Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
Frauenmuseum | Museo delle donne

“Und einmal mehr klopfte der Tod an unsere Tür…”

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Von Bogota fliegen wir in den Norden Kolumbiens, in eine Stadt, deren Namen auszusprechen einer Zungenbrecherübung gleichkommt: Barrancabermeja.

Abhilfe schafft die ortsübliche Abkürzung für die knapp 200 000 Einwohner*innen zählende Stadt: Barranca. Aus der Vogelperspektive blicke ich auf dichtes Grün, das die weiten Ebenen bedeckt und durch die ein dschungelartiger Fluss mäandert, der Rio Magdalena. Heiß und feucht spürt es sich an beim Blick nach unten. Der Miniflughafen lässt heimatliche Gefühle aufkommen, erinnert an Hörsching, den Flughafen unserer Heimatstadt Linz, übertrifft ihn sogar: noch heimeliger und überschaubarer. Wen man hier nicht trifft: Tourist*innen. Wen ich hier nur sehr schwer verstehe: die Einheimischen- so “maulfaul” und verwaschen dringen ihre Worte an mein Ohr. Es dauert ein paar Nachdenksekunden, bis ich den Rezeptionisten im Hotel verstehe. Sichtlich erstaunt will er wissen, was wir hier in Barranca vorhaben. Kein Wunder. Die Bezeichnung “Öl-Hauptstadt” des Landes lässt darauf schließen, dass Ölraffinerien die Hauptattraktion sein könnten, womit man nicht ganz falsch liegt. Bei dem gelblichen Wasser, das aus der Leitung kommt, denken wir jedenfalls wieder an die Ölindustrie und verwenden es nicht einmal zum Zähneputzen.

Zeitgeschichtlich betrachtet sind paramilitärischen Aktivitäten in Kolumbien seit den 1960er-Jahren bekannt. Anfangs bedienten sie die Interessen der GroßgrundbesitzerInnen. Ab den 1980ern bauten sie lukrative Verbindungen zum Drogenhandel auf. Ab den 1990er-Jahren schafften es die Paramilitärs, in einigen Gebieten Kolumbiens den Staat als Ordnungshüter abzulösen. Durch Terror und Schutzgelderpressungen übernahmen sie die Kontrolle über das gesellschaftliche Leben. So erlebte die Bevölkerung der Region Magdalena Medio zwischen 1995 und 2006 ihre schlimmsten Zeiten, in denen die Paramilitärs die Gegend beherrschten und mit aller Brutalität gegen jene vorgingen, die sich nicht an die von ihnen vorgegebenen Regeln hielten. Menschen verschwanden, wurden verschleppt, ihre Leichen oft als verunstaltete Körper gefunden.

Das Frauenmuseum in Barrancabermeja geht darauf ein. Es zeigt das Leben und Leiden der Frauen, aber auch deren vehementen Widerstand dagegen, der ob der massiven Gewalt gegen sie beeindruckt. Gemeinsame Gegenwehr, Solidarität und Unterstützung der Frauen füreinander repräsentieren die andere Seite der Medaille, die hoffnungsvolle. Sie eröffnet der Zukunft eine friedvolle Chance. Ohne Gewalt und Waffen wollen die Frauen durch zivilen Widerstand zu Frieden und Autonomie gelangen. So gelingt es dem Frauenmuseum, die Besucher*in – trotz der deftigen Inhalte – mit einem Hoffnungsschimmer, halbwegs positiv gestimmt, zu entlassen.

Abbildung 1: Frauenmuseum in Barrancabermeja - Haus der Erinnerung und der Menschenrechte der Frauen
Abbildung 1: Frauenmuseum in Barrancabermeja – Haus der Erinnerung und der Menschenrechte der Frauen

Casa de la Memoría y de los Derechos Humanos de las Mujeres
Carrera 22 # 52 B – 36
Barrancabermeja
KOLUMBIEN

Um die Besucher*innen auf das Eintauchen in diesen Kosmos von Leid und Gewalt vorzubereiten, wird an der Kassa ein altbewährtes Hausmittel der Region angeboten: „Darf ich Ihnen mit diesem Roll-on über ihren Handrücken fahren? Er enthält das Pflanzenextrakt Zitronella, das hilft, ruhig und achtsam zu werden, in sich zu gehen, den Geist zu öffnen. Auch heutzutage noch wird Zitronella in den Familien verwendet, um innerlich zur Ruhe zu kommen.” Eine olfaktorische Triggerwarnung, sozusagen. Und es gibt vieles im Frauenmuseum, das irritieren und verstören kann.

