Angela Nikoletti (1905–1930) war eine Südtiroler Lehrerin, die sich während der faschistischen Herrschaft Mussolinis für den Erhalt der deutschen Sprache einsetzte. Trotz des Verbots unterrichtete sie heimlich Kinder in Deutsch und gehörte zu den etwa 500 Frauen, die sich dem Regime widersetzten.
Geboren in Margreid wuchs sie unter schwierigen Bedingungen auf: Ihre Familie war arm, ihre Mutter oft krank, ihr Vater kämpfte im Ersten Weltkrieg, und ihre Schwester starb früh. Bereits mit 13 Jahren zeigte sie Widerstand gegen die italienische Herrschaft, indem sie Plakate abriss, die Südtirols Zugehörigkeit zu Italien verkündeten.
Angela Nikoletti führte in ihren letzten Monaten ein Tagebuch, in dem sie ihr Leben reflektierte und sich zum politischen Geschehen äußerte*. Südtirol fiel nach dem Vertrag von St. Germain 1919 an Italien, und trotz anfänglicher Versprechen wurden unter Mussolini mit der Lex Corbinio (1921) und der Lex Gentile (1923) deutsche Schulen geschlossen und die deutsche Sprache im Unterricht verboten. Angela, deren patriotische Gesinnung sie verdächtig machte, konnte ihre Lehrerausbildung in Nordtirol zunächst nicht fortsetzen.
1926 schloss sie ihre Ausbildung mit Bestnote ab, doch viele deutschsprachige Lehrkräfte wurden entlassen oder zwangen sich zur Anpassung.
Angela ließ sich nicht einschüchtern:
Sie unterrichtete heimlich deutschsprachige Kinder in kleinen Gruppen, versteckt in Wohnräumen, getarnt mit Strickzeug. Inspiriert von Kanonikus Michael Gamper verglich sie ihre Arbeit mit dem Widerstand der ersten Christen in Katakomben. Ihre Schülerinnen lernten Lesen und Schreiben – und nahmen Tiroler Lieder sowie Gedichte mit nach Hause. Ein stiller, aber bedeutender Akt des Widerstands.
1927 wurde sie verhaftet und für 30 Tage inhaftiert. Nach ihrer Freilassung wurde sie aus ihrer Heimatgemeinde Kurtatsch verbannt und versteckte sich in einer Höhle, bis ein Arzt bestätigte, dass sie gesundheitlich zu geschwächt war, um den Winter zu überleben. Zurück bei ihrer Tante verschlechterte sich ihr Zustand weiter, und sie verstarb 1930 im Alter von 25 Jahren an Tuberkulose.
Ihr Begräbnis wurde zu einer Demonstration gegen die faschistische Unterdrückung, und sie wurde zur Märtyrerin stilisiert. Ihr Vermächtnis wird bis heute in Südtirol und antifaschistischen Kreisen gewürdigt. 1975 wurde in Bozen der Circolo Angela Nikoletti gegründet, ein Kulturverein mit überwiegend italienischsprachigen Mitgliedern, der sich ihrem Erbe widmet.
* hier ein Auszug:
Abend. Verhör. Alles sollte ich gestehen. Wer mich angestellt, Stunden zu erteilen, wer mich bezahlt, von welchen Familien ich die Kinder unterrichte usw. […] Ich gab zur Antwort: Wenn sie so neugierig sind, sollen sie selbst suchen gehen. Mich haben sie ja auch gefunden. Mehr brachten sie nicht heraus. Meine Tanten aus Tramin wollten mir ein Nachtessen bringen. Beide wurden samt dem Essen zur Tür hinausgeworfen, unter Drohungen und Beschimpfungen […] Um 11 Uhr nachts führten sie mich in den feuchten Keller. Bis zum Morgen lehnte ich an der naßkalten Wand. Müde, abgeschlagen …