“Was? In Dubai?” – Ein Frauenmuseum in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) ist eine Vorstellung, die für viele meiner Bekannten unglaublich klingt. Ehrlich gesagt: Auch ich staune, auf der Liste der IAWM (=International Association of Women’s Museums) eines in dieser Weltgegend zu finden. Kräftig befeuert wird meine Skepsis beim Durchsehen der Website des Museums. Dieser Mann, der auf vielen Fotos im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen scheint: Ist das nicht der derzeitige Herrscher Dubais und – in Personalunion – Vizepräsident und Premierminister der VAE? Bekannt ist er mir für seine Frauen-und Menschenrechtsverletzungen: HH (His Highness) Sheik Mohammed Bin Rashid Al Maktoum? Ich bin baff und gespannt, womit das Frauenmuseum aufwarten wird.
Als wir im Herzen Dubais, wie viele den alten, ursprünglichen Stadtteil Deira nennen, dem Taxi entsteigen und in die verwinkelten Gassen der Souks eintauchen, dauert es nicht lange, bis wir unsere Orientierung verlieren – selbst Mr. Google ist verwirrt. Zum Ausgleich treffen wir auf äußerst freundliche und hilfsbereite Menschen. Nach beinahe einer Stunde des Herumirrens und Durchfragens begleitet uns das letzte Stück in diesem Gassengewirr ein Stoffhändler aus Bangladesh, der seit 10 Jahren hier lebt um Geld zu verdienen. Er zählt zu den Tausenden ausländischen Arbeitskräften, die die Emirate am Laufen halten und ca. 80% der Einwohner*innen stellen. Dank seiner Hilfe stehen wir endlich vor dem “Bait Al Banat”, dem “House of Girls”, in dem das Frauenmuseum untergebracht ist:
Women’s Museum
Bait al Banat
Gold Souk Market
DEIRA, DUBAI
UAE (United Arab Emirates)
Geschuldet ist der Name “Haus der Mädchen” dem Umstand, dass in seinen Gemäuern einst drei unverheiratete Frauen wohnten. Die Herabstufung und -würdigung erwachsener Frauen aufgrund ihres Familienstandes, kennen wir auch in unseren Breiten, z. B. als “Fräulein”: ledig = unvollkommen. Lehrerinnen waren zum Zölibat verpflichtet und ihre korrekte Anrede folglich “Fräulein”. Kellnerinnen wurden mit “Fräulein” herbeigerufen. Es dauerte bis fast ins 21. Jhd., bis diese, den Wert mindernde Form für die weibliche Spezies Mensch aus dem alltäglichen Sprachschatz verschwand. Daneben finden wir noch den weiblichen Prototyp des “guten Mädchens”, als dienende Wesen wie Dienst-, Stuben- und Zimmermädchen. Und nicht zu vergessen: die “leichten Mädchen”.
Doch zurück zum “Haus der Mädchen”, das von seiner Gründerin, Prof. Rafia Obaid Ghubash, in das erste und einzige Frauenmuseum der arabischen Welt der Golfregion verwandelt wurde: ein sandfarbenes Haus mit einem alten, holzgeschnitzten Türrahmen, flankiert von einer modernen Skulptur – eine wunderschöne Kombination aus Alt und Modern. Gleich neben der Eingangstür besteht die Möglichkeit, in einem großen Glasfenster, einer Auslage gleich, auch außerhalb der Öffnungszeiten zumindest die Geschichte des Museums zu erfahren. Ich trete näher. Sind das nicht die Fotos der Einweihungsfeier aus dem Internet, dominiert von Männern und dem derzeit regierenden Sprössling der Herrscherfamilie? Er taucht auf den Bildern nicht nur mit der Museumsgründerin auf. Auch eine Plakette gleich nebenan an der Hauswand erzählt vom tiefsten Dank an ihn für die freundliche Einweihung des Frauenmuseums. Für meinen Geschmack etwas zu viel ehrwürdige Männlichkeit an der Außenseite eines Gebäudes, das den Frauen gewidmet ist und deren Geschichte zeigen soll.
