Im Monat Juli stellen wir Euch in unserer Rubrik „Frau des Monats“ zwei Frauen – Mutter und Tochter – vor, die sich engagiert für das Leben in ihrem Tal einsetzen und sich darüber hinaus für die Erhaltung und Vermittlung von traditionellem Handwerk und altem Wissen im Sinne einer nachhaltigen Lebensweise stark machen. Im folgenden Interview erzählen uns Waltraud und Franziska Schwienbacher ein wenig mehr darüber und auch, was sie motiviert und ihnen besonders am Herzen liegt.
Waltraud und Franziska, könnt Ihr Euch bitte kurz vorstellen?
Mein Name ist Waltraud Schwienbacher, ich bin 81 Jahre alt, in Ulten geboren und liebe mein Tal und die Natur ganz besonders.
Ich bin Franziska, geboren 1973, Mutter von zwei wunderbaren Kindern und auf dem Wegleithof in Ulten aufgewachsen mit drei weiteren Geschwistern. Meine Eltern betrieben zunächst traditionelle Berglandwirtschaft, in den späten 80er Jahren begannen sie mit dem Kräuteranbau. Stationen auf meinem Weg: Biologiestudium in Innsbruck, Forschungsstipendium für das Doktorat an der Uni-Innsbruck, mehrere Jahre tätig am Versuchszentrum Laimburg, verantwortlich für Leitung und Koordination der Winterschule Ulten seit 2009.
Traudi, kannst Du unseren Leser/Innen ein wenig über das Projekt „Lebenswertes Ulten“ erzählen, wie es zur Idee gekommen ist, welche Bedeutung es für das Tal hat und wie Dein Lebenswerk in Deinem Sinne weitergeführt werden soll?
Schon meine Mutter hat uns diese Liebe zur Natur, die Wertschätzung und Achtsamkeit, gegenüber jedem Geschöpf beigebracht. Vor 35 Jahren habe ich die Schafbauern auf dem Schafmarkt gefragt, wie es mit den Schafen geht und sie antworteten, „die Lämmer verkaufen wir nicht schlecht“. Auf meine Nachfrage „ja und was macht ihr mit der Wolle?“, erhielt ich die Antwort „die schmeißen wir in den Müll, die will heut niemand mehr.“
Ich habe mich schon damals mit gesunder Ernährung und gesunder Kleidung befasst und so dachte ich mir, so können wir nicht weiter machen: man sagt, die Wolle macht die halbe Hausapotheke aus und wir schmeißen sie in den Müll und das teure synthetische „Glump“ kaufen wir von weit her.
Wir haben dann eine Befragung quer durch die Bevölkerung gestartet und aus den Schwerpunkten heraus haben wir Arbeitsgruppen gestartet:
-LANDWIRTSCHAFT- TOURISMUS- HANDEL- GEWERBE
-GEMEINDE ÖKOLOGIE
-RAUMORDNUNG
-SOZIAL- KULTURELLE BEREICHEFür alle Bereiche wurde gemeinsam ein Leitbild erstellt, dann gings ans Arbeiten.
Für mich als Leiterin dieses Projektes waren die ganzen 35 Jahre sehr arbeitsintensiv, denn bei solchen Projekten braucht es immer wieder ein Zugpferd. Nach zwei Jahren gründeten wir die Winterschule mit 16 TeilnehmerInnen, heute, 33 Jahre später, sind es ca. 450.
Vier Jahre nach Gründung der Winterschule haben wir die Naturlebensschulen ins Leben gerufen. Dort werden Vorträge, Seminare, Kurzkurse und Führungen angeboten zu den Themen traditionelles Handwerk oder Hinführung zu dieser wunderbaren Natur und ihre vielfältige Nutzung für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden, die unter anderem auch von vielen Schulen besucht werden. Sozusagen Themen der Winterschule im Miniformat.Vor 14 Jahren wurde schließlich die Sozialgenossenschaft „Lebenswertes Ulten“ unter dem Namen „Wollmanufaktur Bergauf“ gegründet und aufgebaut. Hier geben die Schafbauern zweimal jährlich die Wolle ab und die verschiedensten Wollprodukte werden hergestellt. So haben fünf Frauen und ein Geschäftsführer einen Arbeitsplatz gefunden, was für uns im Tal sehr wertvoll ist.
