Dass Sprache unsere Wirklichkeit prägt, das was wir denken und wahrnehmen (können), darüber haben wir vor Kurzem schon mal geschrieben. In der heutigen Rubrik Tante Rosa möchten wir mit einer weiteren Debatte an dieses Thema anknüpfen, und zwar mit einem interessanten Aufruf.
Im Oktober des letzten Jahres hat Gunda Windmüller einen Aufruf gestartet, der es in sich hat. Auf dem Newsportal watson.de hat sie sich dafür ausgesprochen, die Schamlippen der Frau* nicht mehr als solche, sondern als Vulvalippen zu bezeichnen.
Der derzeit übliche Begriff “Schamlippen” tauchte um 1789 auf und wird seither zur Bezeichnung der inneren und äußeren Schamlippen verwendet, die die Vulva und den Eingang zur Vagina umschließen. Was an diesem Begriff (nun) als problematisch angesehen wird, ist dass er die weiblichen* Geschlechtsteile mit einem negativen Gefühl – der Scham – verbindet. Scham ist ein kulturell geprägtes Gefühl, das mit Verlegenheit, Bloßstellung, Minderwertigkeit, Unanständigkeit, mit Tabus und oft auch mit Sprachlosigkeit über etwas verbunden wird.
Dass all die genannten Aspekte sprachlich so eng an die weiblichen* Geschlechtsteile, den Körper und die Sexualität gebunden werden, bleibt nicht ohne Wirkung und sagt so einiges über unsere Kultur aus. Darüber, was nicht gedacht, nicht gesagt und nicht getan werden darf und soll. Mit allen negativen Folgen, die damit verbunden sind, wie mangelnde Aufklärung über den Aufbau der Geschlechtsteile, Verheimlichen von Beschwerden in diesem Körperbereich, unerfüllte Sexualität und vielem mehr.
Dass es schwer ist, ein etabliertes Wort durch ein neues zu ersetzen und lange antrainierte Scham abzuschütteln, ist sich Gunda Windmüller bewusst. Es braucht Zeit und vor allem eine häufige Verwendung eines neuen Begriffs in verschiedensten Bereichen, damit er sich etablieren kann.
Mit ihrer Wortkreation “Vulvalippen” möchte Gundula Windmüller einen Stein ins Rollen bringen. Und zwar in Richtung eines vermehrten kritischen Infragestellens von sprachlichen Gewohnheiten und Normen, sowie von damit verbundenen kulturellen Vorstellungen, damit sich in und für die Zukunft etwas (ver)ändert. Ein ausführliches Interview dazu findet ihr auf Deutschlandfunk Nova.
Es zieht Kreise
Dass diese Idee, etwas zu (ver)ändern, mittlerweile ihre Kreise gezogen hat, kann man an verschiedenen anderen Aktionen sehen, die angestoßen worden sind. Wenn auch du die Initiative von Gunda Windmüller unterstützen und dich an einer Veränderung der Sprache und damit auch unserer Vorstellungen beteiligen möchte, hier einige Möglichkeiten dazu:
- Ersetze in deiner Sprache, in Social Media, in Texten, bei Pa*tientinnengesprächen, in Vorträgen etc. das Wort “Schamlippen” durch “Vulvalippen”
- Unterschreibe diese Petition zur Aufnahme des Wortes “Vulvalippen” in den Duden
- Schreib direkt an die Duden-Redaktion, um auf das Wort aufmerksam zu machen
- verwende den Hashtag #vulvalippen auf Social Media und rede und erzähle über das neue Wort
- in Textform
- indem du Bilder mit #vulvalippen postest
- indem du Selfies von dir mit dem Handzeichen für Vulvalippen postest – Zeigefinger und Mittelfinger sind nach oben gestreckt und formen ein “V”, der Daumen ist seitlich ausgestreckt, sodass ein “L” entsteht
- oder lass dir was ganz anderes einfallen 😉
Weitere Informationen rund um die Forderung von Gunda Windmüller, aber auch zu Reaktionen auf ihre Forderung findest du hier und hier.