Gerade dabei, in die Ausstellungsinhalte einzutauchen, fällt unser Blick auf ein traditionell gekleidetes Paar: die Frau in eine schwarze Abaja gehüllt, mit Hijab auf dem Kopf, der Mann an ihrer Seite in weißem Langhemd, der Kandura und der Ghutra, dem weißen Kopftuch mit schwarzem Band. Sie werden von einer Frau durchs Museum geführt, der Museumsgründerin, wie sich später herausstellt. Nach einigen Minuten gelangen sie bei meiner Freundin und mir an und Ghubash wendet sich unvermittelt in Englisch an uns: “Herzlich willkommen im Frauenmuseum”, und schon beginnt sie über Frauen in Politik, Bildung und Wirtschaft zu sprechen, “….und weil Sie aus dem Westen kommen…” – mit einer Handbewegung verweist sie auf ein Dokument in einer Vitrine nebenan, “…hier können Sie lesen, dass Frauen in Dubai Besitztümer hatten und erben konnten, zu Zeiten, in denen dies den Frauen Großbritanniens noch verwehrt war.” (Im 18./19. Jhd., wenn ich mich richtig erinnere). Etwas konsterniert und vor den Kopf gestoßen, jagen Gedanken durch meinen Kopf: Was will sie uns damit sagen bzw. beweisen? Gerade noch glaubte ich, dass wir freundlicherweise in die Führung eingebunden werden und dass sie uns mitnimmt auf ihrem Weg durchs Museum. Jetzt spüre ich so etwas wie einen Affront gegen uns. Hörte ich gerade eine spitze Bemerkung gegen uns Westlerinnen mit unseren Vorurteilen gegen die arabische Welt bzw. deren Frauen? Von welcher Seite kam das Ressentiment gerade eben? Doch es ist nicht die Zeit für Diskussionen. Es wäre nicht nur schwer, den Redefluss ihrerseits zu unterbrechen, es fühlte sich auch unhöflich an. In dem Moment wird das kurze Gastspiel ohnehin unterbrochen, denn der Mann beginnt, sich mit seinem Handy zu beschäftigen. Ein Zeichen für Ghubash, ihre Führung mit den beiden auf Arabisch fortzusetzen. Etwas ratlos und irritiert bleiben wir zurück.
Ich befasse mich nun eingehender mit den Ausstellungstexten zum soeben Gehörten. Besonders hervorgehoben und ausführlich dargestellt werden die Sheikas, die Ehefrauen der Herrscherdynastie. Wie sind sie in die Politik involviert? Sie kümmern sich um die Armen und Hilfsbedürftigen, setzen sich für humanitäre Projekte ein, unterstützen das intellektuelle Leben Dubais. Sie beeinflussen das politische Leben, indem sie durch ihre “Weisheit, moralische Integrität und Charakterstärke” im Hintergrund wirken; und – das Wichtigste, wie mir scheint: Als “hingebungsvolle Mütter stärken sie in ihren Kindern Führungsqualitäten, damit diese besser herrschen und führen können” – bei Herrschen durch Vererbung sehr wichtig.
Abgesehen vom Loblied auf die Sheikas, zeigt das Frauenmuseum auch interessante Aspekte und Entwicklungen bzgl. Frauen auf dem Gebiet der Ökonomie:
Medizin, Ingenieur-, Bank- und Finanzwesen, Medien, Militär, Informationstechnologien – Fotos von Pionierinnen zeugen davon, dass Frauen heutzutage in allen Bereichen arbeiten, auch in traditionell den Männern vorbehaltenen. Der Zusatz, dass sie die Mutterschaft mit ihrer Karriere auf bewundernswerte Weise meistern und dabei gleichzeitig “stolz ihre Weiblichkeit und eine tiefe Loyalität zu ihrer Nation aufrechterhalten”, lässt mich schlucken. Er zeigt für mich die Grenzen auf, innerhalb derer die Höhenflüge dieser Powerfrauen erlaubt sind. Solange sie brav ihren traditionellen Aufgaben nachkommen, dürfen sie daneben alles machen, was sie schaffen können bzw. wofür sie begabt sind.
Erfreulich finde ich, dass unter dem Titel: Frauen im Schatten, jene Frauen zumindest Erwähnung finden, die zur erweiterten Familie gehören und den Haushalt und die Kindererziehung für andere leisten.