Dank Lorena, die sehr deutliches, verständliches Spanisch spricht, gewinnen wir auf angenehme Weise einen Einblick in die wesentlichen geschichtlichen Daten und Fakten der Region. Bereits die Überschrift lässt erkennen, worum es geht: Magdalena Medio: Region des Überlebens, des Widerstands und der Konfrontation. Lorena versteht es, die Infos der Schautafeln mit ihren dicht gedrängten Texten, Fotos und statistischen Darstellungen kurz und bündig aufzuschlüsseln.

“No los enterramos, los sembranos”

Mit diesem tröstlichen Gedanken („Wir begraben sie nicht, wir säen sie“ – im Sinne von: wir verbreiten ihre Gedanken, ihr Lebenswerk) leitet das Frauenmuseum in den zweiten Ausstellungsteil mit dem Titel: Opfer und Widerstand über. Auf einfühlsame Weise können wir uns den Lebensgeschichten und Schicksalen von Frauen nähern. An der Wand symbolisiert ein Lebensbaum die getöteten Frauen, was auf den ersten Blick verwundern mag. Als Blätter und Früchte trägt er Täfelchen mit den Lebensdaten von Frauen: Frauen, die Opfer wurden, weil sie ihre Menschenrechte einforderten; Frauen, die Opfer wurden, weil sie sich politisch in ihrer und für ihre Kommune einsetzten; Frauen, die aufgrund ihres Geschlechts Opfer wurden – einfach, weil sie Frauen waren. Mit dem Lebensbaum wird jedes einzelne dieser Frauenleben geehrt. Ihre Körper, in der Erde begraben, bilden symbolisch den Samen für die nächste Generation widerständiger Frauen und bestärken jene, die nach ihnen kommen. Auf einer Sockelleiste unter dem Lebensbaum stehen Kerzen bereit. Im Namen aller Frauen oder im Gedenken an eine spezielle Frau, kann die Besucher*in ein Licht entzünden. Ein würdiges Gedenken an jene, die ihr Leben für die  Freiheit gaben.

Abbildung 2: Lebensbaum

Gleich an der angrenzenden Wand hängt ein Sinnbild für Schutz und Wärme: eine Patchworkdecke aus T-Shirts, deren Aufdrucke sozial und politisch aktive Gruppen der Region, Sinnsprüche oder die Porträts von Paramilitärs getöteten Frauen zeigen. Sie entstand im gemeinsamen Gedenken an die Opfer der Kommunen.

Noch intensiver wird es einen Schritt weiter: „Ich bin alle und keine: Maria, Claudia, Andrea, Trinidad, Josefa, Carolina,…..“. Obwohl ich nicht alles wortwörtlich verstehe, reicht es, das Leid und den Schmerz der Betroffenen zu erfassen.

Über Kopfhörer lausche ich den schwer verdaulichen Erlebnissen einiger Opfer von Gewalt, in der Ich-Form erzählt. Das geht nahe und macht betroffen. Yamile, gest. 2006, spricht über ihre Begegnung mit den Paramilitärs: „Ich bin 26 Jahre alt und Mutter einer achtjährigen Tochter. Ich kämpfe für die Rechte der Frauen…. und ein weiteres Mal klopft der Tod an unsere Tür. Es sind drei ewig lange Tage für mich, in denen ich gefangen bin………….Meine Würde kommt aus jeder, die sich an mich erinnert……….“. Zusätzlich untermauern Zahlen das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen, sowohl politischer als auch sogenannter „häuslicher“. Jedes Mal stolpere ich wieder über diesen Begriff, der Hassverbrechen gegen Frauen wie liebevolle Zuwendung erscheinen lässt. Zwischen Jänner 1985 und Juli 2019 wurden insgesamt 13 667 Frauen ermordet und 3 276 verschwanden im Rahmen des bewaffneten Kampfes der Region Magdalena Medio, das sind 47% aller Taten. Neben den politisch motivierten Morden sind Frauen zusätzlich von Femiziden betroffen, die vorrangig von Partnern bzw. Ex-Partnern ausgeführt werden, 74 % davon mit Folterspuren.

Abbildung 3:Installation: Casas de las mujeres / Frauenhäuser
Abbildung 3:Installation: Casas de las mujeres / Frauenhäuser

