Eine kurze Geschichte zu der Entstehung der “Weraheime” in Stuttgart.
Wera ist mit ihren Geschwistern am Zarenhof aufgewachsen und stammt aus einer Familie des russischen Adels. Sie ist hyperaktiv, verhaltensgestört und wurde durch einen Attentatsversuch auf ihren Vater, den russischen Statthalter im aufständischen Polen, traumatisiert. Ihre Eltern, Großfürst Konstantin und Alexandra, Herzogin von Sachsen-Altenburg, können nicht mehr mit ihr fertig werden und wollen sie unter ärztlicher Aufsicht bringen.
Stattdessen nehmen sich das kinderlose württembergische Thronfolgerpaar, die Kronprinzessin Olga und ihr Ehemann, des schwierigen Mädchens an. Am 2. Dezember 1863 kommt die neunjährige Wera in Stuttgart an. Sie glaubt, man wolle sie für immer von ihrer Familie trennen, und wehrt sich gegen die neuen “Eltern”. Doch Olga gewinnt nach und nach ihr Vertrauen, obwohl es anfangs schwierig ist. 1871 wird Wera von Olga adoptiert und ist nun eine Königstochter. Im Laufe der Zeit entwickelt sich das einst “enfant terrible” zu einer vorzeigbaren Prinzessin, die sich standesgemäß verheiratet.
Die Ehe von Wera Romanowa mit Herzog Eugen von Württemberg im Jahr 1874 setzt die Tradition dynastischer Verbindungen zwischen den Häusern Romanow und Württemberg fort. Obwohl es eine politische Partie ist, entwickelt sich ihre Ehe glücklich. Sie bekommen einen Sohn, der jedoch nach wenigen Monaten stirbt, und später Zwillingstöchter namens Elsa und Olga.
Nachdem Herzog Eugen im Januar 1877 plötzlich stirbt, bleiben Wera und ihre Töchter allein. Wera entscheidet sich, nicht wieder zu heiraten, und findet im Witwenstand eine gewisse Unabhängigkeit. Sie wird zu einer deutschen Patriotin und lehnt eine Rückkehr nach Russland ab. Sie widmet sich der Literatur und der Wohltätigkeitsarbeit und schreibt patriotische Gedichte sowie das Libretto für eine Oper.
Wera reist gerne, aber ihre neue Heimat in Württemberg bedeutet ihr viel. Sie schätzt die Kultur und die menschlichen Bindungen, die sie dort gefunden hat. Sie ist freundlich und zugänglich und hat keine Vorurteile gegenüber Menschen aus anderen sozialen Schichten.
Obwohl sie zunächst russisch-orthodox bleibt, konvertiert Wera offiziell 1909 zum evangelisch-lutherischen Glauben. Sie engagiert sich in der Wohltätigkeitsarbeit und setzt sich für soziale Fürsorge und Bildungswesen ein, inspiriert von ihrer Familie und ihrer Adoptivmutter, Königin Olga von Württemberg.
Wera stirbt 1912 an einem Nierenleiden, und sie wird als eine bedeutende Wohltäterin und eine starke, unabhängige Frau in Erinnerung behalten.
Wera Romanowa war besonders besorgt um ledige Mütter, die damals als “gefallene Mädchen” stigmatisiert waren. Als auf dem Stuttgarter Bahnhof ein toter Säugling gefunden wurde, wurde Wera aktiv. Sie verkaufte stillschweigend ihren Schmuck und gründete 1908 die Stiftung “Zufluchtsstätten in Württemberg”, ohne auf Gesetze oder ausreichende Spendengelder zu warten. Ein Jahr später wurden zwei Häuser, “Weraheime” genannt, eröffnet.
Das erste Heim in Stuttgart bot schwangeren Frauen kurzfristig Obdach und Unterstützung, aber auch Frauen, die vor gewalttätigen Ehemännern Schutz suchten. Ein weiteres Heim in Hebsack, nahe Stuttgart, bot Müttern und Kindern längerfristig Zuflucht und Arbeitsmöglichkeiten. Dort wurden auch “gefährdete Mädchen” aufgenommen, die aus dem Gefängnis oder von der Straße kamen. Sie hatten die Wahl zu bleiben. Bis heute gibt es in Stuttgart ein “Weraheim”, das von der von Wera gegründeten Stiftung unterstützt wird. Es hilft alleinstehenden, oft benachteiligten und minderjährigen Schwangeren und Müttern und bietet sozialpädagogische Betreuung. Die Existenz einer Babyklappe seit 2002 entspricht vermutlich dem Wunsch der Gründerin.