Unsere Frau des Monats September ist Astrid Di Bella. Die Hebamme und Unternehmerin erzählt uns heute von ihrem Beruf und wie ein Schicksalsschlag sie dazu brachte über ihr Leben nachzudenken…
Was war deine Berufung als Hebamme zu arbeiten?
Seit ich denken kann wollte ich mit Menschen arbeiten. Als ich dann mit 15 Jahren meine erste Geburt zu Hause miterleben durfte, die Geburt meiner Nichte Valentina, war mir klar: das ist mein Traumberuf, meine Berufung. Ich möchte Frauen stärken und sie bei diesem einmaligen Erlebnis bestmöglich begleiten.
Nachdem du Einblick sowohl im Krankenhaus, wie auch als freiberufliche Hebamme bekommen hast, wo siehst du Handlungsbedarf etwas an diesem System der Geburtshilfe zu verändern bzw. was hat sich bereits ansatzweise geändert?
In den letzten 20 Jahren Geburtshilfe hat sich vieles getan. Als ich als Hebamme angefangen habe, erlebten wir gerade eine sehr positive Bewegung. Viele Frauen haben versucht, die Schwangerschaft, die Geburt und die Frauengesundheit im allgemeinen wieder mit mehr Selbstbestimmung anzugehen: Es wurden Geburtshäuser in Europa und Italien geöffnet, die Hausgeburten wurden gesetzlich geregelt, die Frauen kämpften für Bewegungsfreiheit unter der Geburt und gegen allgemeine Routinemaßnahmen wie Dammschnitt oder Zuckerwasserfütterung beim Baby nach der Geburt.
Leider hat sich irgendwie dieser positive Trend in den letzten Jahren wieder umgekehrt und die Pandemie hat diese Rückschritte zum Teil beschleunigt oder sichtbarer gemacht: Wir haben in Südtirol keine wirkliche freie Wahl des Geburtsortes mehr: nach wie vor gibt es kein Geburtshaus in unserer Provinz, die privaten Kliniken wurden alle geschlossen, die Rückvergütung der Hausgeburten ist immer gleich geblieben und jedes Jahr bangen wir, dass sie sogar abgeschaffen wird.
Die Schwangerschaft selbst mit den ganzen Untersuchungen wurde verkompliziert, das Personal klagt über die viele Bürokratie, die erledigt werden muss.
Wir dürfen alle eines nicht vergessen: Wir Menschen/Frauen sind alle ganz individuelle Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Die Geburt ist – immer noch – ein natürlicher Prozess. Wir brauchen daher im gesamten System unterschiedliche Betreuungspfade, die die gesundheitlichen aber auch psychologischen Bedürfnisse der werdenden Mutter, des ungeborenen Kindes und des Vaters respektieren.
Du hast die MutterNacht ins Leben gerufen, wo immer mehr Vereinigungen dazu kommen und diese Reihe mittragen. Was hat dich bewogen solch ein Experiment zu wagen? Die Themen sind unerschöpflich, deshalb wird diese MutterNacht wohl weiter gehen?
Ich brenne für meine Hebammentätigkeit, für die Frauengesundheit und Frauenthemen und gerne versuche ich, Dinge in Bewegung zu setzen. Als ich zusammen mit dem Führungsteam des „Haus der Familie“ vor 8 Jahren in der Schweiz die MutterNacht kennengelernt habe, war mir klar: das möchte ich auch in Südtirol organisieren und da wir alleine nicht so viel erreichen können wie gemeinsam war von vorne herein klar: Die MutterNacht darf mit einem Netzwerk an Frauen- und Familienorganisationen entstehen.
Seitdem wächst das Netzwerk MutterNacht jedes Jahr und immer wieder gelingt es uns gemeinsam Tabuthemen rund um das Mutter-sein und Eltern-sein aufzugreifen. In den letzten Jahren hab ich nach Abschluss der Sensibilisierungskampagne immer wieder gedacht: das war jetzt der Höhepunkt der MutterNacht, besser kann es nicht werden. Es ist Zeit abzuschließen. Aber dann, nach dieser ersten Maiwoche, als es uns wieder gelungen ist, über Themen wie Tod eines Kindes, Unfruchtbarkeit oder Beeinträchtigung öffentlich zu sensibilisieren und sobald mich dann viele Menschen persönlich ansprechen und sich für unsere Arbeit als Netzwerk bedanken, dann weiß ich wieder wieso wir das alles machen und freu mich schon auf das nächste Jahr.
Möchtest du auch etwas zu deiner Krankheit und deinen Umgang damit mitteilen? Was war deine Motivation dazu sich zu exponieren? Was gibt dir Kraft und Stärke bzw. woher schöpfst du deine Energie? Jeder Einschnitt im Leben birgt auch Chancen, die du wahr genommen hast, so hast du dich neu orientiert?