Bedenke ich, dass sich vor den 1950er-Jahren der Unterricht auf den Koran, islamische Prinzipien und die arabische Sprache beschränkt und den Frauen höhere Bildung erst in den 1970er-Jahren in großem Umfang zugänglich wird, ist es bewundernswert, wie schnell sie aufholen und sich die unterschiedlichen Wirtschaftsbereiche erobern. Mit den sozialen Beschränkungen gehen sie äußerst kreativ um. Viele von ihnen gründen Unternehmen und betreiben ihre Geschäfte über Telefon von zuhause aus. Viele Frauen besitzen Taxiunternehmen, in fast jeder Familie hat eine Frau eine Lizenz zum Handeln, lese ich interessiert. Vielleicht liegt ein Teil des Schlüssels zu diesem Erfolg darin, dass sie sich häufig zu Gruppen zusammenschließen, um ihre Fähigkeiten zu entwickeln und gemeinsam etwas weiterzubringen. Immer wieder wird auf diesen Gemeinschaftsaspekt hingewiesen.
“Burqas” – Eine ästhetisch ansprechende, künstlerische Arbeit mit Gesichtsmasken aus schwarzem Stoff mit verschieden weit ausgeschnittenen Augenschlitzen zieht meinen Blick auf sich. Der Begleittext erzählt, dass sich die Burqas (hier: Gesichtsmasken; nicht unser Begriff von “Burka”) je nach Stadt bzw. Region unterscheiden. Für verschiedene Altersgruppen werden unterschiedliche Modelle designed. Aus Baumwolle, Silber oder Gold gearbeitet, verweisen die Bänder zum Festbinden der Gesichtsmaske auf den sozialen Status ihrer Trägerin. Als ich gerade fotografieren möchte, mahnt eine Stimme hinter mir: “Fotografieren ist nicht erlaubt”. Es ist die Frau von der Kassa. Ich drücke mein Bedauern aus und betone, dass die Bilder für mich zur Erinnerung wichtig sind. Wir einigen uns darauf, dass ich fotografieren darf, wenn ich die Fotos nur für mich privat verwende. Eigenartig. Noch in keinem Frauenmuseum war das bisher ein Problem.
Der Geist der 3 K’s – Kinder, Küche, Kirche als Dreigestirn des Patriarchats – schwebt über dem Raum im Mezzanin, in dem unter dem Titel “Sheik Zayed & Empowering Women” ein ganzer Raum dem Gründer und späteren Präsidenten der VAE (1971 – 2004) und Herrscher von Abu Dhabi (1966 – 2004) gewidmet ist. Er wird als Advokat der Frauenrechte und Unterstützer der Ermächtigung der Frauen der Emirate auf allen Gebieten präsentiert. Was er den Frauen zu sagen hat, möchte ich für einen schlechten Scherz halten. Goutieren Sie selbst: “Arbeitende Frauen verdienen unsere Beachtung, aber erste Priorität… ihr Heim….ihr erstes Königreich; Mutter und Ehefrau …..vor allem anderen im Leben; Islam…..Frauen aus der Dunkelheit der Ignoranz, Demütigung und Sklaverei geführt…” – Ein Frauenversteher auf arabische Art, denke ich sarkastisch.
“Die Mutterschaft ist schließlich immer noch die geschickteste Art,
Frauen zu Sklaven zu machen (….) Solange es als Hauptaufgabe der Frau gilt,
Kinder zu bekommen, wird sie sich eben kaum um Politik oder Technologie kümmern,
und: sie wird den Männern nicht ihre Überlegenheit streitig machen.”
Simone de Beauvoir,
französ. Philosophin und Schriftstellerin, 1982
Und was soll ich von diesem Satz in Bezug auf Sheik Zayed halten? In meinen Ohren klingt er unterwürfig: “The inauguration of this museum could not happen without his presence through this exhibition”. (Die Einweihung dieses Museums könnte ohne seine Anwesenheit durch diese Ausstellung nicht stattfinden.)
