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Körperbehaarung – Hauptsache weg!?

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Den menschlichen Körper bedecken, einmal dichter, einmal weniger dicht, an vielen Stellen Haare und Härchen: vom Kopf, über Augenbrauen, Ohren, Nase, Oberlippe, Achseln, Arme, Rücken, Bauch, Intimbereich, bis hin zu den Beinen und Zehen. Je nach Körperregion hat die Behaarung eine unterschiedliche Schutzfunktion. Nichtsdestotrotz gilt, je nach Körperregion, das Dasein und die Sichtbarkeit von Haaren als: schön, erwünscht und erwartet, akzeptiert und toleriert, oder „ungepflegt“, „unhygienisch“ und tabu. Die Erwartungen sowie die Maßstäbe der Beurteilung sind dabei von Geschlecht zu Geschlecht, von Gesellschaft zu Gesellschaft und von Zeit zu Zeit sehr unterschiedlich – sie spiegeln das jeweilige Schönheitsideal. Eine „haarige“ Sache…

Bildquelle: Pixabay

Als in ihrer Existenz am wenigsten angezweifelt und vielmehr erwünscht, gilt die Kopfbehaarung. Was nicht heißt, dass diese keine Debatten und gesellschafltiche Verhandlungsprozesse mit sich gebracht haben. Die Länge bzw. Kürze der Haare, deren Farbe oder deren Verlust/Verschwinden standen und stehen immer wieder zur Diskussion.

Körperbehaarung an allen anderen Körperstellen hat es (heute) hingegen schwerer – vor allem in ihrer natürlichen, „unkontrollierten“ Form. Ganz besonders konfliktreich, aufgeheizt und von Ekel, Bestürzung und anderen Emotionen geprägt, werden die Diskussionen dann, wenn Haare auf den Beinen, unter den Achseln oder im Intimbereich zum Thema werden.

Dass besonders Frauen von der gesellschaftlichen Norm eines glatten, haarlosen Körpers unter Druck gesetzt werden, zeigt unter anderem das Beispiel von Arvida Byström. Die schwedische Künstlerin und Fotografin, die auch als Model tätig ist, posierte 2017 mit unrasierten Beinen für die Adidas-Superstar-Kampagne und löste damit einen Shitstorm aus, der von Kritik, Beschimpfungen, Beleidigungen und Mobbing bis hin zu Vergewaltigungsdrohungen reichte.

Stellen sich die Fragen:

  • In was für einer Gesellschaft/Welt leben wir?
  • Behaarte Frauenbeine als Auslöser für die Androhung von (sexueller) Gewalt?
  • Was ist das/unser Problem mit Haaren?
  • Wofür stehen Haare?
  • Warum ekeln wir uns so vor den Haaren anderer, aber auch vor unseren eigenen?
  • Warum sind Haare so anstößig?
  • Woher kommt die Vorstellung, dass gerade der Frauenkörper möglichst haarlos und glatt sein muss?
  • Was bringt Frauen dazu, mehrheitlich diesem Ideal entsprechen zu wollen und ihren Körper zu enthaaren?
  • Was ist mit Frauen, die sich diesem Diktat verweigern?
  • Und hätten behaarte Beine eines männlichen Models oder eines Sportlers auch derartige Reaktionen ausgelöst?

Blickt man in die Geschichte, gibt es Belege dafür, dass sich Menschen seit der Steinzeit mit verschiedensten Methoden ihrer Körperhaare entledigten. Diese reichen von abschaben über rasieren bis hin zu ausziehen, zupfen und wachsen. Die Gründe für die Entfernung von Körperhaaren sind verschiedene – reichen in ihrer Argumentationslinie allerdings von Hygiene über Ästethik bis hin zu Zivilisiertheit.

Ein Blick auf die Geschichte

Der Blick auf die Körperbehaarung, auf die Bedeutung ihrer An- und Abwesenheit und auf die Entscheidung, diese entfernen oder einfach natürlich wachsen zu lassen, hat sich im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt.

Auf recht haarlose Hochkulturen in Ägypten, Mesopotamien und eine recht haarlose griechische und römische Antike folgte ein zu großen Teilen behaarteres Mittelalter.

Wie Rebecca M. Herzig in ihrem Buch „Plucked“ analysiert, war unter Europäern das Körperhaar, so wie es wuchs, dann noch bis ins 19. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit. Die Vorstellung einer „übermäßigen“ Körperbehaarung von Männern oder Frauen war nicht vorherrschend. Vielmehr galt die Haarentfernung bis ins 19. Jahrhundert als „eine lästige, schmerzhafte und potenziell gesundheitsgefährdende Angelegenheit. Oberhalb des Hemdkragens zumutbar, darunter nicht.

