Bericht über die Tagung
Im Oktober 2024 fand an der Eurac, Bozen, die Tagung „Women´s, Gender and Queer History – international developments and local perspectives“ statt und ich habe das Glück und die Gelegenheit an diesem einzigartigen Event teilzunehmen.
Schon beim Durchlesen des Programms fällt die Bandbreite der Studien auf: Neben internationalen Beiträgen finden sich auch lokale; ein Blick auf verschiedene Minderheiten, sowie Diversität im Verlauf der Geschichte.
Eingeteilt war die Veranstaltung in drei Abschnitte, sogenannte Panels, die jeweils einen Schwerpunkt behandelten:
- Panel 1 unter dem Vorsitz von Alexandra Cosima Budabin (Eurac Research, Bozen) befasst sich mit „Women´s, Gender & Queer History International – Geschichte, Bedeutung, Gemeinsamkeiten, Unterschiede“.
Mit den Beiträgen von Lindsey Earner-Byrne (Trinity College, Dublin), Paola Stelliferi (Universität Padua), Benno Gammerl (European University Institute, Florenz) und Maya de Leo (Universität Pisa) beginnt die Tagung.
Lindsey Earner-Byrnes sprach in ihrem Beitrag „Eine Minderheit in einer Minderheit? Sexuelle Emanzipation im Irland des 20. Jahrhunderts“ über die sexuelle Emanzipation im Irland des 20. Jahrhunderts und die Rolle der Katholischen Kirche in diesem Prozess.
In Paola Stelliferis Beitrag „Geschichte der Feminismen in Italien“ wurden die Ungleichheiten zwischen Frauen und Feminismen thematisiert: die Konflikte zwischen Gruppierungen, sowie die Differenzen, sowohl sozialer Natur als auch solche, die die Klassen betreffen. Dabei bezieht sie sich auf „Rivolta femminile“, eine der ersten feministischen Gruppierungen in Italien und deren Gründerinnen, die Kunstkritikerin Carla Lonzi und die Malerin Carla Accardi: Die Konflikte, die schließlich zur Trennung der beiden führen, stehen exemplarisch für die vielen unterschiedlichen Sichtweisen innerhalb feministischer Gruppierungen. Bezug nimmt sie auch auf Paola Di Coris Arbeit und wie diese die Geschichtsforschung zum Thema Frau und Gender wahrgenommen hat.
Benno Gammerls Beitrag, „Queer History in Deutschland“, begann mit einem Bild, u. z. mit Jusepe de Riberas „Bärtiger Frau“ (1631) und der Feststellung, dass „queer“ keine neuzeitliche Erfindung oder Modeerscheinung sei, sondern immer schon da gewesen sei. Im weiteren Verlauf befasst sich der Vortrag u. A. mit Intersektionalität und der Tatsache, dass Liberalisierung im Queer-Bereich nicht für alle Gruppen im gleichen Maße stattgefunden hat und dass AIDS einerseits zwar ausbremsend gewirkt, andererseits aber auch zur Emanzipation (Homosexualität) geführt habe.
Maya de Leo sprach über die „LGBTQIA+ – Community in Italien“: Der Mangel an Transparenz, ein Vakuum im gesetzlichen Bereich und die Rolle der Katholischen Kirche sind zentrale Punkte ihres Vortrages, ebenso die Vision Giorgia Melonis, bezogen auf Mutterschaft, Staatsbürgerschaft und Nationalismus, die Änderungen im Wege steht.
- Panel 2 unter dem Vorsitz von Katharina Crepaz (Center for Autonomy Experience, Bozen) hatte „Minority History“ zum Inhalt.
