Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
Frauenmuseum | Museo delle donne

Hoamatspuan in Down Under / auf Australisch

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Mitten im Grünen, 8 km außerhalb von Tumbarumba, im australischen Bundesstaat NSW (=New South Wales) liegt die Pioneer Women’s Hut. Dem Äußeren nach ähnelt das Frauenmuseum einem Farmhaus aus Holz, mit dem typischen, weißen Lattenzaun rundherum. Woraus es erbaut wurde, erfahren wir von zwei älteren Damen, die uns auf der grünen Wiese herzlich willkommen heißen.

Das Gebäude wurde aus ehemaligen Zellen einer nahe gelegenen Gefängnisfarm gebaut, die aufgelassen wurde. Somit passt dieses recycelte Haus sehr gut zum Leben der Landfrauen, die Thema in unserem Museum sind. Sie konnten es sich schlicht und einfach nicht leisten, etwas wegzuschmeißen. Irgendein Nutzen blieb für alte Sachen immer noch, wie wir in der Ausstellung gleich sehen werden”,

erklärt Dr. Annette Brown, die als Direktorin das Museum betreut.

Pioneer Women’s Hut

Pioneer Women’s Hut
Glenroy Heritage Reserve
449 Tumbarumba Road

Tumbarumba ( NSW)
AUSTRALIEN

www.pioneerwomenshut.com

“Krrrchzzzt…rchzt!”, begrüßt uns lautmalerisch die Eingangstür und entlässt uns knarzend in längst vergangene Zeiten,
in die Welten unserer Großmütter und Urgroßmütter, mit den Ausstellungsstücken gesprochen: ins 18. Jhd. bis herauf in die 1950/60er-Jahre. Optisch betrachtet landen wir in einem Raum mit dunklen Holzwänden, einer Holzhütte gleich. “Überladen”, schaltet sich mein Gehirn zu, überwältigt ob der Fülle der Objekte. Doch bevor ich darüber verzweifle, wie ich in diesem Überreichtum an Dingen einen roten Faden finden soll, übernimmt Brown, startet mit uns ihren Rundgang durchs Museum und bringt Struktur in die Ausstellungsinhalte. Dabei knüpft sie an ihre einleitenden Worte über Sparsamkeit und Wiederverwertung von Dingen an. Das WASTE NOT WANT NOT, stellen wir fest, gilt für sehr viele Objekte hier. Angesichts fehlender Ressourcen war es eine Frage des Überlebens, mit den Sachen sparsam umzugehen und nichts verkommen zu lassen: “Don’t waste anything, we’ll find a bit of wire, fix it or use it for a different thing”.

Blick ins Innere der Pioneer Women’s Hut

Viele Ausstellungsstücke erzählen vom Einfallsreichtum der Frauen in ihrer Auseinandersetzung mit den kargen Gegebenheiten.

Wie komme ich zu Marmelade- und Einweckgläsern, wenn ich sie nicht im Supermarkt um die Ecke kaufen kann? Unglaublich, welch kreative, praktikable Antworten die Frauen entwickelten. Fasziniert lese ich die aufwendig klingenden Arbeitsschritte des Vorgangs: Sammeln leerer (Bier-)Flaschen; Erhitzen eines Eisenringes, ihn um den Flaschenhals legen, sodass die Flasche gleichmäßig heiß wird; Flaschenhals in eine Schüssel mit kaltem Wasser halten, dass er abfällt; hinterbliebene Splitter abfeile…

Es wird mir bewusst, wie schlecht ich für ein Leben ohne moderne Hilfsmittel vorbereitet wäre. Wie viele Fähigkeiten aus meiner Kindheit auf dem Bauernhof habe ich bereits verloren? Einen Schritt weiter stehen wir vor einer ehemaligen Nähmaschine, die als Gerät zum Wollespinnen adaptiert wurde, um für die Soldaten im 1. WK Socken stricken und an die Front schicken zu können. Selbst hergestellter Kleber aus Mehl und Wasser, ein Känguruschwanz zum Kehren des Kamins, das Kühlen von Speisen im Brunnen, auch auf die Gefahr hin, dass beim Herausholen ein Frosch mitten im Gelee sitzt…