Geschlossene Türen und Fensterläden entlang einer Museumswand lassen auf eine Häuserzeile schließen. Automatisch wecken sie meine Neugier. Was versteckt sich dahinter? Welches Geheimnis bergen sie? Eine Nähmaschine, ein leerer Weidenkorb, ein großer Topf, Pfeiferl, Glöckchen, Steine, gelbe Blüten,… – Alltagsgegenstände kommen zum Vorschein. Beim Lesen der kurzen, prägnanten Begleittexte erschließt sich ihre hohe Symbolkraft. Das Besondere an ihnen ist, dass diese Gegenstände tatsächlich bei Kampagnen der Frauen im Kampf um ihre Rechte oder bei Protestaktionen gegen Gewalt an Frauen eingesetzt wurden und werden. Sicht- und hörbare Zeichen des Widerstands – Objekte, die Frauengeschichte erzählen. So läuteten Frauen an einem 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, um 12 Uhr Mittag ihre Glocken und Glöckchen 20 Minuten lang -als Warnruf gegen Gewalt. In späteren Aktionen ertönten sie als Sinnbild des Lebens. Neben den handfesten Symbolen, wie Steinen, Pfeiferln, Töpfen und leeren Weidenkörben, verweisen spirituelle Zeichen über das Alltägliche hinaus. „Blumen versinnbildlichen das Bedürfnis zu leben, zu atmen, zu fühlen. Während andere eine Waffe brauchen, um sich stark zu fühlen, reichte uns eine Blume, um einander zu erkennen, um uns vereint zu fühlen und in der Lage zu sein, diese Tragödie zu überleben“, beschreibt in einfühlsamer Weise ein Text die Symbolkraft gelber Blumen. Sie wurden in mehreren Aktionen als Zeichen für die kollektive Widerstandskraft und die menschliche Sensibilität eingesetzt, aber auch dafür, den Mut und den Kampf für Würde und Gerechtigkeit aufrechtzuerhalten.

Diese an Häuser erinnernde Installation verweist auf die „casas de las mujeres“, auf Frauenhäuser, die Betroffenen im Falle von Gewalterfahrungen eine Zufluchtsstätte bieten. Sie können sich hier austauschen, arbeiten, sich eine Auszeit nehmen, um die schwierige Situation klarzukriegen, neue Perspektiven für ihr Leben erarbeiten. Im Unterschied zu unserem Begriff von Frauenhaus können sie dort allerdings nicht leben. Die „casas de las mujeres“ gehören zum dritten Ausstellungsteil des Museums, in dem die Arbeit der Organización Femenina Popular/ OFP (Volksorganisation von Frauen) im Mittelpunkt steht. 1972 gegründet, setzt sich diese soziale Bewegung von Frauen gegen den Krieg und für den Frieden in der Region ein. Sie fördert bezahlte Frauenarbeit, unterstützt Frauen im Auftreten gegen Gewalt, in ihrem Bestreben nach ökonomischer Unabhängigkeit, bietet Hinterbliebenen Ermordeter die Möglichkeit zum Austausch und zum Aufarbeiten ihrer schrecklichen Erfahrungen. Eines ist für sie klar: Als Betroffene lehnen sie für ihren Widerstand jegliche Gewalt ab, denn davon haben sie bereits genug erlebt. Deutlich wird ihre Haltung in den Zeilen des gemeinsamen Liedes der Organisation:

Las mujeres ni parimos ni forjamos hijos e hijas para la guerra.”

(„Weder gebären Frauen, noch formen/schmieden sie Söhne und Töchter für den Krieg.“)

Besonders durch die Aufbereitung der Inhalte über individuelle Lebensgeschichten und den gemeinsamen Kampf in den Kommunen versteht es das Frauenmuseum, Geschichte auf das Menschliche herunterzubrechen. So gelingt eine intensive, eindringliche Auseinandersetzung mit Geschichte, die nachdenklich und betroffen macht. Neben den frauenspezifischen Themen greift das Museum auch aktuelle politische Belange der Region auf, die das Leben der Menschen unmittelbar betreffen. Wasser gegen Öl? Ein kritischer Film beleuchtet die Umweltprobleme und -zerstörungen der Ölindustrie, die aus dem Fracking erwachsen.

Auf Empfehlung Lorenas schauen wir auf dem Nachhauseweg beim Parque & Monumento Camillo Torre vorbei. Bei einem Bombenanschlag auf dieses Menschenrechtsdenkmal wurde der Kopf des Dargestellten, des Befreiungstheologen und Sozialrevolutionärs Camillo Torre, weggerissen. Wiederhergestellt, jedoch etwas verwahrlost und unbeachtet, steht das Memorial auf einem ungepflegten Platz. Ist es unbeabsichtigt ein Symbol für den Zustand der Menschenrechte in diesem Land?

So richtig anfreunden können wir uns mit Barranca nicht mehr. In der Nähe unseres Hotels liegen einige einladende Lokale, in denen wir gemütlich sitzen könnten. Ein Verweilen ohne Gehörschutz ist unmöglich, denn die Lautstärkeregler sind bis zum Anschlag hochgefahren. Musikgenuss ade – trotz mitreißender karibischer Klänge. Das Highlight Barrancas ist und bleibt das beeindruckende Frauenmuseum.

 

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