Der Weg zum Frauenmuseum in Alice Springs, dem Tor zum australischen Outback nahe dem geographischen Zentrum des Kontinents, hat es in sich, besucht man es zur falschen Jahreszeit, nämlich im Südsommer (Jänner/Februar). Heiße Luft umweht uns, das Thermometer misst 37°Celsius. Dabei erleben wir einen angenehmen Tag. Es könnten 40 Grad und mehr sein, wie meine Freundin Andrea und ich der Wettervorhersage für die nächsten Tage entnehmen.
Zu Fuß überqueren wir den Todd River, auf der Landkarte ein blaues Band, vor Ort ein ausgetrocknetes, sandiges Flussbett, durchzogen von Reifenspuren und Fußwegen. Erbarmungslos brennt die Sonne herab, kein Schatten – weder links noch rechts der Straße, die wir entlanggehen.
Vermutlich werden wir von den Einheimischen als verrückte Touristinnen eingestuft. Wer ein Auto besitzt, fährt jeden Meter – und wir verstehen es. Angehörige der First Nation(*1) lagern im Schatten der Bäume, schlafen, picknicken oder verkaufen ihre Kunsthandwerksarbeiten. Eukalyptusduft liegt in der Luft und lässt kurz die Hitze vergessen. Auch die rothalsigen Papageien lenken uns durch ihr witziges Verhalten ab. Um nicht allzuviel Gemütlichkeit hochkommen zu lassen, sekkieren uns die berühmt-berüchtigten australischen Fliegen. Lästigerweise haben sie es immer aufs Gesicht abgesehen – und hier auf die Augenwinkel, die Ohrmuscheln und die Nasenlöcher. Automatisch stimmen wir ein in den “australischen Gruß”, von dem alle Australienreisenden auf lustige Weise zu berichten wissen: das ständige Gefuchtle der Hand vor dem Gesicht. Endlich! Nach 30 intensiv erlebten Gehminuten erreichen wir das Frauenmuseum:
Women’s Museum of Australia
and Old Gaol
2 Stuart Terrace
ALICE SPRINGS
Allein die Unterbringung des Museums ist einzigartig. Es bespielt das ehemalige Gefängnis, das von 1938 – 1996 in Betrieb war. Die Direktorin, Alexandra Drummond, sprudelt los:
“Nach seiner Schließung sollte das Gefängnis abgerissen werden. Die Regierung behauptete, dass das Gebäude nicht erhaltenswert sei, obwohl es auf der ‘Heritage List’ stand. Doch die lokale Bevölkerung protestierte dagegen. Über die angeblich unüberwindlichen Mauern samt Stacheldraht obenauf drangen die Bewohner*innen der Stadt auf das Gelände vor und besetzten es – unter der Devise: ‘Es ist unser Land. Es gehört uns’. Wir waren damals auf der Suche nach einer neuen Bleibe. So kam uns das Angebot der Regierung gelegen: keine Miete, dafür Erhaltung der Gebäude unter der Auflage, auch die Geschichte des Gefängnisses zu erzählen. So verbinden wir die Inhalte des Frauenmuseums mit den Geschichten über die Haftanstalt, indem wir den Schwerpunkt auf die Frauenabteilung der Strafanstalt legen. Der Deal fällt uns momentan auf den Kopf, denn die Gebäude sind in die Jahre gekommen. Im Moment ist die Klimaanlage im Hauptausstellungsraum defekt, zumindest können wir Ventilatoren einsetzen”. Was wir noch erstaunlich finden?” Gerade vorige Woche kamen wieder Leute vorbei, die ihre Freunde im Gefängnis besuchen wollten. Es ist zwar bereits seit 1996 geschlossen, hat sich aber noch nicht überall herumgesprochen. Und dann kommen noch Besucher*innen, deren Hobby es ist, Gefängnisse rund um die Welt aufzusuchen”, setzt Drummond fort.
Nach einem Orientierungsgang, auf dem sie uns die verschiedenen Gebäudeteile mit ihren Ausstellungsschwerpunkten zeigt, beginnen wir unseren Rundgang im ehemaligen Frauentrakt der Haftanstalt.
Der Ehefrau des Gefängniswärters, Telka Williams, wird die Aufgabe der Matronin, der Leiterin des weiblichen Trakts der Strafvollzugsanstalt, übertragen. In einem Video kommt ihre humane Sichtweise zum Ausdruck, mit der sie von 1956 bis zu ihrer Pensionierung 1984 ihre Arbeit erledigt: “We are all the same behind the skin. They are human beings as you and I. They already have been juged by the court”.
