Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
Frauenmuseum | Museo delle donne

Ich sag`s euch, wir müssen aufpassen, dass sie uns nicht die Freude klauen!

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Unser Mensch des Monats Jänner ist Anna Blue hier im Gespräch mit Sissi Prader.

Im Frauenmuseum ist uns wichtig, die Stimme den jungen Menschen zu geben, die sich gesellschaftspolitisch aktiv einsetzen.
Was be-wegt junge Menschen und wie versuchen sie durch ihr Engagement und auch Lebenslust, die Welt wieder zu einem Gleichgewicht zu bringen.

Kannst du dich vorstellen?

Ich bin Blue oder Anna, je nachdem, wem ich mich vorstelle. Ich bin 22 Jahre alt, in Meran aufgewachsen und studiere Kulturwissenschaften in Maastricht, in den Niederlanden. Wenn ich nicht gerade in der Uni bin, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, mich auf Demos, beim Organisieren des Klimacamp Alto Adige, Lesen oder Schreiben anzutreffen – oder beim Barfuß spazieren gehen, vorausgesetzt ich bin in Südtirol. Jetzt wirke ich schon nach der ersten Frage wie die größte Öko-Person. Tatsächlich setze ich mich aber nicht nur für Klimagerechtigkeit, sondern auch für queere Rechte, Feminismus und andere Themen sozialer Gerechtigkeits-Bewegungen ein.  

So fing alles an: Mit Schulfreundin Hannah bei meinem ersten Klimastreik in Bozen, 2019

 Wieso fühlst du dich wohler, als Mensch des Monats bezeichnet zu werden?

Ich finde es wichtig, dass die Frauen*- und feministische Bewegung queere und gender-non-konforme Personen, wie nichtbinäre oder trans* Menschen, nicht außer Acht lässt. Wir waren schon immer Teil der Bewegung und sind von den gleichen patriarchalen Machtstrukturen betroffen. Für mich selbst fühlt sich „Mensch“ einfach besser als „Frau“ an. Aus diesem Grund benutze ich auch keine Pronomen. Den einzelnen Menschen und nicht dessen Geschlecht in den Mittelpunkt zu stellen, finde ich befreiend.

Was bewog dich, ein Studium in Maastricht zu beginnen?

Dass es mich nach der Schule weg aus Südtirol ziehen würde, wusste ich schon immer. Obwohl ich eine bereichernde Schulzeit am Meraner Kunstgymnasium hatte, habe ich doch die Jahre gezählt, bis es so weit war. Allerdings hat es etwas gedauert bis ich mein jetziges Studium, das mir sehr gut gefällt, gefunden habe. Von Leipzig und Wien, wo ich meine Zehen in die Studien der Germanistik und Literaturwissenschaft gesteckt habe, bin ich über meine Partnerin in Maastricht gelandet. „Arts and Culture“, wie mein Studium heißt, baut Brücken zwischen verschiedenen Geisteswissenschaften wie Soziologie, Geschichte, Politikwissenschaften, Philosophie, Kunstgeschichte und Gender Studies. Diese Interdisziplinarität, die sich gut mit meinem Interesse für Intersektionalität verknüpfen lässt, hat mich, in Kombination mit dem internationalen Studienumfeld, neugierig gemacht.

Du bist aktivistisch auf dem Weg. Was gibt dir Anlass und Kraft dazu?

Ich denke, ich habe schon immer stark gefühlt, insbesondere wenn es um Ungerechtigkeiten ging. Als Kind habe ich meine Familie mit Wutausbrüchen und Co auf Trab gehalten. Tatsächlich setze ich mich in meinem Studium auch gerade mit Emotionen auseinander. Rationalität, oft als das anzustrebende Gegenteil von Gefühlen betrachtet, ist kein neutraler Wert. Es ist ein patriarchales Konzept der Aufklärung, das im Laufe der Jahrhunderte verwendet wurde, um marginalisierte Personen wie Frauen, nicht-weiße, queere und behinderte Menschen als „irrational“, „zu emotional“ oder „hysterisch“ zu bezeichnen und sie deshalb unterzuordnen und von Entscheidungspositionen auszuschließen. Meine Gefühle, sei es zum Beispiel Wut auf die rassistische Politik rechter Parteien oder auch Angst vor den Folgen der Klimakrise, als berechtigt zu sehen, gibt mir Kraft und Energie, aktiv zu werden. Ich bin überzeugt, dass wir Dinge ändern können. Wenn man dem folgt, was einen wirklich bewegt, setzt das eine ungeheure Kraft frei. Es bedeutet, nach den eignen Werten, im Einklang mit sich selbst zu leben. Außerdem findet man Gemeinschaft, und die wiederum ist die Basis von Hoffnung und Resistenz.

