Mit großer Freude haben wir den nächsten Beitrag von der lieben Marianne Wimmer (FrauenMuseumSammlerin) bekommen. Diesmal ist sie in Argentinien, genauer gesagt in Córdoba.
Córdoba, die mit 1,5 Millionen Einwohner*innen zweitgrößte Stadt Argentiniens und Hauptstadt der gleichnamigen argentinischen Provinz, hält mit seinem Frauenmuseum eine Überraschung bereit. Bekannt ist mir die Provinz Córdoba als Zentrum der Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung während der Zeit der Militärdiktatur (1976 – 1983). Genau das ist es, was ich mir erwarte: Eine Auseinandersetzung mit dieser Zeit des „schmutzigen Krieges“ aus Sicht der Frauen (ähnlich wie im Frauenmuseum in Buenos Aires). Weit gefehlt! Zur Zeit unseres Besuches im Jänner 2024 öffnet das Frauenmuseum seine Türen für eine Ausstellung zum Thema: Transgender. Es lädt ein, den Blick zu weiten und die begrenzten Vorstellungen von Identität aufzubrechen. Damit diskutiert es indirekt die Fragen: Was ist eine Frau? Wann ist eine Frau eine Frau?
Darüber werden derzeit heftige Debatten geführt, in denen sich zwei unversöhnliche Positionen gegenüberstehen. Meinem Eindruck nach sehen die meisten Menschen in der Einteilung in „Frauen und Männer“ ein biologisches Faktum. Meist zählen die älteren Feministinnen dazu. Für diese Ansicht bläst ihnen von den FLINTAs (*1) und Transgenderaktivist*innen heftiger Gegenwind entgegen. Sie lehnen diese duale Einteilung ab bzw. akzeptieren sie nicht als Tatsache. Für sie ergibt sich das Geschlecht einer Person aus dem subjektiven Empfinden. Konkret heißt das, dass ein Mensch mit männlichen Chromosomen und Genitalien sich als Frau deklarieren kann und als solche behandelt werden muss. In den Fußstapfen der zweiten Frauenbewegung groß geworden, verstehe ich gut, was die Feministinnen der 1960/70er-Jahre meinen und verteidigen.
Sie kämpften für geschützte, sprich „männerfreie“ Räumlichkeiten für Frauen, seien es Toiletten oder Frauenhäuser. Vieles in unserer Gesellschaft basiert auf dem zweigeschlechtlichen Prinzip: das Pensionsalter, die Wehrpflicht, Quotenplätze, Gefängnisse, der Sport. Besonders deutlich wurde das Dilemma bei den olympischen Spielen 2024, bei denen eine Frau, deren Geschlechtsstatus „weiblich“ angezweifelt wird, als Siegerin des Frauenboxens hervorging.
Ja, es gibt unübersehbare alltägliche Auswirkungen auf unser Leben, wie die Frage „Was ist eine Frau?“, beantwortet wird. Wir müssen darüber diskutieren. Bin ich gar eine TERF (= Trans Exclusionary Radical Feminist /Transpersonen ausschließende radikale Feministin), wenn ich so denke?
Gerade deshalb staune ich, wie selbstverständlich und entspannt das argentinische Frauenmuseum auf die Diversität der Geschlechter blickt. Alle Personen, die als Frau „gelesen“ werden wollen, finden im Frauenmuseum ihren Platz. Diese Selbstverständlichkeit beeindruckt mich. Ist diese offene Haltung zur Geschlechtervielfalt ein erster Hinweis auf das Widerständige, das im Konzept des Frauenmuseums verankert ist?
Espacio Cultural
Museo de las Mujeres
Rivera Indarte 55
CÓRDOBA / ARGENTINIEN
Dem äußeren Erscheinungsbild nach empfängt mich im Foyer des Frauenmuseums ein femininer Mann. Nachdem sie sich mit ihrem Namen vorgestellt hat, ist für mich klar, dass sie als Frau gesehen und angesprochen werden möchte. Ich liebe Klarheit, denn sie vermeidet ungewollte Missachtung und Diskriminierung. Rita erklärt: „Wir handeln hier im Frauenmuseum politisch-soziale Themen ab. Wir WOLLEN politisch sein. Seit dem Monat November, dem Pride Month, zeigen wir eine Ausstellung zum Thema „Transgender“, mit Transkünstler*innen und ihren Werken, Geschichten und Büchern. Hier im Foyer präsentieren wir, anlässlich des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember, eine Ausstellung zum Thema HIV. Mit dieser Präsentation feiert eine Gruppe HIV-Infizierter aus Córdoba das neue Gesetz, das die Regierung beschlossen hat. Der Staat übernimmt künftig die Kosten der Medikamente für infizierte Frauen und deren Kinder, die eine spezielle Medikation benötigen.“ Auf den Fotos kann ich den kämpferischen Weg nachvollziehen, den die Betroffenen zurücklegten: die Demonstrationen und Kundgebungen, die schließlich zum Gesetzesbeschluss führten und die anschließende Freude über diesen Erfolg.
