zuhören und für die Getränke und Speisen sorgen. Fehlende Frauen ärgerten mich auch beim traditionellen Faschingsumzug in meiner Heimatgemeinde Tramin, wo ausschließlich Männer mitmachen. Natürlich hatte ich nachgefragt, warum keine Frauen aktiv dabei sind und erhielt als Antwort, dass es so Tradition sei. Fehlende Chancengleichheit, unterschiedliche Behandlung und vorgefasste Rollenvorstellungen habe ich von da an einfach hinterfragt und angesprochen.

Was muss in Südtirol passieren, damit Frauen im Beruf gleiche Chancen haben?

Damit sich in Südtirol etwas in Richtung Chancengleichheit im Berufsleben ändert, braucht es dringend ein gesellschaftliches Umdenken in Bezug auf die Zuständigkeit für Care- und Erwerbstätigkeit innerhalb einer Familie. Familie kann nicht getrennt von Wirtschaft betrachtet werden. Die Vereinbarkeit des Berufs- und Familienlebens ist nicht die alleinige Angelegenheit der berufstätigen Frau, sondern der berufstätigen Eltern. Dieser Standpunkt muss unbedingt in die Köpfe der Unternehmen, der politischen Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen aber auch der Frauen selbst. Wenn wir mehr gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe wollen, dann ist die Verantwortung und die Arbeit für Kinder und Familie mit den Kindervätern gerecht zu teilen. Ebenso ist das Angebot für die außerfamiliäre Kinderbetreuung zu erweitern und flexiblere Arbeitszeitmodelle einzuführen, nicht nur anzudenken. Doch damit ist es allein nicht getan. Frauen müssen Selbstmarketing betreiben, im ausreichenden Maße ihre Stärken und Leistungen sichtbar machen und ihre beruflichen Ziele klar und hörbar deponieren. Mentorinnen und Mentoren können dabei Unterstützung geben. Der Erfahrungsaustausch mit beruflich erfolgreichen Frauen und Männern kann uns weiterbringen genauso wie untypische Rollenvorbilder.

Wofür steht das Frauennetzwerk Wnet-networking women?

Wnet – networking women ist das Südtiroler Netzwerk von Frauen aus Wirtschaft, Management und Dienstleistung, das sich die Frauenförderung im Berufsleben, allem voran von Frauen in Entscheidungs- und Führungspositionen, zum Ziel gesetzt hat. Unser Leitmotiv lautet „Karriere möglich machen“. Der Fokus liegt auf dem Engagement, Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern im Berufsleben auf allen Hierarchieebenen zu erreichen sowie die Sensibilisierung der Gesellschaft für die Schaffung entsprechender gesellschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen.

Welche Meilensteine wurden bisher erreicht?

Bis zu einer zufriedenstellenden Chancengleichheit im Berufsleben ist noch einiges zu tun. Seit seiner Gründung 2006 greift Wnet jedes Jahr gesellschaftlich relevante Frauenthemen auf und organisiert dazu öffentlich Veranstaltungen. In den vergangenen Jahren waren es z.B.: 2014 „Vereinbarkeit Beruf und Familie“, 2015 „Wir Frauen, wir Expertinnen!“, 2016 „Frauen in Führung!“, 2017 „Rollenstereotype ade!“, 2018 „Mann und Feminist – (k)ein Widerspruch?“ und 2019 „Frauen in den Medien, Ihre Präsenz und Darstellung!“. Durch die sehr gute Vernetzung mit den lokalen Medien, anderen Frauennetzwerken, Wirtschaftsverbänden und politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern ist es Wnet möglich, diesen Themen mehr Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Wnet Impulstagung 2019 „Frauen in den Medien, ihre Präsenz und Darstellung!“, Präsidentin Marlene Rinner mit Vorstand und Teilnehmerinnen
Welche sind die nächsten Schritte?

2020 beschäftigt sich Wnet schwerpunktmäßig mit „noch“ untypischen Berufsvorbildern und damit eng verbunden „noch“ untypischen Rollenvorbildern für Mädchen und Jungen. Es geht im Grunde um den mühsamen Abbau von Geschlechterklischees in der Berufswelt und die Aufmerksamkeit auf dieselben Berufsmöglichkeiten für Mädchen und Jungen. Neben dem Elternhaus spielen die Bildungseinrichtungen vom Kindergarten aufwärts und untypische Berufsvorbilder bei der Berufswahl eine wichtige Rolle. Die Impulstagung dazu findet am 1.10.2020 statt.

Dein Lebensmotto?

Neugierde erleichtert Orientierung und Entscheidungen!

Was ist für dich Erfolg?

Wenn ich ein Vorhaben, z.B. ein privates oder berufliches Projekt, nach meinen Vorstellungen, die sich natürlich im Laufe der Umsetzung ändern können, abschließen konnte.

Wen bewunderst du?

Zunächst meine sehr umsichtigen und verantwortungsvollen Eltern, die für einen Großvater und einen Onkel sorgten, sechs Kinder großzogen und diese in ihrer beruflichen Entfaltung soweit es ihnen möglich war voll unterstützten.

Dann alle mutigen Frauen und Männer, die heute in Diktaturen oder autoritären Regimen für Menschenrechte und Freiheit ihr Leben riskieren.

Welche Lebensweisheit hast du im letzten Jahr gewonnen?

Auf sich selbst vertrauen, ruhig und gelassen an die Herausforderungen herangehen und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Die Stimme erheben, wenn Frauen respektlos behandelt werden und wieder einmal am Podium fehlen. Es hilft!!

Marlene Rinner bei ihrem liebsten Hobby „Gartln“.

 

Leave A Reply