Ulrike Steinhäusl stellt uns heute in der Rubrik #leselust das Buch von Wolfram Eilenberger “Feuer der Freiheit. Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten 1933-1943” vor.
„Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten. 1933 – 1943“ heißt der Untertitel dieses Buchs, in dem das Leben und Wirken von vier Philosophinnen während jener tiefschwarzen Jahre der europäischen Geschichte beleuchtet werden: Simone de Beauvoir (1908 Paris – 1986 Paris), Simone Weil (1909 Paris – 1943 Ashford, England), Ayn Rand, eigentlich Alissa Rosenbaum (1905 St. Petersburg – 1982 New York) und Hannah Arendt (1906 Hannover – 1975 New York). Vier junge Frauen entwickeln unter schwierigsten Verhältnissen gegen den Strom der Zeit ihre philosophischen und sozialen Ideen und legen Fundamente für eine freiere emanzipiertere Gesellschaft. Wie schon aus ihren Sterbeorten ersichtlich ist, mussten sie mit Ausnahme von Simone de Beauvoir, den Weg ins Exil gehen, da sie jüdische Wurzeln hatten.
Simone de Beauvoir kennen Sie natürlich zumindest dem Namen nach. Ihren endgültigen großen Durchbruch erlebte sie zwar erst 1949 mit dem Erscheinen von „Das andere Geschlecht“, woraus ihr wohl am häufigsten zitierter Satz „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht“ stammt. Doch bevor sie zur Mutter des modernen Feminismus hochstilisiert wurde, hatte sie bereits anerkannte Romane geschrieben und sie war, nicht zuletzt, seit ihrer Jugend die Denk- und Lebensgefährtin von Jean-Paul Sartre. Der Autor Eilenberger versteht es, subtil eine Beauvoir jenseits der bekannten Klischees mit dem Schwerpunkt auf ihrem philosophischen Entwicklungsprozess herauszuarbeiten. Aber auch pikante Details der anstrengenden Dreier und Vierecks Beziehungen des Philosophenpaares werden nicht ausgespart. Dabei fehlen auch süffisante Seitenhiebe auf Jean-Paul Sartre nicht.
Was für ein Gegensatz zu Beauvoir ist hingegen ihre französische Zeitgenossin Simone Weil! Die beiden außergewöhnlichen Frauen haben einander nie kennengelernt. Die Sozialrevolutionärin und spätere Mystikerin Weil, die mit nur 34 Jahren an Unterernährung und Tuberkulose in England verstarb, ist wahrscheinlich die Unbekannteste in diesem Vierergespann (zudem wird sie oft mit der ehemaligen französischen Gesundheitsministerin Simone Veil verwechselt, die ebenfalls jüdischer Abstammung war). Hätte sich Albert Camus in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht ihrer Essays angenommen und sie publiziert, wären sie und ihre Autorin vielleicht in Vergessenheit geraten. Simone Weil war eine Frau der Extreme, die sich nicht scheute in Fabriken ihre Finger schmutzig zu machen oder als Freiwillige in den Spanischen Bürgerkrieg zu ziehen. Knapp einen Meter fünfzig groß, als schwächlich und tollpatschig beschrieben, steht sie immer an der vordersten Front. Eine Gewerkschaftlerin, die den Marxismus ablehnt, eine Mystikerin, die ihre Inspiration aus vielen Religionen saugt. Zweck jeder Gemeinschaft und des Staates sollte letztendlich die Verhinderung von Unterdrückung und Krieg sein. Wie Eilenberger selbst anmerkt, gilt es ihr vielversprechendes Werk erst zu entdecken.