Bevor Rita mich durch die Räume begleitet, bringt sie mir die Gründungsgeschichte des Frauenmuseums näher: „Das Gebäude aus den 1880er-Jahren diente ursprünglich einem Herrenclub, den Illuminati. Diese Geheimgesellschaft verbot Frauen den Zutritt zu diesem Haus.“ Hausverbot für Frauen damals – Betretungsverbot für gewalttätige Männer heute, so ändern sich die Zeiten. In Wikipedia lese ich, dass Frauen als Aufputz für Festveranstaltungen und zu besonderen Anlässen den erlauchten Herren genehm und erwünscht waren. Ziemlich sicher bin ich mir, dass sie auch für Putzdienste im Haus willkommen waren. Wie heißt doch noch das Wort „Illuminati“ übersetzt: die „Erleuchteten“? Durch Aufklärung und sittliche Verbesserung wollten sie die Herrschaft der Menschen über den Menschen überflüssig machen. Waren Frauen keine Menschen? Fiel den „Erleuchteten“ der Widerspruch zwischen ihrem Denken und Handeln auf?
Rita setzt mit der Gründungsgeschichte fort: „Genau deshalb wählte Alexandra Vigo, die Frau des damaligen Gouverneurs der Provinz Córdoba, dieses Gebäude für das Frauenmuseum aus, das sie gründen wollte. Somit ermöglichte sie den Frauen, die Räumlichkeiten zu betreten, die ihnen ehemals verboten waren.“ Damit setzte sie ein Zeichen des Widerstands gegen die Männerwelt, das selbst ein gutes Jahrhundert später noch wichtig ist. Und Frau Vigo wusste, worum es geht. „Sie arbeitete in Frauenhäusern, wo sie mit den von ihren gewalttätigen Männern malträtierten Frauen Kontakt hatte. Aus diesen Erfahrungen heraus setzte sie sich für die Gründung eines Frauenmuseums ein. 2010/11 war es dann soweit. Das Museum wurde eröffnet“, sagt Rita.
Das Widerständige der Gründerin dürfte sich über die Jahre gehalten haben und zu einem Markenzeichen des Frauenmuseums geworden sein, wie ich den weiteren Schilderungen Ritas entnehme: „Die mittlerweile internationale Protestbewegung ‚Ni Una Menos‘ (Nicht eine weniger‘) startete hier“. Sie richtet sich gegen jegliche Gewalt an Frauen und schafft Bewusstsein über die große Anzahl von Frauenmorden weltweit. Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind – allein aufgrund ihres Geschlechts. Um dies deutlich zu machen, prägte die Bewegung den Terminus FEMIZID. Die patriarchalen Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft führen von Benachteiligungen und Unterdrückung von Frauen bis hin zu Gewalttaten gegen sie. Kurz, klar und unmissverständlich: Das Patriarchat tötet. Wie eine Schallwelle, die sich rund um den Globus fortsetzt und in den verschiedenen Regionen des Planeten unüberhörbar ertönt, lassen es Frauen nicht mehr zu, dass die Gewalt gegen sie unter den Teppich gekehrt wird. Den wenigsten Menschen dürfte bekannt sein, dass dieses transnationale Phänomen von Córdoba ausging. „Keine mehr“, heißt es in Deutschland, „Non Una Di Meno“ in Italien. Seit 2017 gibt es mit dem Kollektiv „Ni Una Menos Austria“ auch in Österreich sicht- und hörbaren Widerstand gegen Frauenmorde. Seit 2020 ist die Protestbewegung Teil des „Claim the Space“-Kollektivs. Im Sinne von: „Nehmt ihr uns eine*, antworten wir alle!“, bleibt kein Frauenmord unbeantwortet. Nach jedem Anlassfall im Lande trifft sich die Gruppe am Karlsplatz in Wien und setzt damit öffentlich ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen. In der Schweiz protestieren die Frauen am Helvetiaplatz in Zürich. Die Ausweitung des Protests, die mit der internationalen Vernetzung der globalen Frauenbewegung zu erklären ist, gibt Hoffnung und Zuversicht.
