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Lasst uns die intersektionale Brille aufsetzen!

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Intersektionalität – ein Wort, das momentan in aller Munde zu sein scheint. Doch was bedeutet das Konzept eigentlich genau? Woher kommt es und wie kann es uns im Kampf gegen Ungerechtigkeit helfen? Audre Lorde, eine amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin, sagte dazu: „There is no such thing as a single-issue struggle because we do not live single-issue lives.“ (übersetzt: „Es gibt keine eindimensionalen Kämpfe, weil wir keine eindimensionalen Leben führen.“) Diese Worte fassen Intersektionalität punktgenau zusammen. Doch lasst uns am Ursprung beginnen…

Ursprünge und Bedeutung

Kurzgesagt ist Intersektionalität ein Konzept, das uns hilft, Unterdrückung besser zu verstehen und weniger werden zu lassen. Geprägt von der amerikanischen Rechtsprofessorin Kimberlé Crenshaw im Jahr 1989, hat es seine Wurzeln im Aktivismus des Combahee River Collective, ein Schwarzes lesbisches Kollektiv aus Boston, das sich für soziale Gerechtigkeit einsetzte und Teil dessen auch Audre Lorde war.

Audre Lorde, Bildquelle: K. Kendall, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Crenshaw selbst erklärte Intersektionalität kürzlich in einem Time-Interview als „ein Prisma, um die Art und Weise zu verstehen, wie verschiedene Formen der Ungleichheit zusammenwirken und sich gegenseitig verschärfen“. Sie erklärt, dass die amerikanischen Anti-Diskriminierungsgesetze der 80er- und 90er Jahre Geschlecht und Ethnizität nur getrennt umfassten, was in ihren Augen die spezifische Diskriminierung Schwarzer Frauen nicht ausreichend adressierte und vermehrt Schwarze Feministinnen dazu trieb, nach Erklärungen und Lösungen für dieses Problem zu suchen. Bei dieser Suche erarbeiteten sie das Konzept der Interdisziplinarität.

Verschiedene Formen der Unterdrückung, so erklärt Crenshaw detaillierter, sollten nicht separat analysiert, sondern als voneinander beeinflusst betrachtet werden. Um diesen Ansatz zu visualisieren, nutzt sie das Bild von sich kreuzenden Straßen. „Die Rassismus-Straße kreuzt die Straßen des Kolonialismus und des Patriarchats. Wo sich die Straßen schneiden, entstehen doppelte- dreifache- multiple Schichten der Unterdrückung“, erklärt sie. Dementsprechend erleben zum Beispiel PoC (People of Colour)-Frauen Diskriminierung, die anders als jene weißer Frauen, aber auch anders als jene gegenüber PoC-Männern ist. Weiters, so Crenshaw, sei es fundamental, die historischen Kontexte, in die Probleme eingebettet sind, zu erkennen. Gewalt und systematische Unterdrückung, wie sie beispielsweise dem Kolonialismus, Patriarchat und Ableismus (Diskriminierung auf Grund von körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen) zu Grunde liegen, haben meist eine lange Vorgeschichte und schaffen Realitäten, in denen einige Menschen von vornherein benachteiligt sind. So überschneiden sich beispielsweise auch Armut, physische und psychische Gesundheit, Klasse, Sexualität, Religion, Sprache, Bildung oder Migrationsgeschichte auf der „Karte der Diskriminierung“.

Grafik: Anna Messner
Beispiele

Häufig fühlen wir uns überfordert oder machtlos, wenn wir Ungerechtigkeiten weltweit betrachten. Intersektionalität kann uns in diesem Bezug helfen, bietet das Konzept doch eine Herangehensweise, durch die wir die Gemeinsamkeiten der Herausforderungen erkennen und uns gezielt mit Lebensrealitäten beschäftigen können.

 

Ein Beispiel hierfür ist Umweltrassismus. In den USA ist es für PoC-Bürger:innen um 75% wahrscheinlicher, neben chemischen Fabriken zu leben, als für weiße Menschen. Auch in Europa gibt es ähnliche Fälle: Roma- und Sinti-Siedlungen neben Müllhalden oder Mienen, Sozialwohnungen an Autobahnen und vermehrt Hitzetote in migrationsreichen Vierteln. Ja, auch der Klimawandel betrifft nicht alle gleich, sondern wirkt viel mehr als ein Verstärker der schon bestehenden Ungleichheiten. So sind Länder des globalen Südens seit Jahrzehnten massiv vom Klimawandel betroffen. Frauen sind in diesem Kontext einer noch größeren Verwundbarkeit ausgesetzt. Bei Extremwetterereignissen erreichen sie beispielsweise die Information darüber nicht rechtzeitig oder sie müssen im Anschluss die Pflege verletzter Angehöriger übernehmen. Zunehmende Wasserknappheit führt außerdem dazu, dass Frauen, die häufig für das Wasserholen zuständig sind, längere Wege bis zum nächsten Brunnen zurücklegen müssen.

Ebenfalls sind Mitglieder der LGTBQAI+-Gemeinschaft einem höheren Grad an Unterdrückung ausgesetzt. Auch hier gilt: verschiedene Faktoren potenzieren sich. Eine lesbische Muslima mit Behinderung begegnet so zum Beispiel Ableismus, Homophobie, Islamophobie, Rassismus und Sexismus. Eine solch gebündelte Fracht an Diskriminierung führt zu einer höheren Wahrscheinlichkeit von Obdachlosigkeit, Depression und Isolation.