Verschiedene historische Haarentfernungsgeräte, Foto: Martin Drahorad

Eine entscheidende – und es hat den Anschein bis heute anhaltende und prägende – Meinungsverschiebung brachten die Lehren des Evolutionstheoretikers Charles Darwin (1809-1882) mit sich. Dieser kam zum Schluss, dass es sich bei der haarlosen Haut des Menschen um ein durch Selektion aktiv gewähltes Merkmal handeln muss – „Eine ästhetische Präferenz, die sexuellen Zwecken diente.“ In diesem Sinne wurden Haarlosigkeit und ein haarlose Körper zu einem „Zeichen überlegener Schönheit und Sauberkeit […][,] eine[r] Vorbedingung der Zivilisation […] [und]  zunehmend gleichbedeutend mit Gesundheit und sexueller Attraktivität.

Ab der Jahrhundertwende trugen die Entdeckung der Elektrizität, die Erfindung von elektrischen Rasierapparaten sowie später von Rasierern mit Einwegklingen und ab 1946 auch der Bikini – über den wir zu Beginn dieses Monats hier schon berichtet haben – zu einer weitgreifenden Enthaarung vor allem von Frauen bei. Die verschiedenen Methoden dafür wurden bis heute um etliche erweitert.

Unterbrochen wurde diese Phase während des nationalsozialistischen Regimes, in dem die „deutsche Frau“ ihrer Natur entsprechend wieder (Intim-)Haare aufweisen sollte, aber auch in den 1970er Jahren, wo Frauen, die Haare an den Beinen hatten, als „rassig“ galten, oder in den 1980er Jahren, in denen „Big Hair“ an allen Körperstellen angesagt war, was z.B. Sängerinnen wie Nena oder Madonna zur Schau stellten. Madonna war knapp 30 Jahre später auch am jüngsten Trend – sich als Frau die Achselhaare wachsen und färben zu lassen – beteiligt, und postete, wie viele andere Stars und Frauen, ein Foto von sich auf Instagram.

Die Geschichte unserer Körperbehaarung ist von Auf und Abs, von Entfernen und Wachsen lassen, aber vor allem von Trends und den Schönheitsidealen des jeweiligen Ortes und der jeweiligen Zeit geprägt.

Der gesellschaftliche Druck – oder sogar Zwang? – eines haarlosen Frauenkörpers hält sich dabei hartnäckig. Das Argument der Hygiene, das auch heute noch weit verbreitet ist, ist dabei mittlerweile nicht mehr wirklich haltbar und zum Teil sogar widerlegt. Warum entfernen sich dann immer mehr Frauen und Männer immer flächendeckender ihre Körperhaare? Es scheint so, als würden Fragen der Ästhetik und aus dem 19. Jahrhundert stammende Vorstellungen von Sauberkeit und sexueller Attraktivität unser heutiges Körperbewusstsein noch zu einem gr0ßen Teil beeinflussen/bestimmen/prägen/diktieren.

Höchste Zeit, mal genauer darüber nachzudenken, was man eigentlich macht, machen muss, machen sollte, machen will oder auch nicht machen – oder nicht?

Die Südtiroler Gesundheits-Bloggerin Ruth Niederkofler, die wir euch in diesem Beitrag vorgestellt haben, beleuchtet in ihrem Video z.B. das Thema Intimrasur genauer.

 

Yvonne Rauter

 

Quellen zum Weiterstöbern:

https://www.grin.com/document/514033

https://www.heute.at/s/deswegen-gibt-es-achselhaare-54309633

https://www.spiegel.de/kultur/literatur/rebecca-m-herzig-geschichte-der-koerperhaarentfernung-a-1033382.html

www.retrochicks.de/haare-weg-die-geschichte-der-haarentfernung/

https://www.grin.com/document/124838

https://www.t-online.de/leben/mode-beauty/id_58969948/haarige-sache-die-geschichte-der-rasur.html

https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/wachsen-oder-waxen-lassen-eine-kulturgeschichte-der-koerperhaare

https://www.gofeminin.de/haare/bunte-achselhaare-sind-jetzt-der-letzte-schrei-s1164778.html

https://i-d.vice.com/de/article/vbepny/das-problem-mit-feministischer-koerperbehaarung-678

https://www.fem.com/beauty-lifestyle/haarentfernung-von-1900-bis-heute-kleine-rasurgeschichte

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