Beim globalen Klimastreik in Berlin, 2021

Was ist dein Ausgleich neben all diesen Themen?

Auf einen Ausgleich zu achten, fällt mir häufig schwer, weil es immer was zu tun und zu lernen gibt, und ich mich auf Grund meiner Privilegien in der Pflicht sehe, nicht zu schweigen oder gleichgültig zu verhalten. Gleichzeitig funktioniert das nur, wenn man auch auf sich Acht gibt und vor allem nicht die Freude an der Welt und am Leben verliert. Was mir sehr hilft, ist, kein social media zu verwenden. Und ansonsten tut Gemeinschaft nicht nur im Aktivismus, sondern auch sonst gut. Mit lieben Menschen über alles, was mich bewegt sprechen zu können, möglichst häufig in die Natur zu gehen (was sich in Maastricht, das in einer der ersten industrialisierten Gegenden auf Europas Festland liegt, als schwierig gestaltet), und Kreatives mit den Händen zu erschaffen gleicht mich aus.


Ausgleich zum turbulenten Alltag in der Lobau bei Wien, 2022

 

Hast du Vorbilder?

Vorbilder, im Sinne, dass ich so sein möchte wie diese Menschen, habe ich nicht, denn ich glaube es ist gut, dass wir alle unterschiedlich sind und anderes beisteuern können. Natürlich gib es aber Menschen, die ich bewundere und von denen es viel zu lernen gilt. Die Behindertenrechts-Aktivistin Judith Heumann und Alexander Langer fallen mir spontan ein. Auch Audre Lorde, die sich selbst als „Schwarze lesbische Dichterin“ bezeichnete, hat mich durch den folgenden Satz sehr geprägt: „I have come to believe over and over again, that what is most important to me must be spoken, made verbal and shared, even at the risk of having it bruised or misunderstood.“ (übersetzt: „Ich bin immer wieder zu der Überzeugung gelangt, dass das, was mir am wichtigsten ist, ausgesprochen, verbalisiert und geteilt werden muss, auch auf die Gefahr hin, dass es zerschlagen oder missverstanden wird.“)* Tatsächlich ließ mich Ivan Gufler`s Rede auf der No Excuses – Demonstration in Bozen kürzlich wieder an das Zitat denken. „Noi dicciamo no all’indifferenza“, rief er ins Mikrofon – und das bedeutet, nicht zu schweigen und wegzusehen, wenn Menschen auf Grund von Ethnizität, Geschlecht oder Sexualität weniger Rechte haben, wie es unter rechten Parteien gang und gäbe ist!

Was sind deine weiteren Pläne?

Noch immer beschwingt vom Erflog des ersten, findet kommenden Sommer das zweite Klimacamp Südtirols statt. Ansonsten habe ich in den nächsten Jahren vor, noch mehr zu lernen und weiter zu studieren. Zwar werde ich dabei weiterhin in ganz Europa unterwegs sein, möchte aber auch in Südtirol aktiv bleiben und neue Impulse teilen. Und wer weiß, vielleicht komme ich irgendwann ja „ganz“ zurück. Ich hoffe, bis dahin sind wir mehr die nicht schweigen und zusammen aufstehen – mit Gefühlen und mit Freude. Ich sag`s euch, wir müssen aufpassen, dass sie uns die Freude nicht klauen!

Klimacamp in Wiesen bei Sterzing, 2023

Anna Blue

*Audre Lorde (1984): Sister Outsider – Essays and Speeches.

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