Franziska, Du arbeitest Seite an Seite mit Deiner Mutter, bist Koordinatorin der Winterschule Ulten, die sich der Erhaltung und Vermittlung von traditionellem Wissen und Handwerk, sowie nachhaltiger Lebensweise und Naturverbundenheit verschrieben hat. War es von Anfang an Dein Wunsch Dich für diese Themen einzusetzen oder hattest Du andere Ziele?
2009 übernahm ich die Leitung der Winterschule Ulten und zu Beginn habe ich mich öfters mit meiner Mutter besprochen, aber nach der Übergangsphase habe ich dann die Winterschule eigenständig geleitet. Sei es inhaltlich als auch organisatorisch liegt nun seit 16 Jahren die Verantwortung bei mir. Es hat sich in den letzten Jahren auch viel im Ablauf, im Bürokratischen und Organisatorischen weiterentwickelt und verändert, es ist nicht mehr so, wie vor 33 Jahren als die Winterschule gegründet wurde und fordert immer wieder kreative Lösungen, auch was die Finanzierungen angeht. Ich hatte das große Glück, mit diesen Werten der Erhaltung und Vermittlung von traditionellem Wissen und Handwerk, sowie nachhaltiger Lebensweise und Naturverbundenheit aufzuwachsen, da dies von meinen Großeltern und Eltern so vorgelebt wurde, dass es für mich ganz selbstverständlich war, danach zu leben. Und dann kam fast von alleine der Wunsch, auch anderen Menschen dies zu vermitteln und Ihnen Möglichkeiten zu geben, die Natur besser kennen zu lernen und wertzuschätzen, sowie traditionelles Wissen und Handwerk nicht ganz verloren gehen zu lassen. Dass es dann die Winterschule Ulten wird, wusste ich anfangs auch nicht, aber das Leben hat sich ja was dabei gedacht, wenn es uns eine Aufgabe übergibt. Ich bin jedenfalls sehr dankbar und froh, dass ich diese besondere Schule leiten darf.
Welches sind Eure Visionen für die Zukunft?
Waltraud (W.): Wir sind in Südtirol so ein gesegnetes Landl, wo fast alles wächst, wir könnten fast zum Selbstversorger für unsere Bevölkerung und für unsere Gäste werden.
Dadurch könnten wir viel Verkehr reduzieren, hätten Vielfalt anstatt Monokulturen, wir könnten viel Geld, das für Werbung ausgegeben wird, einsparen, denn das würde alles für sich sprechen.
Franziska (F.): Es war und ist mir sehr wichtig, dass traditionelles Handwerk und Wissen, wofür die Winterschule ja steht, nicht einen musealen Charakter hat, dass diese Inhalte „nur“ mehr erhalten und bewahrt werden, sondern beides hat nur Zukunft, wenn es neu interpretiert und in die Zukunft getragen wird. Nur dann wird es gelebt, auch von künftigen Generationen.
Mein großer Wunsch ist es, so vielen Menschen wie möglich den Zugang zum unerschöpflichen, großen Wissensschatz der Natur zu ermöglichen, das uns unmittelbar Umgebende wieder mehr wertzuschätzen und für Ernährung, Bekleidung, Wohnraum und Wohlbefinden wieder mehr zu nutzen. Damit wären wir weniger von weltweiten Lieferketten abhängig, würden regionale Kreisläufe fördern und der Natur und uns Gutes damit tun.