Als Gegenpol zu Simone Weils mitfühlendem sozialen Engagement und Spiritualität lesen wir nun erstaunt über den von Alissa Rosenbaum, alias Ayn Rand, gepriesenen Egoismus und uneingeschränkten Kapitalismus. In Europa weniger bekannt, schaffte sie es bis zur Bestsellerautorin und Drehbuchschreiberin in den USA. Mit eiserner Disziplin und fast übermenschlichem Durchhaltevermögen stemmte sie sich aus ihrer Situation als arme Emigrantin hoch. Sie ließ ihre jüdisch-russische Abstammung zurück, änderte ihren Namen und schrieb in einer Sprache, die sie sich erst erarbeiten musste. In ihren Romanen nimmt sie radikal zu Themen der Ökonomie, politischen Philosophie und Ethik Stellung. Alan Greenspan, Ex-Präsident der amerikanischen Zentralbank, sagte einmal, er verdanke Ayn Rand die Einsicht, dass der Kapitalismus nicht nur effizient sei, sondern auch moralisch. Jedenfalls predigte Rand jahrelang eine Welt, in der nur das Ich und nicht die Gemeinschaft zählte, ein gefundenes Fressen für manche Anhänger der Tea-Party. Wie Eilenberger das Profil von Rand skizziert, ist faszinierend. Er schafft es, sich hinein zu fühlen in das Leben und die widersprüchlichen Denkprozesse dieser außergewöhnlichen Frau, auch wenn er mit ihren Ideen und Denkschlüssen kaum konform gehen kann. Jedenfalls ist das sozial-ökonomische Modell von Ayn Rand im Zusammenhang mit der Trump-Ära so aktuell wie nie zuvor.
Hannah Arendt, die ebenfalls als deutsch-jüdische Emigrantin in New York landet, ist wiederum eine berühmte Figur. Als hochbegabte Philosophiestudentin war sie die geheime Geliebte von Martin Heidegger, dessen politische Entgleisung sie danach entsetzt ablehnen musste. Und im französischen Exil war sie eine treue Freundin des unglücklichen Schriftstellers und Philosophen Walter Benjamin. Es ist ihr zuzuschreiben, dass seine Schriften nach seinem Selbstmord veröffentlicht werden konnten. Wie Simone de Beauvoir ist Hannah Arendt seit den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine öffentliche Persönlichkeit, die tausende Seiten Sekundärliteratur gefüllt hat, über die Filme gedreht wurden, deren Schriften weltweit wachsend an Bedeutung gewinnen und die vermehrt, nicht nur in akademischen Kreisen gelesen werden (wie schön etwa ihr Buch über Rahel Varnhagen, das eigentlich ihre Habilitationsschrift war). Eilenberger konzentriert sich auf ihr Leben in den Jahren des Nazismus, der Emigration und der harten Landung in den USA, wo sie und ihr Mann zunächst staatenlos waren und um ihr Auskommen kämpfen mussten. Der Eichmann-Prozess in Jerusalem und ihr Wellen der Empörung hervorrufender Bericht über die „Banalität des Bösen“ lagen damals noch in ferner Zukunft.
Wenn es nun etwas gibt, das diese vier so unterschiedlichen Philosophinnen und Schriftstellerinnen eint, so ist es sicherlich ihr Mut zur Konstruktion neuer Denkgebäude, die damals absolute Avantgarde waren. Man sollte auch nicht vergessen, wieviel an Zivilcourage und Überzeugung es in jenen Zeiten brauchte, als Frau, Jüdin und Emigrantin vom Mainstream abweichende Meinungen zu formulieren. Das Feuer der Freiheit hat in den mutigen und gescheiten Frauen nicht umsonst gelodert und geglost. Wolfram Eilenbergers manchmal etwas wunderliche Sprache sollte niemanden davon abhalten, dieses Buch zu lesen, und danach noch ein paar weitere, auf die man bei der Lektüre neugierig geworden ist. Eilenbergers voriges, sehr erfolgreiches Buch „Zeit der Zauberer“, das den Philosophen Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin, Ernst Cassirer und Martin Heidegger gewidmet ist, wäre noch eine hochinteressante Ergänzung zu den Leben und Denkgebäuden der vier Philosophinnen. Man kann wunderbar mit den Frauen beginnen (oder es auch dabei belassen) und mit den Männern aufhören, obwohl die Reihenfolge der Veröffentlichungen und des Berühmtheitsgrades umgekehrt ist.