Dabei hätte es in diesem Halbstock noch einen weiteren Raum mit Werken von Künstlerinnen aus den Emiraten gegeben. Es hätte sich mit Sicherheit mehr gelohnt, ihnen meine Aufmerksamkeit zu schenken.
Wer arabische Schriftzeichen liebt, ist hier genau richtig. Wellenförmig geschwungene Wände, verziert mit den Versen der berühmtesten Dichterin des Landes – ein wahrlich ästhetischer Anblick. Ein ganzer Raum würdigt und ehrt Ousha Bint Khalifa Al Suwaidi (1920 – 2018). Ihre Großmutter bestärkte sie darin, ihre Meinung zu sagen. Bekannt und beliebt ist sie nicht nur wegen ihrer Poesie über Natur und Landschaft, sondern speziell wegen ihrer Liebesgedichte. In ihnen wagte sie es, ihre wahren Gefühle auszudrücken, zu Zeiten, in denen das für Frauen verpönt war. Schade, dass ich kein Arabisch kann. “The Girl of the Arabs'” – wird sie von HH Sheik Mohammed genannt. Selbst als Poet bekannt, dessen Verse die Außenhaut des Museums der Zukunft schmücken, tut er sich anscheinend schwer mit weiblicher Konkurrenz. Kann er eine der außergewöhnlichsten Frauen der Emirate, als die sie im Text bezeichnet wird, nicht ohne Verkleinerung und Schmälerung stehen lassen?
Überhaupt nervt mich das Getue um die Herrscherdynastie im Frauenmuseum. Im Geiste lasse ich Revue passieren: HH auf den Fotos der Einweihungsfeier, der Dank an ihn dafür auf der Plakette neben dem Eingang, seine Präsenz auf der Homepage des Museums. Niemand erinnert hier an die Geschichte seiner Tochter Latifa, die 2018 durch die Medien ging. Über sie lese ich in Wikipedia Folgendes: Sie versuchte zu fliehen und soll gewaltsam wieder zurückgebracht worden sein. Seine offizielle 2. Frau floh 2019 mit den beiden Kindern nach Großbritannien. His Highness wurde 2020 in Abwesenheit vom Londoner High Court wegen Einschüchterung, Entführung und Folter verurteilt. Läge es da nicht nahe, gerade in einem Frauenmuseum eine Auge auf die Frauen-und Menschenrechte im Lande zu werfen? Kann man das verlangen? Vergessen wir nicht: Dubai ist keine Demokratie. Ein kritischer Kommentar kann eine Person in große Schwierigkeiten bringen. Wahrscheinlich ist es nicht möglich, ohne das Hochhalten der “großartigen, weisen” Herrscher ein Frauenmuseum zu führen.
Nichtsdestotrotz bietet das Bait Al Banat einen interessanten Einblick in eine für mich ziemlich unbekannte Welt, auch wenn mich die konservative Art der Präsentation mit dem bewahrenden Fokus der Rolle der Frau innerhalb der traditionellen Strukturen nicht begeistert. Manchmal frage ich mich, ob sich autoritäre Staaten mit einem Frauenmuseum schmücken, um sich zu legitimieren, zu zeigen, dass die weibliche Bevölkerung ohnehin ein gutes Leben führen kann. China und Kasachstan fallen mir ein, in denen ebenso der jeweilige Herrscher seine “schützende” Hand über die Frauenmuseen hält.
Wenn ich schon als Westlerin auf meine Vorurteile hingewiesen werde, wünschte ich mir Ausstellungsbereiche, in denen darüber debattiert wird, beispielsweise über islamische Kleidervorschriften. In einem ausgestellten Zeitungsartikel heißt es, dass Ghubash mit dem Museum u.a. das verzerrte Bild zurechtrücken und die Vorurteile entkräften will, die die westliche Welt den arabischen Frauen entgegenbringt. Da jegliches kritische Durchleuchten gegenwärtiger gesellschaftlicher Strukturen fehlt, bezweifle ich, dass das Ansinnen der Museumsgründerin erfolgreich sein kann. Mit seinem Fokus auf die traditionelle Kultur geht es in meinen Augen um eines: um das Bewahren und Erhalten der derzeitigen Zustände.
Geschrieben von:
Marianne Wimmer,
Frauenmuseensammlerin