An dieser Stelle könnte man noch unendlich viele weitere Personengruppen aufzählen, die intersektionale Unterdrückung erleben. Wichtig zu betonen ist, dass, im Kontext des Frauenmuseums, auch der Kampf für Frauenrechte ein intersektionaler sein muss. Jeglicher Feminismus, der nur die Erfahrungen der weißen, gesunden, heterosexuellen, Mittelklasse-Frau repräsentiert, wird daran scheitern, Gerechtigkeit für alle zu erzielen.

 

Was kann ich tun?

Auch wenn viele von uns sich wahrscheinlich schon mit Frauenrechten oder anderen Gerechtigkeitsfragen auseinandersetzen, kann man doch immer daran arbeiten, ein:e intersektionale:r Verbündete:r zu sein. Hier ein paar Anregungen:

  • Mach den Privilegien-Check und schau weiter als bis zur Hautfarbe: Mittelklasse? Universitätsabschluss? Nicht-behindert? Heterosexuell? Cis-gender (sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizierend)? All deine sozialen Identitäten beeinflussen den Grad deiner Privilegien, auch, wenn du sie dir nicht ausgesucht hast. Reflektiere darüber und überlege, wie deine Privilegien deine Diskriminierungserfahrungen beeinflussen – oder auch nicht.
  • Höre zu und lerne: In Innersten dreht sich Intersektionalität darum, von Anderen zu lernen und sich besser zu verstehen. Beziehe also eine diverse Gruppe von Menschen in dein Denken und Handeln mit ein und kollaboriere mit ihnen. Hör ihnen zu und nimm ihre Worte ernst. Erinnere dich jedoch auch daran, dass es nicht die Aufgabe von marginalisierten Gruppen ist, andere über ihre Existenz zu informieren. Dies bedeutet häufig emotionale Arbeit und sollte deshalb nicht als selbstverständlich angesehen werden. Also nimm ihnen ein wenig davon ab, indem du dich selbst informierst.
  • Mach Platz: Frage dich, ob du die richtige Person bist, um Platz einzunehmen und über bestimmte Themen zu sprechen. Lass Betroffene selbst zu Wort kommen und sprich nicht für oder über sie, sondern mit ihnen.
  • Achte auf deine Sprache: Viele Wörter, die wir alltäglich verwenden, sind ableistisch, rassistisch und schlicht diskriminierend gegenüber marginalisierten Menschen. Wann war das letzte Mal, dass du „total behindert“, oder „Mir die Pizza Zigeuner“ oder „ist das schwul“ gesagt hast? Überlege, wie sich eine behinderte Person, Sinti*zze und Roma*nja oder queere Menschen bei solchen Aussagen fühlen. Erkenne und korrigiere solche Ausdrücke, indem du selbst Kritik akzeptierst und andere darauf aufmerksam machst.
  • Bonus: Komm zum ersten Klimacamp Südtirols, das von 26. bis 28. August in Wiesen bei Sterzing stattfindet, und informiere dich beim abwechslungsreichen und kostenlosen Programm weiter über Zusammenhänge von Klimakrise und Interdisziplinarität!

 

Kimberlé Crenshaw, Bildquelle: Heinrich-Böll-Stiftung from Berlin, Deutschland, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Wenn wir nicht intersektional vorgehen, werden einige von uns, die Schwächsten, zurückbleiben.

Das macht Kimberlé Crenshaw immer wieder klar. In diesem Sinne ist Interdisziplinarität nicht nur grundlegend, um Unterdrückung besser verstehen, sondern auch, um sie effektiv weniger werden zu lassen. Ohne ein intersektionales Verständnis von strukturellen Barrieren können wir die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) nicht erreichen. Du weißt nicht, was SDGs sind? Dann sehen wir uns beim Klimacamp!

Hier geht`s zur Website des Klimacamps: https://klimacamp-altoadige.bz

 

 

Anna Messner

 

 

 

Quellen

https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/diskriminierung/diskriminierungsverbot-dossier/juristisches-konzept/formen-der-diskriminierung/
https://unwomen.de/intersektionaler-feminismus/#:~:text=Ein%20intersektionaler%20Feminismus%20konzentriert%20sich,in%20jedem%20Kontext%20zu%20begreifen
https://fridaysforfuture.de/sommer-der-utopien-nene/
https://blackearthkollektiv.org
https://www.womankind.org.uk/intersectionality-101-what-is-it-and-why-is-it-important/
https://www.globalcitizen.org/en/content/what-is-intersectionality-explained/
https://time.com/5786710/kimberle-crenshaw-intersectionality/
https://unser-campus.de/schon-mal-von-intersektionalitaet-gehoert/
https://www.ewdv-diversity.de/diversity/intersektionalitaet/
https://www.frauenservice.at/application/files/4315/2239/9458/169-feministische-perspektiven-aus-der-sicht-des-frauenservice.pdf
https://taz.de/Umweltrassismus-in-Deutschland/!5823791/
http://www.lgbtiqintersect.org.au/learning-modules/intersectionality/
https://www.equality-network.org/our-work/intersectional/
https://www.globalcitizen.org/en/content/activists-intersectionality-equity-justice-social/

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