Welch ein Glück für die Insassinnen und Beweis dafür, welch großen Unterschied das Wirken einer einzelnen Person für das Leben anderer bedeuten kann, vertritt sie eine menschliche Einstellung und spielt sich nicht als Richterin auf. Als Mutter eines Kindes mit Behinderung kennt sie die Nöte von Menschen in schwierigen Lebensumständen. Sie gründet nicht nur die 1. Schule für Kinder mit Behinderungen in Alice Springs, sondern verbessert auch den trostlosen Gefängnisalltag der einsitzenden Frauen enorm. Sie sorgt für sinnvolle Beschäftigungs- und Ausbildungsangebote: Ausmalen der Zellen nach den Vorstellungen der Inhaftierten, wohnliches Gestalten der Räume durch Nähen von Tagesdecken und Herstellen von Einrichtungsgegenständen, Wahl der Kleidung nach eigenem Geschmack, Schreiben lernen auf der Schreibmaschine, Kochen…
Mit ihrer unnachgiebigen Haltung schafft es Williams, wichtige Leute von ihren Ansichten zu überzeugen und Materialien zu deren Umsetzung aufzutreiben.
Mit diesen spannenden Geschichten über den Gefängnisalltag dockt das Frauenmuseum nahtlos an die Ausstellungsinhalte über das Leben der Pionierfrauen an, die wir jetzt ansteuern. Dafür wechseln wir vom Zellentrakt der Haftanstalt in den Hauptausstellungsraum des Frauenmuseums, in die ehemalige Gefängnisküche.
Der Einblick in das Leben der Gründerin der “National Pioneer Women’s Hall of Fame” (so der ursprüngliche Name des Frauenmuseums), ist atemberaubend. Stellen Sie sich vor: Sommertemperaturen bis über 50°C, Staubstürme und Überflutungen, Tausende Fliegen, Schlangen, Ameisenplage, keine Wasserleitungen, kein Strom, 3 kleine Buben, ein Ehemann, häuslicher Unterricht, den Haushalt managen, Felder bewirtschaften….und trotzdem nicht verzweifeln und humorvoll bleiben – das Leben von Molly Clark (1920 – 2012), 330 km entfernt von Alice Springs, 1955. “Ist es das harte Leben, aus dem die Stärke und das Durchhaltevermögen dieser Frauen zwangsweise resultieren?”, frage ich mich. Eines lässt sich mit Gewissheit sagen: Molly Clark weiß aus eigener Erfahrung, was die Frauen in diesem Land leisten. Kein Wunder, dass sie bei der Eröffnung der “Stockman’s Hall of Fame” (1988) über die Pioniere(!) des australischen Outbacks enttäuscht und verärgert feststellt: “And where are the women?”
“Um ermessen zu können, was es heißt, keine Geschichte zu haben, lasst uns annehmen, wir wüssten nichts von der Geschichte des Mannes.”
Mary Ritter Beard (1876-1985) amerikan. Anwältin und Historikerin
Clarks logischer nächster Schritt besteht darin, alles daranzusetzen ein Frauenmuseum in Alice Springs auf die Beine zu stellen. 1994 ist es soweit: die NPWHF (=National Pioneer Women’s Hall of Fame) kann im Gerichtsgebäude der Stadt eröffnet werden. 2007 erfolgt der Umzug ins Old Gaol (= ins Alte Gefängnis). 2019 ändert sich der Name, um den nunmehr breit gefächerten Inhalten des Museums gerecht zu werden. Neben die Geschichten aus vergangenen Zeiten treten zeitgenössische Themen, z.B. über den Wert der Arbeit von Frauen, über Einwanderungspolitik und ihre Auswirkungen, über Geschlechteridentität.
Mit ihrer Lebensgeschichte repräsentiert Molly Clark ein beeindruckendes Beispiel im Ausstellungsbereich “Ordinary Women – Extraordinary Lives”. Als australische Besonderheit sei noch die 1. Frau beim Flying Doctor Service, Dr. Jean White (1937) erwähnt. Selbst aus einer Zeit kommend, in der das Autostoppen sowie das Sich-die-Welt-Erobern mit dem Tramper Rucksack unter jungen Leuten weit verbreitet war, lässt die Geschichte von Marie Single aufhorchen. Als Frau mit dem Abenteuergen trampt sie 1947 durch den australischen Kontinent und handelt sich damit eine Gefängnisdrohung ein. Ihr Verbrechen liegt in ihrer “unweiblichen” Art des Reisens, dem Trampen als Frau – alleine. In den kurzen Texten über die australischen Vorreiterinnen in Architektur, Filmindustrie, Medizin, Sport… findet die Besucher*in so manches interessante Detail.
