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Nicht bloß Haare

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An einem kühlen Mai-Abend ließ ich mir auf einem idyllischen Strand auf den schottischen Orkneyinseln meinen Kopf rasieren, um für einen guten Zweck Spenden zu sammeln. Genauer gesagt für ein Projekt, das ich seit Oktober letzten Jahres als Freiwillige unterstützte, und welches von einem Studierendenverein (Edinburgh Global Partnerships) an meiner Uni koordiniert wurde. Ich war eine von sieben Freiwilligen, die es sich zum Ziel gemacht hatten, bis Ende Mai rund 10.000 Euro zu sammeln, um mit einem kleinen Frauenverein namens Chiseke Women Organisation in Sambia ein Produktionszentrum für Kochöl aufzubauen.

Im englischsprachigen Raum ist es recht verbreitet, sich gegen private Spenden zu einer persönlichen Herausforderung zu verpflichten, z.B. einem Marathon, oder eben zur Glatze. Ich habe mir ein Profil auf Just Giving Webseite erstellt, über die dann alle Interessierten direkt einen Beitrag an unser Spendenkonto überweisen konnten.

Ich wusste von Anfang an, dass ich für unsere Spendenaktion meine Haare schneiden wollte. Zum Teil auch einfach weil ich nicht mein Leben zu Ende leben wollte, ohne je herauszufinden, wie mein nackter Kopf aussieht. Bedenken hatte ich natürlich trotzdem.

So versuchte ich daran zu denken, welchen Beitrag ich dadurch zu unserem Projekt leisten konnte und nutzte die Chance, mich mit der Wichtigkeit meiner Haare, meines Aussehens, meinem eigenen Verständnis von Weiblichkeit und dem von anderen Menschen auseinanderzusetzen.

Tatsache ist, dass ich immer sehr unsicher war, was meinen Körper anging, mein ganzes Aussehen und meine Wirkung auf andere, meine Weiblichkeit und schließlich meinen Selbstwert. Und meine Haare spielten dabei stets eine wichtige Rolle. Ein Bad-Hair Day konnte mir so richtig die Laune vermiesen und Energie rauben, und nach unglücklichen Friseurbesuchen habe ich mehr als einmal geheult.

Ich bin keine Anthropologin, aber eine kurze Internetrecherche in diese Richtung bestätigt meine Annahme, dass den Haaren, ihrer Länge, Dichte, Farbe und ihrem Styling, seit jeher große Bedeutung zugeschrieben wird, und zwar quasi überall auf der Welt. Wir können uns alle in etwa vorstellen, wie viel Zeit, Geld und Energie für Haarpflege und -styling draufgeht, wenn wir durch die Stadt bummeln, Zeitschriften durchblättern oder es mal nicht schaffen, Werbespots im Fernsehen aus dem Weg zu gehen. „Sich fertigmachen“ bedeutet oft, sich um die Lage auf dem Kopf zu kümmern. Dann die ganze Sache mit dem neuen Haarschnitt, der einen neuen Lebensabschnitt einleiten soll.

Und wenn man noch tiefer gräbt, findet man unzählige weitere soziale und politische Gegebenheiten, die mit Haaren zu tun haben. Da ist die Geschichte von Samson, der seine übernatürlichen Kräfte verlor, nachdem ihm ein Diener im Auftrag seiner Geliebten im Schlaf die Haarpracht abgeschnitten hatte. In der Bibel heißt es, für Frauen gezieme es sich, die Haare lang zu tragen. Das trug natürlich zu der Festigung der Annahme bei, dass lange Haare mit Weiblichkeit gleichzusetzen sind. Dann kennen wir die zahllosen Beispiele von Frauen, denen zur Strafe die Köpfe rasiert wurden. Und den Fall Britney Spears, deren von Paparazzi begleitete Spontanrasur als ultimatives Zeichen ihres Kontrollverlustes galt. Ebenso gibt es die Bilder von Frauen mit Glatze, die medizinische Eingriffe erahnen lassen, und für Traurigkeit und Verletzlichkeit stehen. Die Geschichten von farbigen Frauen, die gerade auch wegen ihrer Haare zu einem Exotikum erklärt werden, deren Afros als wild und unseriös, oder als „witzig“ und als Einladung zum Anfassen abgestempelt werden.

Wegen dieser Wichtigkeit und Bedeutung, die Haaren so gut wie immer und überall zugeordnet wird, scheint es legitim, darüber nachzudenken und darüber zu schreiben. Es sind nie wirklich „bloß Haare“.

Also startete ich neugierig in dieses persönliche Experiment. Während und kurz nach der Rasur fühlte ich mich merkwürdig. Ich hatte mir trotz meiner lebhaften Fantasie nicht vorstellen können, wie ich denn oben ohne aussähe, und hatte etwas Bammel davor, zum ersten Mal in den Spiegel zu schauen. Aber nur Minuten später schickte ich die ersten Fotos an Familie und Freunde, und teilte sie in den sozialen Medien. Ich war stolz darauf, es durchgezogen zu haben, aufgeregt, weil es sich gewissermaßen um einen sichtbaren Neuanfang handelte. Auch mochte ich, dass sich mein Kopf wie Samt anfühlte. Andererseits wurde ich am ersten Abend das Gefühl nicht los, etwas verloren zu haben, und einfach wie ein komischer Kauz auszusehen.