„Die Frauenbewegung muss international werden, um durch Solidarität von Frauen über alle nationalen Grenzen hinweg den Status der Frauen auf der ganzen Welt zu verbessern“. Alice Paul (1885 – 1977), amerikan. Juristin und Pazifistin; um 1938

Die Ausstellung „Trans Córdoba„ präsentiert über Fotos die Lebensgeschichten von Transfrauen. Sie sind Teil eines Archivs, das im Entstehen ist und das an Transsexuelle der Region Córdoba erinnern, ihre Geschichten festhalten und dokumentieren soll.

Nachdenklich stimmt ein Altar, der das Leben und den Tod von Freund*innen und Gefährt*innen ehrt und ihrer gedenkt. In Interviews aufgezeichnet, kann ihren Gedanken und Stimmen gelauscht, ihren Leben nachgespürt werden. Der Altar erinnert auch daran, dass es früher noch schwieriger war, als Transperson zu leben und sich zu zeigen. Als ich nach meinem Besuch über die im Museum präsentierte Transkünstler*in, Camila Sosa Villada (geb. 1982), Autor*in, Film-, Theater- und TV-Schauspieler*in, recherchiere, lese ich genau dazu: „I began dressing as a girl, when I was 16, in a town of 5000 inhabitants. I know very well what it was like being a travesti in a town like that 20 years ago. It was twice as hard as it is now. Nowadays, those who dress as girls have no idea, what we went through. It was very painful. Luckily, the way has been paved for them.“ Villada arbeitete als Prostituierte, bevor ihr mit einem selbstproduzierten Theaterstück über ihr Leben als Transsexuelle der schauspielerische Durchbruch gelang.(*2)
Ich zolle allen Transpersonen große Achtung und großen Respekt für ihren Mut, nach außen zu gehen. Denke ich an die Anfeindungen, die sie erleben, wenn sie sich outen, frage ich mich: Was würde ich auf mich nehmen, um den Körper zu erlangen und zu zeigen, in dem ich mich wohl und zuhause fühle? Was mich an ihrer Aufmachung allerdings irritiert, wie ich beim Durchblättern der aufliegenden Bücher über Transpersonen feststelle, ist, dass viele von ihnen äußerst auffällig gestylt und hergerichtet sind. Warum ist das so? Was steckt dahinter? Die Erinnerung an eine persönliche Erfahrung hilft bei der Beantwortung dieser Frage ein Stück weiter. Mit gut 30 Jahren bekam ich zu hören: „Du könntest dich auch schön langsam altersadäquat anziehen?“ Wie kam jemand überhaupt auf die Idee, mein äußeres Erscheinungsbild zu bekritteln. Hätte ich es nicht mit Humor sehen können, wäre ich empört über diese Anmaßung gewesen. Ähnlich verhält es sich bei Transpersonen, denke ich. Es wird mir bewusst, dass sie auffallen, weil ihr Auftreten nicht dem gängigen Bild von Geschlecht entspricht, das offensichtlich auch in meinem Kopf verankert ist. Liege ich damit richtig? Ist es transphob, danach zu fragen? Ich wage es und richte meine Frage an Rita. „Sie wollen einfach nur gesehen und akzeptiert werden, so, wie sie sind“, antwortet sie. Eigentlich klar, wer will das nicht? Sollte nicht jeder Mensch sein können, was er will, ohne deshalb stigmatisiert zu werden?
Im letzten Raum „Biblioteca Sala 0, feminismos simultáneos” befindet sich ein Büchertisch mit diversen Büchern zu „Feminismen“, wobei der Plural des Wortes aufhorchen lässt. Gut gewählt, denke ich, denn es entspricht der Realität: liberaler, postkolonialer, Öko-, Differenz-, Gleichheits-, Queer-Feminismus. Es gibt viele unterschiedliche Ansätze und Strömungen, die auf ihre Weise versuchen, Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung aller Menschen zu erreichen. Dazu liegen Essays, theoretische Texte, Biografien, Romane, Kataloge über Künstler*innen,…auf, die für alle, die Interesse haben, zugänglich sind. Neben lateinamerikanischen Autor*innen finde ich Bücher von Rebecca Solnit, Virginie Despentes und Simone de Beauvoir. Geplant ist eine Bibliothek, deren „widerständiger“ Grundstock gelegt ist.
(*1) FLINTA = Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, trans und asexuelle Personen
(*2) Camila Sosa Villada: „Im Park der prächtigen Schwestern“ (Suhrkamp Verlag)