Nach der Publikation für die lokale Zeitschrift „Meraner Stadtanzeiger“, freut sich das Frauenmuseum nun einige der Beiträge dieser Frauenkolumne, auch auf dem eigenen Blog zur Verfügung stellen zu können. Nochmals danke dem Meraner Stadtanzeiger für die Zusammenarbeit.
Meraner Frauen von gestern und heute
Sarah Trevisiol
Meran, das prächtige Kleinstädtchen inmitten der Alpen, verbirgt eine vielseitige und weltoffene Geschichte, welche zum Teil auch von Frauen geprägt und geschrieben wurde. In dieser Kolumne werden wir den Stimmen und Erfahrungen einiger Meranerinnen Gehör verleihen, die das Gesellschaftsleben und Stadtbild Merans mitgestaltet haben oder immer noch tun.
Frauen als Fabrikarbeiterinnen
In der unmittelbaren Nachkriegszeit, als Armut und Arbeitsnot auch Südtirol trafen, begann in Meran ein neues industrielles Abenteuer, welches der Stadt zu internationalem Ruhm verhalf und neue Arbeitsplätze schuf. Die Textilfabrik Merlet war eine der ersten modernen Industrien Südtirols, die vorwiegend Frauen als Arbeitskräfte betätigte und daher als Frauenfabrik bekannt wurde.
Alles begann als der Unternehmer Paul Oberrauch 1945 das Markenzeichen und das Logo eines Bozner Sportartikelgeschäfts erwarb und daraus eine florierende Textilfabrik in Meran schuf. Ein Geschäft für Bergsteiger mit angeschlossener Werkstatt wurde in eine regelrechte Industrie verwandelt, die ihre Produkte in der ganzen Welt verkaufte: Von Rucksäcken und Modeartikeln, bis hin zum legendären Verkaufsknüller, dem Loden-Mantel. Ein Kleidungsstück, das die Geschichte Italiens begleitet hat, denn wer damals mondän, elegant und doch seriös erscheinen wollte, hatte meist einen dieser schicken Loden-Mäntel im Schrank.
Angefertigt wurde alles per Hand von hunderten von Frauen und Mädchen aus dem Burggrafenamt. Hinter schweren Nähmaschinen und mit kochenden Bügeleisen, bei Kälte und erdrückender Hitze, fabrizierten Frauen 5 bis 6 Tage die Woche unzählige Textilien, die dann weltweit versendet wurden. Die Arbeitsbedingungen waren nicht leicht, dennoch stellte die Merlet-Fabrik für viele Frauen die einzige Verdienstmöglichkeit dar. Bis in die 50er – 60er Jahre war es für Frauen nicht leicht, eigenständig Geld zu verdienen. Von den meisten wurde verlangt, kurz vor der Hochzeit, Karriere und Verdienst für die Pflege von Haus und Kinder, aufzugeben. Die Fabrikarbeiterinnen der Merlet blieben hingegen Jahrzehnte lang, oft sogar ein Leben lang, im Betrieb berufstätig. Dies ermöglichte ihnen die eigenen Familien finanziell zu unterstützen, aber vor allem auch Selbstvertrauen und Unabhängigkeit zu gewinnen. Die erworbene Professionalität und die neuen wirtschaftlichen Potentiale, gekoppelt mit dem Zusammenleben der verschiedenen Geschlechter, Generationen und Sprachgruppen innerhalb der Fabrik, brachte viele Merlet-Angestellte dazu, einengende Rollenbilder abzulehnen und selbst Entscheidungen über das eigene Leben fällen zu wollen. Sonja Steger, Enzo Nicolodi und Toni Colleselli haben in ihrem Buch „Donne della Merlet. Eine Meraner Industriegeschichte“, zahlreiche Zeugenaussagen gesammelt, die diesen Emanzipationsprozess der Fabrikarbeiterinnen bezeugen.
Unter ihnen Annamaria Marsura, welche im Jahre 1971, als 15jähriges Mädchen in die Fabrik einstieg
und 30 Jahre lang, bis zur Schließung der Struktur, dem Betrieb treu blieb. Sie erzählt von ihrem ersten Tag, als sie die Fabrik betrat und die vielen tüchtigen Frauen sah.
Das war damals noch ein besonderer Anblick, so viele Frauen beim Arbeiten zu sehen, noch dazu in einer Fabrik. Anfangs fühlte ich mich etwas verloren, mit der Zeit gewann ich aber an Mut und schon bald wurde ich herzlich von der Truppe aufgenommen. Wir fanden nicht nur einen Posten in der Fabrik, sondern auch Freundschaften, es wurden Ausflüge organisiert und einige der Bindungen sind bis heute geblieben. Ich wurde dann innerhalb der Merlet sogar Gewerkschaftsvertretende und lernte somit, mich auch für andere stark zu machen, meine Rechte kennenzulernen und mich dafür einzusetzen.
1982 kam es zu einem großen Streik, als den Fabrikarbeiterinnen der 14.Monatslohn gestrichen wurde. Die Frauen nahmen ihr Schicksal in die Hand und verschlossen mit schweren Ketten die Tore der Struktur. Niemand sollte rein oder rauskommen. Zwei Wochen lang schliefen mehrere Arbeiterinnen in der Fabrik und besetzten den Betrieb.
Wir wussten, dass Merlet ohne uns nicht weiter produzieren konnte, wir wussten aber auch dass wir aufgrund eines nationalen Gesetzes, Anrecht auf diesen Gehalt hatten. Wir standen also gemeinsam für unsere Rechte ein. Das war ein tolles Gefühl. Dann haben wir einen Kompromiss gefunden und die Fabrik wurde wieder eröffnet. Die Lodenkrise war jedoch bereits im Gange, die Konkurrenz hatte zugenommen und das Kleidungsstück zog nicht mehr, weshalb wir 1984 in Lohnausgleich gingen. Drei Jahre lang haben wir mal gearbeitet, mal nicht, die Sozialhilfe kam immer zu spät, und ohne die Unterstützung der Familie hätte ich nicht überleben können. Als die Fabrik im Jahre 2000 abgerissen wurde, stellten wir sogar fest, dass wir mit Asbest gearbeitet hatten. Viele von uns wurden krank.
Fabrikgewerbe ist Hartarbeit, für Männer wie für Frauen. Die Merlet-Fabrik öffnete jedoch auch neue Tore: Einerseits für Südtirol, ein Land das bis dahin noch vorwiegend ländlich und touristisch geprägt war, andererseits für die neuen Protagonistinnen, die durch ihre aktive Beteiligung am Arbeitsmarkt und ihr soziales Engagement, die Emanzipation der Meraner Frauen in Schwung gebracht haben.