Neben Beiträgen von Josef Prackwieser (Center for Autonomy Experience, Bozen), Elisa Bellѐ (Sciences Po, Paris), Bojan Bilić (Universität Wien) und Pia Singer & Christoph Gürich (Stadtmuseum München) enthielt dieser Abschnitt auch eine Stadtführung mit Hannes Obermair (Eurac Research, Bozen) und Franziska Cont (Freie Universität Bozen)
Josef Prackwieser sprach „Zur Geschichte des Minderheitenbegriffs“ und Francesco Capotortis Definition von Minderheit. Wie sich der Minderheitenbegriff „queer“ in Nordamerika entwickelt hat, das Toleranzedikt von 1598 (Edikt von Nantes) und dass der Begriff „Minderheit“ nicht überall verwendet wird, sondern man beispielsweise in Südamerika von „Indigenen Völkern“ sprach, waren weitere Punkte seines Vortrages.
Im Beitrag von Elisa Bellѐ erfuhr man einiges über die „Geschichte der Frauenbewegung im Trentino“: Von der Zweiten Welle der Frauenbewegung, den 68ern und der Bedeutung Elena Medis als Mitbegründerin der „Libreria delle Donne“ in Mailand, weiters von den Geschehnissen rund um den „Caso Zorzi“ und die Selbstanzeigen wegen Abtreibung in den 70ern und schließlich von der Arbeiterinnenbewegung „Pane e rose“.
Bojan Bilić sprach über den „LGBT-Aktivismus im jugoslawischen Raum“, die Schwierigkeiten, die sich aus den vorherrschenden patriarchalen Strukturen ergeben haben und auch die Gefahren, die davon ausgingen, sich zu outen: Diskriminierung und Unterdrückung waren an der Tagesordnung. Bücher wie „Transgender in the Post-Yugoslav Space“ und „Lesbian Activism in the Post-Yugoslav Space“ berichten eindrücklich darüber.
Pia Singer & Christoph Gürich vom Stadtmuseum München berichten in ihrem Vortrag „München sucht seine LGBTIQ⃰ – Geschichte: Sammlung und Präsentation queerer Stadtgeschichte“ von der Museumsarbeit und der Objektrelevanz bezüglich des Sammelns und wie sich der Bereich LGBTIQ⃰ und Club-Kultur im Stadtmuseum München ab 2011 entwickelt hat. Sammlungsarbeit und Erschließung aktueller Themen sind Kernthemen ihrer Arbeit, 2024 konnten unter dem Schlagwort LGBTIQ⃰ 1000 Objekte gefunden werden.
Eine Stadtführung der besonderen Art leiteten Hannes Obermair und Franziska Cont: Verschiedene geschichtsträchtige Orte zum Thema „Gender & Queer History“ wurden besichtigt: Ausgehend vom Eurac-Gebäude mit seiner Geschichte ging es unter anderem Richtung Siegesdenkmal, Bozner Wassermauer, Marienschule und Obstmarkt.
- Panel 3 unter dem Vorsitz von Johanna Mitterhofer (Eurac Research, Bozen) und Giada Noto (Frauenarchiv Bozen) behandelt „Frauen-, Gender und Queer History in Südtirol“.
In überaus interessanten Beiträgen dokumentierten Siglinde Clementi (Zentrum für Regionalgeschichte, Brixen), Georg Grote (Eurac Research, Bozen), Alessandra Spada (Frauenarchiv Bozen), Chiara Paris (Eurac Research, Bozen), Lisa Settari (Universität Iaşi, Rumänien), Martha Verdorfer (Frauenarchiv Bozen) und Franziska Cont (Freie Universität Bozen) lokale Geschichte, bezogen auf Frauen, auf soziale Unterschiede zwischen Männern und Frauen und queere Personen.
So befasste sich der Beitrag von Siglinde Clementi mit „Geschlechterordnungen in Ständegesellschaften“, was am Leben von Osvaldo Ercole Trapp und dessen Mutter Maria Anna Trapp geb. Thun veranschaulicht wurde. In diesem Zusammenhang erfuhr man einiges über die Bedeutung der Häuser und die Bereiche Ehe, Frauen und Vormundschaft, Männer und Männlichkeit: So waren es die Frauen, die im 17. Jahrhundert Verwandtschaftsgruppen zusammenhielten, die Situation von Witwen war jedoch prekär und Vormundschaftsregentschaften wurden an Frauen übertragen, waren sie im Gegensatz zu männlichen Mitgliedern der Familie nicht erbberechtigt und demzufolge unvoreingenommen.