Als australisches Spezifikum klingt ein, als “fleischsicheres Kinderbett” (Meat-safe cot) bezeichnetes Objekt aufs Erste kurios. Es steht im Ausstellungsteil “Women at the Heart” (1870 – 1940), in dem das Leben der Pionierfrauen präsentiert wird. Um Fleisch vor Insekten, Schlangen und anderem Getier sicherzustellen, bewahrt man es zu Zeiten, in denen es noch keine Kühlschränke gibt, in Schränken mit Fliegengittern auf. Diese Art des Schutzes nutzt man auch für Kleinkinder. Dazu lese ich Gruseliges: “Ich hörte Geschichten von Müttern, die Schlangen mit Besen von der Oberseite des Netzes fegen, und andere, die diese Art von Kinderbett immer noch verwenden, um die Familienkatze davon abzuhalten, den Säugling zu ersticken.”
Bemerkenswert ist der äußerst achtsame Umgang mit den Lebensgeschichten der Aboriginal-Frauen. Aus Respekt vor ihnen benutzt das Frauenmuseum ihre Geschichten niemals ohne ihre Zustimmung. Das geht soweit, dass es von Dr. Patricia Miller derzeit nur ein gemaltes Porträt gibt, aber keinen Text dazu. Von Drummond erfahren wir: “Sie ist derzeit sehr krank und nicht in der Lage, ihr Einverständnis zu geben. Als Angehörige der Indigenous people durfte sie nicht Lehrerin werden. So unterrichtete sie ihre Cousinen und Cousins und die Kinder der Community. Als diese bei den schulischen Test hervorragend abschnitten, wollten das viele nicht wahrhaben. Was nicht sein darf, kann nicht sein! Den Aboriginal people wurde nämlich lange die Intelligenz abgesprochen”. Bleibt zu wünschen, dass es Patricia Millers interessante Lebensgeschichte bald in Textform zum Bild gibt.
Als großes Plus empfinde ich, dass das Frauenmuseum nicht nur in der Vergangenheit beheimatet ist, sondern auch aktuelle Entwicklungen aufgreift, sowie Beziehungen zwischen Frauen unterschiedlicher kultureller und sprachlicher Herkunft und den Einheimischen fördert. “Wo kommst du her? Wo fühlst du dich zugehörig? Was würdest du mitnehmen, wenn du die Heimat verlassen würdest?”.
Diese sehr persönlichen Fragen richten sich gleich am Anfang an die Besucher*innen der Ausstellung “New Voices – New Relationships”.
Über Gesetzestexte und Aussagen von Politiker*innen lässt sich nachvollziehen, wie sich die Einwanderungspolitik Australiens und die politischen Haltungen dazu über die Jahrzehnte hinweg (1901 – 2016) ändern.
Ihnen gegenübergestellt sind, auf handgeschriebenen Zetteln, die Erfahrungen der Immigrantinnen. Sie entstanden beim gemeinsamen Brotbacken, Essen und Teilen ihrer Lebensgeschichten. Mit den Fotos zu dieser gemeinsamen Aktion gelingt es, ein Kapitel australischer Geschichte für die Besucher*in auf mitfühlende Weise erlebbar zu gestalten.
“If bread – the staff of life – feeds the body;
stories nourish our soul.”Alex Morrit, Impromptu Scribe
“Amacing Alice” – verkünden die Prospekte über Alice Springs, die Stadt im Herzen des roten Kontinents, und zählen auf: Royal Flying Doctor Service – School of the Air – Reptile Center – National Road Transport Hall of Fame. Auch das Frauenmuseum – Women’s Museum of Australia and Old Gaol – fehlt nicht in der Aufzählung der Sehenswürdigkeiten. Zu Recht, stellen wir fest und ergänzen, in Anlehnung an den Tourismusfolder: Amacing Women of Alice Springs.
(*1) korrekte, respektvolle Bezeichnungen für die Ureinwohner*innen Australiens: Indigenous people, Aboriginal people, First Nation (mit jeweils großem Anfangsbuchstaben)
Fotos und Bericht geschrieben von:
Marianne Wimmer, Frauenmuseum Sammlerin