Lisa Settari

Die Reaktionen aus meinem Umfeld waren fast ausschließlich positiv. Ausnahmen waren eine seltsame Begegnung in einem Restaurant in Aberdeen, gleich an meinem ersten Tag mit Glatze. Ich war mit meinem veganen Gulasch beschäftigt, eine Frau blieb beim Rausgehen neben mir stehen und fragte mich „Machen Sie Chemo oder haben sie bloß ihren Kopf rasiert?“ Ich war vor allem perplex. Wie kommt jemand auf die Idee, eine wildfremde Person so etwas zu fragen, noch dazu in der Öffentlichkeit? Dann war da noch der Dreißig-plus Familienvater, promoviert und selbständig, der mich fragte ob ich denn jetzt genderneutral sei. Nein, sagte ich, ich bin jetzt eine Frau mit sehr kurzen Haaren.

Ich gewöhnte mich schnell an mein neues Aussehen, und bald gefiel es mir sogar. Ich erinnerte mich auch daran, wie schnell es vor ein paar Jahren für mich normal wurde, meine Mama ohne Haare zu sehen, als sie ihre Chemo machte. Ich begann auch zu verstehen, was Frauen mit sogenannten Buzzcuts meinten, wenn sie sagten, raspelkurze Haare hätten sie selbstbewusster gemacht, weil man so der Welt sein Gesicht entgegenhält, ohne Haare, hinter denen man sich verstecken oder verschwinden könnte. Quasi als „rohe“ und ehrliche Version seiner Selbst, mit einer „So, da bin ich“-Attitüde.

Ich begriff, warum viele Frauen eine Kopfrasur als Befreiung warnahmen. Tatsächlich fühlte auch ich mich befreit. Es war mir, als hätte ich endlich Nein gesagt, zu diesem sozialen Zwang des Gefallens, der traditionellen Weiblichkeit. Ich verglich mich viel weniger mit anderen Frauen und sorgte mich weniger darüber, wie ich wohl auf andere wirkte, weil mir schien, ich hätte dieses Spiel, diesen Wettbewerb, schlicht verlassen, ich war freiwillig ausgeschieden. Ich genoss es nach wie vor, mich schön zu machen, Schmuck und Make-up zu tragen, aber es war nicht mein Ziel, dadurch weiblicher auszusehen und attraktiv auf Männer zu wirken. Manchmal sah ich in den Spiegel und empfand diese Version als die echte Lily.

Ich hatte die Macht, die ich zuvor meinen Haaren und den Geschmäckern von anderen gegeben hatte, für mich zurück gefordert. Interessanterweise kratzte es mich Null, ob ich feminin aussah oder nicht. Vielleicht, dachte ich, war ich doch in der Lage, mich weniger um Äußerlichkeiten und Normen zu scheren, als ich gedacht hatte. Ich hatte verstanden, dass ich niemandem Weiblichkeit schuldig war. Meine Begegnungen mit Männern schienen mir unverändert.

Die ganz praktischen Vorteile einer solchen Frisur genoss ich natürlich auch in vollen Zügen. Waschen, trocknen, stylen, alles ging einfacher und schneller, und das brachte Entspannung in meine Morgen- und Abendroutine.

Natürlich sage ich all dies von meinem privilegierten Standpunkt aus. Ich habe mich für die Birne entschieden, und was ich hier schreibe, trifft in keinster Weise auf Menschen zu, die diese Freiheit nicht haben und gezwungenermaßen oben ohne sind, aus welchem Grund auch immer.

Anfang Juni ging es dann für unser Team los nach Sambia und ich schaute in den folgenden Wochen kaum in den Spiegel. Gerade hier, in der subsaharischen Hitze und in einem Dorf ohne fließendes Wasser, war die Raspelfrisur wieder sehr günstig. Als wir einmal während der Mittagspause vor unserem Haus saßen, schaute ich von meinem Buch auf und sagte zu den anderen: „Leute, ich glaube, ich schneide meine Haare wieder, wenn wir zurück sind.“ Bisher war das nicht der Plan gewesen, aber die Frisur war mir irgendwie ans Herz gewachsen. Außerdem hatte ich das Gefühl, die raspelkurze Phase nicht lange genug ausgekostet zu haben. Ich hatte die Reaktionen anderer Menschen zuhause nicht so sehr verfolgen können wie ich wollte. Einige Wochen später saß ich zurück in Edinburgh auf dem Boden in meinem Zimmer und rasierte drauflos. Seitdem trage ich meine Haare so. Jetzt sehen alle schon von weitem, dass ich eine zornige Feministentante bin.

 

Epilog: Jetzt, Mitte November, werde ich langsam etwas „stuff“, deshalb werde ich die guten Haare im neuen Jahr wieder wachsen lassen. Ich erwähne dies nur, weil es Teil der Geschichte ist – es ändert aber Null an alldem, was oben steht.

 

Lisa Settari

Lisa Settari

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