Georg Grote wiederum spricht von „Frauen an der „Heimatfront“ im Ersten Weltkrieg“ und zeigt anhand der Korrespondenz zwischen Anton Kompatscher/Völs am Schlern und dessen Frau Katharina auf, wie die Männer an der Front und die Frauen zuhause während des Ersten Weltkrieges ihre jeweilige Situation erlebten: Während die Frauen mit all ihren Aufgaben – Wirtschaften, Kindererziehung, Beistand für den Ehemann – oft überlastet waren, erahnt man die Unzufriedenheit der Männer. Dennoch versucht man an einem Strang zu ziehen und sich gegenseitig zu unterstützen.
Alessandra Spada sprach über „Die Rolle der Frauen in der Bildungs- und Sozialpolitik in Südtirol während des Faschismus“ und wie und mit welchen Mitteln die Italianisierung der deutschen Bevölkerung erreicht werden sollte: Das Ersetzen deutscher Kindergärten durch italienische oder die Einrichtung von Ferienkolonien, immer unterstützt von Frauen, sind nur zwei Beispiele von mehreren, die dazu geführt haben, dass die deutschsprachigen Frauen, im privaten wie im öffentlichen Bereich immer stärker zurückgedrängt wurden.
Chiara Paris zeigte die Geschichte der „Frauenbewegungen in Südtirol“ auf: Erste Frauenorganisationen im Habsburger Reich und Maria Ducia im Tiroler Landtag, die Zeit von 1918 – 1960 mit Waltraud Gebert-Deeg, Lidia Menapace und Andreina Emeri und schließlich Frauenorganisationen ab 1960/70.
Lisa Settari sprach in Ihrem Beitrag „Frauenliebende Frauen in der Geschichte Südtirols“ über die Geschichtsschreibung in Südtirol, die sich wohl mit militärischen und historischen Aspekten befasst hat, nicht aber mit Queer History und stellte fest, dass Sozial- und Sexualgeschichte in der Forschung lange eine untergeordnete Rolle gespielt hatte.
In Martha Verdorfers Beitrag „Frauen und Frieden – mehr als eine Alliteration? Das Verhältnis von Frauen- und Friedensbewegung am Beispiel der Frauen für Frieden in Südtirol“ erfuhren der Zuhörer, dass Frauen und Frieden nicht automatisch zusammengehören, sondern es sich dabei vielmehr um ein gesellschaftliches Konstrukt handelt. Nach einem kurzen geschichtlichen Exkurs wurde am Beispiel der Frauen für Frieden in Südtirol aufgezeigt, welches bei Frauen- und Friedensbewegungen die Berührungspunkte sind und wo die Unterschiede liegen: Während die Frauenbewegung eher im städtischen Bereich agiert und vorwiegend italienisch besetzt ist, ist die Friedensbewegung im ländlichen, deutschsprachigen Raum aktiv. Darüber hinaus zeichnen sich Frauenbewegungen durch Rebellion und Aktion aus, während Friedensbewegungen auf Mütterlichkeit und Friedfertigkeit Wert legen.
Franziska Cont schließlich befasste sich mit „Doing Gender History im lokalen Kontext – Frauenstadtbuch Bruneck“ und stellte fest, dass Frauenstadtbücher sich im Gegensatz zu den in der Vergangenheit von Männern verfassten Heimat- oder Dorfbüchern, die ausschließlich Chroniken enthalten, mit Forschung befassen.
Die Veranstaltung mit ihren vielfältigen Beiträgen hatte einmal mehr die Wichtigkeit aufgezeigt, Frauen-, Geschlechter- und Queer-Geschichte einem breiteren Publikum zugänglich zu machen: Die in den einleitenden Worten zur Tagung angesprochenen Fragen, nämlich, wer Geschichte macht und wer sie schreibt, wurden während dieser Tagung aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und ermöglichten dem Besucher einen Einblick in ganz unterschiedliche Bereiche zum Thema Diversität.