Weiters hoffe ich sehr, dass die Winterschule Ulten sich noch weiter entfalten kann, da das Bedürfnis der Menschen nach den Inhalten, die die Winterschule Ulten vermittelt, sehr groß ist. Die Kreativität und das TUN mit den Händen muss den Menschen wieder zugänglicher gemacht werden, denn ich sehe in allen Lehrgängen der Winterschule immer wieder, wie wichtig das für die Menschen ist, egal welchen Alters und aus welchem beruflichen und sozialem Umfeld sie kommen. Die Welt ist zu schnell zu digital geworden; diese Entwicklung ist da, sie prägt unseren Alltag und erleichtert uns vieles. Sie wird sich noch weiter entwickeln und ist nicht mehr weg zu denken, aber diese Entwicklung ist für uns Menschen zu schnell gegangen. Gerade deswegen merke ich, dass die Menschen das Handwerk – das Werkeln mit den Händen – brauchen, ebenso die Naturverbundenheit. Das tut ihnen gut.
Auch weiterhin die Kooperationen mit anderen Schulen, Fachhochschulen und Universitäten zu pflegen und auszubauen ist mir wichtig. Dann entstehen Synergien aus der Praxis und der Forschung, vom Bergbauernhof in extremen Lagen bis in die Stadt. Synergien ob in Denken, der Praxis, im Handeln, …sie werden die Zukunft sein.
Wie steht Ihr zu Eurem Frau-Sein, welche Frauenthemen liegen Euch besonders am Herzen?
W.: Für mich ist einfach wichtig die Achtsamkeit und die Wertschätzung gegenüber jedem Geschöpf.
F.: Ich war stets von starken Frauen umgeben, ob Mutter oder Großmutter. Die Frauen in der Familie waren immer mit den gleichen Wertschätzungen und Aufgaben betraut wie die Männer, da wurde selten ein Unterschied gemacht. Ich bin dankbar, in einem so ausgeglichenen Umfeld aufgewachsen zu sein, was im traditionellen Ambiente nicht immer selbstverständlich ist. Unabhängig von meiner persönlichen Erfahrung beschäftige ich mich mit den Themen der Frauen, vor allem jener Frauen, die nicht so leben dürfen wie wir. Ich habe einen Sommer lang in einer Missionsstation mit aids-kranken Waisenkindern in Südafrika gearbeitet, das war sehr prägend für mich. Frauen erlebten und erleben in diesen Ländern auch heute noch Realitäten, die für uns unvorstellbar sind und die mich sehr schmerzen und traurig machen. Frauenrechte, also Gleichberechtigung, Wahlrecht…, das sollte in einer globalisierten Welt Standard sein, ist es aber leider nicht. Darum müssen wir privilegierten Frauen, denn das sind wir in Europa, mutig voran gehen und diese Frauen unterstützen, wo es geht, und da spielt vor allem Bildung eine große Rolle. Was mich in den letzten Jahren auch sehr beschäftigt, sind Frauen in den Kriegsregionen, es ist unvorstellbar, welchen Schmerz, welches Leid diese Frauen erleben müssen.
Welches sind Eure Kraftquellen?
W.: Meine Kraftquellen sind die Familie, der Glaube, die Natur.
F.: Die Natur und die Familie.
Gibt es ein Lebensmotto, das Ihr mit unseren Leser/Innen teilen möchtet?
W.: Die Natur ist die höchste Hochschule an der wir studieren könnten, aber weil‘s gratis ist und für jeden zugänglich, nutzen wir es viel zu wenig.
F.: Wenn es im Leben schwierige Situationen gibt, gibt mir die Natur Kraft, Ruhe und Weitblick.
Habt Ihr Vorbilder, gibt es Menschen, die Euch inspirieren?
W.: Jesus mit seiner unendlichen Liebe und Frieden gegenüber jedem Geschöpf.
F.: Meine Großmütter und alle Frauen, die sich trauten ihren Weg zu gehen.
Interview: Claudia Winkler