Als ich am 9.10.2019 von einem Tag auf dem anderen ganz unverhofft und ohne Vorwarnung die Diagnose Leukämie erhalten habe, stand die Welt für mich einen Moment still. Völlig aus dem Leben herausgerissen, musste ich mein aktives Leben stoppen: 2 Monate Krankenhausaufenthalt, insgesamt 9 Monate Chemotherapie. Eine Schwangerschaft lang. Nach dem ersten Schock hab ich das getan, was mir am besten gelingt: Wie der Spruch unserer Hebammenkampagne 2017: “Die Hebamme holt das Beste aus dir heraus”, hab ich auch versucht, das Beste aus dieser Situation herauszuholen. Ich habe meine Geschichte erzählt, um anderen Menschen Mut zu machen, um aufzuzeigen, dass wir immer in jeder Situation die Möglichkeit haben zu agieren und reagieren. Und auch in diesem Fall haben sich viele Personen bei mir gemeldet und sich bei mir für meine Offenheit bedankt. Das wiederum hat mir Kraft und Zuversicht gegeben. Ich konnte was bewegen, was beitragen, auch wenn ich schwerkrank im Krankenhaus lag. Ich hab diesen Einschnitt im Leben auch genutzt über mein Leben nachzudenken und hab erkannt, dass ich die Frauen immer in den Mittelpunkt gerückt habe und dabei eine wichtige Frau vergessen habe: Mich selbst. Wir haben in unseren Ausbildungen so viel von emotionaler Begleitung gelernt, aber unsere eigene emotionale und körperliche Gesundheit wurde nie wirklich angesprochen. Und so hab ich in diesen 9 Monaten der Krankheit wieder gelernt, auf mich zu schauen, meine Bedürfnisse zu erkennen und zu respektieren. Und musste anerkennen, dass es meine Arbeit als Hebamme so wie ich sie bis jetzt gelebt habe nicht mehr geben wird. Es war kein einfacher Prozess des Loslassens und auch des Traurig seins. Aber mein Körper hat mir zum ersten Mal klar seine Grenzen gezeigt und ich durfte lernen diese zu akzeptieren. Und so kam es anschließend zu einer Neugeburt: Ich hab mich beruflich umorientiert und begleite nun – wieder vorwiegend – Frauen in ein selbstständiges selbstbestimmtes Leben und unterstütze sie – wie eine Hebamme- auf ihren Weg in den persönlichen und beruflichen Erfolg. Ich arbeite wieder im Netzwerk und kann vieles Bewegen. All das was ich so liebe darf ich nun wieder tun und bin sehr sehr dankbar dafür.
Wie nimmst du deine Rolle in der Familie wahr? Ist es für dich möglich/selbstverständlich dir den Freiraum zu nehmen, um deinen Fähigkeiten und Interessen nachzugehen?
Vor meiner Krankheut dachte ich, meine Rolle als Mutter und Frau sei unersetzlich. In den 2 Monaten im Krankenhaus durfte ich die Erfahrung machen, dass meine Familie sich auch sehr gut ohne mich organisieren konnte. Das war eine zweischneidige Erfahrung. Auf der einen Seite war es eine große Erleichterung zu sehen, wie alle zusammen sich als Team stark gemacht haben und sich gegenseitig unterstützt haben. Auf der anderen Seite aber hat es auch die Ernüchterung gebracht: es geht auch ohne mich. Werde ich überhaupt gebraucht? In der Zwischenzeit habe ich gelernt, dass alle Personen in der Familie wichtig sind und ihren Teil zum Familiensystem beitragen und ich hab mir auch gemerkt, dass es ohne mich sehr wohl gut geht und so trau ich mich jetzt auch öfter mal eine längere Auszeit zu nehmen. Zum Beispiel ging ich heuer im Mai eine Woche pilgern; ein Wunsch den ich schon lange im Nähkästchen hegte aber als Mutter mit Familie noch nie getraut hatte wirklich umzusetzen.
Was ist für dich Erfolg?
Erfolg ist für mich wenn ich das, was ich mir vorgenommen habe, erreicht habe. Und dabei sind es nicht immer messbare Ziele. Ein gutes Beispiel ist für mich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ich hab in den letzten 2 Jahren gelernt, alle beiden Aspekte zu leben und dabei bewusst und achtsam zu leben und nicht einfach nur zu funktionieren. Dabei muss ich immer wieder innehalten und schauen, ob ich noch auf dem richtigen Weg bin. Und auch wenn nicht immer alles glatt läuft empfinde ich es als einen erfolgreichen Weg den ich gehe. Das Wichtigste ist doch wenn wir abends im Bett vor dem Einschlafen nach einem vollen Tag mit Arbeit und Familie erkennen, wie glücklich und dankbar wir sind weil wir auf uns gehört haben und unsere persönlichen Entscheidungen getroffen haben und so unseren Zielen näher gekommen sind.
Wen bewunderst du?
Für mich ist das eine ganz schwierige Frage, denn ich bewundere so viele Menschen um mich herum. Alle haben verschiedene Charakterzüge die ich erstrebenswert finde und von denen ich gerne lerne um eine bessere Version meiner Selbst zu werden. Aber ganz allgemein bewundere ich Menschen, die trotz Stürme, Gegenwind und Hindernisse nicht den Glauben an ihre Kraft verlieren und weiterhin strahlen und leuchten und auch bereit sind sich manchmal helfen zu lassen.
Dein Lebensmotto?
Carpe diem. Das war mein Lebensmotto mit 16, ich hab‘s dann irgendwie vergessen und vor kurzem wieder in einem Tagebuch von mir entdeckt. Ist gerade sehr stimmig für mich. In den letzten Wochen wurden 3 Personen in meinem Umfeld ganz plötzlich aus dem Leben gerissen und sie hatten nicht mehr das Glück – wie ich – es nochmal zu versuchen. Daher lasst uns nichts aufschieben und das Leben leben. Denn es ist keine Generalprobe!
Interview: Sissi Prader & Yvonne Rauter