Nähmaschine zum Wollespinnen

Diese Beispiele praktischer Intelligenz, wie wir sie heute nennen würden, sind nur einige der vielen unbeachteten Praktiken, die das Museum aufspürt und sie auf diese Weise würdigt. Generell beschäftigt sich die Ausstellung mit dem in der Geschichte Vernachlässigten, dem Unbeachteten und -gesehenen, das parallel dazu oft geringgeschätzt und unterbewertet wird. Sehr oft sind es jene Bereiche, die als weiblich und folglich als unwichtig gelten. In den Museen findet sich normalerweise die Vergangenheit der Reichen, der Adeligen, wichtiger Leute und Berühmtheiten, oft aus dem städtischen Milieu und – über alles hinweg gültig: von Männern. Wendy Hucker, die Gründerin der PWH (Pioneer Women’s Hut), fokussiert in ihrem Museumskonzept auf das alltägliche, gewöhnliche Leben gewöhnlicher Landfrauen. Sie stellt die Leben der Frauen am Rande der Gesellschaft in den Mittelpunkt, der “historisch Enteigneten”, wie Hucker sie sinnigerweise nennt. Mit Aufrufen im Radio und in ländlichen Zeitungen erreichte sie jene, die Gegenstände besaßen oder hergestellt hatten. Hucker kontaktierte die Familien und die SpenderInnen der Utensilien, um deren Herkunft genau dokumentieren zu können und über ihre dazugehörigen Geschichten den Artikeln Leben einzuhauchen. Die Auswahl erfolgte mit der Frage im Hinterkopf: “Welche Objekte erzählen die besten Geschichten über das Leben der Frauen?”

Einige Schritte weiter treffen wir auf gehäkelte Spitzendeckchen, farbig bestickte Tassen,- Teller- und Sandwichunterlagen, Deckerl zum Abdecken des Milchkrugs gegen die Fliegenplage. Nützliche Alltagsdinge wurden verziert und zeugen davon, dass es den Frauen wichtig war, Schönheit in die rauhe Wirklichkeit zu bringen. Nicht zuletzt wollten sie in ihrem sehr einfachen und isolierten Leben ihren seltenen Gästen etwas bieten. Dazu passt die ausgestellte Glory Box oder Hope Chest gut, für die junge Frauen genau solche textilen Kostbarkeiten anfertigten. Symbolisch gesehen verweist sie auf die Hoffnungen und Träume, wie ein eigenes Haus bzw. die Hochzeit. Mit dieser Ausstattung zeigten sie ihre häuslich-kreativen Fähigkeiten und konnten damit stolz erhobenen Hauptes in die Ehe eintreten. In ärmeren Haushalten musste dafür ein Vorrat an neuer und reparierter Kleidung herhalten. Nebenbei erzählen diese Objekte auch von den gesellschaftlichen Anforderungen an die Frauen.

Trotz ihrer Abgeschiedenheit drangen die gesellschaftlichen Vorstellungen, wie eine Frau auszusehen hat, bis in die entlegenen Winkel auf dem Lande vor und die Frauen wollten ihnen entsprechen. Dass ein adrettes, gewinnendes Äußeres erwartet wurde, wird im Ausstellungsbereich “Aprons” (Schürzen) deutlich: “Ich trug immer 2 Schürzen übereinander, so konnte ich Gäste immer sauber und respektabel aussehend begrüßen. Ich brauchte nur die äußere abzunehmen”. Nur wenige Landfrauen besaßen anfangs des 20. Jhd. mehr als 2 Kleider, sodass Schürzen zu deren Schutz angesagt waren, lese ich. Unterstrichen wird der Wert eines niedlichen Äußeren durch den Appell an die Frauen: “Never become a houshold drudge” (Werde niemals ein Aschenbrödel). 

Aprons (Schürzen)

Mit jedem Objekt, besonders den Geschichten dahinter, wird ein wenig spürbarer, was es hieß, im ländlichen Australien zu leben, zu Zeiten, in denen das Land nicht zuletzt durch die hart arbeitenden Landfrauen jenes Gesicht bekam, das es heute zeigt. Fotos zu den verschiedenen Ausstellungsbereichen helfen der Vorstellungskraft zusätzlich auf die Sprünge. Streift man sich bereitgelegte, weiße Handschuhe über, darf man sämtliche Objekte angreifen und befühlen.

Jedes Knarzen der Tür bringt neue Besucher*innen und nach einiger Zeit befinden wir uns inmitten einer Gesprächsrunde. Eine junge Dame in einem selbstgeschneiderten Kleid im Stil der 1950er-Jahre erzählt, dass sie herkommt, weil sie nach modischen Anregungen sucht. Auf meine Frage nach ihrem Lieblingsobjekt nennt sie deshalb auch: The Weekly Times 1923 – Sektion: Woman and the Home, und zeigt mir sogleich einige Schnittmuster, die sie begeistern. Ein Journalist einer Lokalzeitung interviewt und fotografiert uns. Informiert wurde er von Brown. Ich habe den Eindruck, dass Besucherinnen aus dem weit entfernten Österreich eine Bestätigung für die Existenzberechtigung des Frauenmuseum sind. Brown muss das Museum nämlich immer wieder vor dem Bürgermeister rechtfertigen, der von diesem “alten Krempel” nicht begeistert ist.

Bunt und farbenfroh präsentiert sich der “Heritage Quilt Room” in einem Nebengebäude des Frauenmuseums. Alte Socken, Kleider, Hosen, Pullis – alles, was wärmte, auch Tierfelle – wurden zu Bettüberwürfen und Steppdecken verarbeitet – als pragmatische Antwort auf die Kälte in den Häusern. Ihr Ursprung liegt in den 1800er-Jahren, in denen Männer auf der Suche nach Arbeit von Stadt zu Stadt zogen und sich in Decken hüllten, die sie wärmten bzw. auf denen sie schliefen – zusammengenäht aus einigen Mehlsäcken aus Jute. Frauen übernahmen diese Idee für das Haus und fertigten in der Folge wunderschöne Patchworkarbeiten. Die Mitte der Decken bildeten Zucker- und Mehlsäcke, auf die wärmende Kleiderreste aller Art genäht wurden. Obenauf nähten sie viereckige Stofffleckerl zur Verschönerung.

Heritage Quilt

Das Interessanteste in diesem Raum ist für mich allerdings das große Foto an der Stirnseite, das “Jeffries Family Foto” aus 1890. Der bereitgestellte Text “The Julia Jeffries Story” fasst für mich zum Abschluss noch einmal gut zusammen, wie ich mir das Leben gewöhnlicher Frauen damals vorstellen kann: Julia Jeffries, geb. 1846 in England, wanderte mit ihren Eltern als 8jährige nach Australien aus. Der Goldrausch war ausgebrochen. 1862, mit 16 Jahren (!) heiratete sie, gebar 11 Kinder, buk Brot für die Eisenbahnarbeiter, um das Familienbudget aufzubessern, arbeitete als Krankenschwester und Hebamme und starb 1919, sehr krank und an Erschöpfung.

Dem Frauenmuseum gelingt es hervorragend, das Leben der Pionierinnen anschaulich zu präsentieren. Es zeichnet den Idealfall, wenn alles gutgeht. Gerade die “Julia Jeffries Story” lässt mich an Frauen denken, die mit ihrem Ehemann bzw. der rauen, harten Wirklichkeit in der Abgeschiedenheit nicht zurechtkamen. Welche Möglichkeiten bestanden, einem häuslichen Desaster zu entkommen? Einem gewalttätigen Gatten? Der Abhängigkeit? Der Überforderung? Den unzähligen Schwangerschaften? Mit der Zeit des Goldrausches verbinde ich Alkoholismus und Prostitution genauso wie die harten, rauen Lebensbedingungen im Allgemeinen. Ich würde mir wünschen, dass über die patriarchal-gesellschaftlichen Strukturen kritisch reflektiert und breiter berichtet wird. Welche Objekte wären geeignet, diese Aspekte eines Frauenlebens zu erzählen?

Marianne Wimmer
Frauenmuseum Sammlerin

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