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„Begegnungen sind eines der größten Geschenke des Lebens“

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Frau des Monats Februar: Sonja Steger

Ihre Neugier, ihre Liebe zur Literatur und ihre Freude an tiefgründigen Begegnungen treiben sie an. Die aktive Kulturarbeiterin Sonja Steger betreut nicht nur die Literatursalons im ost west club est ovest in Meran, sondern hat auch die Kunst- und Kulturzeitschrift vissidarte mit herausgegeben und das Literaturfestival Sprachspiele mitbegründet. Im Interview erzählt sie von ihrem Werdegang, von ihren vielen Aktivitäten und hat uns mit einem Gedicht überrascht.

Wie würdest du dich beschreiben?

Vorausgeschickt, dass Selbst- und Fremdwahrnehmung zuweilen stark auseinanderklaffen und dass geeignetere Formen diese Frage zu beantworten, ein Gedicht-Zyklus oder ein Roman wären, versuche ich es trotzdem… Ich bin Kulturarbeiterin und Autorin, neugierig – im Sinne von interessiert – an der Welt und den Mitmenschen, begeisterungsfähig und ausdauernd, chaotisch und manchmal verzagt. Ich mag den sanften, diplomatischen Weg, denn ich bin eher konfliktscheu. Respektvoller Umgang miteinander ist mir extrem wichtig.

Sonja Steger. Foto: Toni Pixner
Wie bist du zu deiner Liebe zur Literatur gekommen?

Lesend. Für mich bedeutet das Abtauchen in literarische Werke: Weltflucht und Weltaneignung zur gleichen Zeit. Als Kind und Jugendliche war ich eine Einzelgängerin und fühlte mich oft einsam. Ein langweiliges Leben lässt sich hervorragend mit Geschichten bewohnbar machen, gelesene oder vom Fernseher aufgetischte. Erste komplexere und längere Texte las ich in der Mittelschule, ich gebe es zu: meine Einstiegsdroge in die Literatur war Steven King.

Wann hast du selbst begonnen zu schreiben?

Als Mädchen schrieb ich Tagebuch, eine Lehrerin hat uns Schüler*innen dazu angeregt. Und weil ich ein ungeduldiger Mensch bin, zog es mich zum Gedichteschreiben. Mir gefällt die Herausforderung, die Essenz, das Wesentliche einer Beobachtung, eines Geschehens etc. in knapper Form widerzugeben. Später durfte ich dann auch journalistische Erfahrungen sammeln.

Sonja Steger. Foto: Stefan Dirler
Gab es bestimmte Ereignisse oder Personen, die für deinen Werdegang prägend waren?

Im besten der Fälle sind „echte“ Begegnungen immer prägend, einige davon gar weichenstellend. Ich hatte das Glück sehr vielen Impulsgeber:innen begegnen zu dürfen, wofür ich dankbar bin. Exemplarisch möchte ich den Menschen nennen, der mir den Weg zur Kulturarbeit eröffnet, der mir Mut gemacht hat, diesen Weg einzuschlagen. Reider Klaus, der ehemalige Präsident des Kultur- und Kommunikationszentrums ost west clubs est ovest. Er hat mich für den Club begeistert, dort bot sich die Möglichkeit, kreativ zu sein und Projekte zu verwirklichen. Viele der Initiativen, an denen ich mitwirken durfte, stehen direkt oder indirekt mit dem Club in Verbindung.

In dem Buch der Reihe Meran/o, Verlag alphabeta Edizioni, welches zum 34-jährigen Bestehen des Vereins erschien, findet sich dieses Gedicht von mir

der CLUB
ist anders – das sagen alle
aber hier stimmt’s

wir
tun was für mehr kommunikation
sind anlaufstelle für schräg und normal
trainingszentrum für soziale interaktion
biotop für freigeister

wir
träumen & handeln

die ruhigen zeiten
sind einwärmstrecken vor dem gipfel
klar, gab es auch – was denkste in 35 jahren

manchmal einfach nur raatschen
multi-vitamin-lingual-kulti-color
generationsübergreifend auch

kribiskrabis – ja gerne
mit und ohne konzept
kommt in den besten kulturfamilien vor

wir sind human
wie unsre werte
Respekt wird großgeschrieben

was heißt hier links
freiheit ist immer auch
die freiheit des andersdenkenden

kann das sein?
gesellschaftspolitisch aktiv
parteiunabhängig, geschmeidig unbeugsam

immer immer immer und noch mehr
musik – die weltsprache
verbindet viele – immerzu

literatur – kein zugpferd
aber hallo – wichtig
worte brauchen orte

parliamone – lasst uns diskutieren
sotto lampade verdi
in mezzo allo zigori

das bild hängt schief
kommt vor – im skraus cube
kunst&co auf schrägen wänden

festivals gibt’s auch
und bücher und zeitschriften
ab und zu

ein langer weg
vom lichtscheuen gesindel
ins rampenlicht zwischen zwei buchdeckeln

Sonja Steger. Foto: Gert Reinstadler
Die Kulturzeitschrift vissidarte, die Sprachspiele, der LiteraturCLUB im ost west club… Erzählst du uns von deinen vielen kulturellen Aktivitäten?

Hier kann man an die vorhergehende Frage anknüpfen. Das erste Treffen, um Mitwirkende zu finden, welche eine kleine Kulturzeitschrift in der Passerstadt mitgestalten wollten, fand im ost west club in der Passeirergasse statt. Harry Reich hatte die Idee, den Namen vissidarte – vissi d’arte, vissi d’amore singt Tosca in Puccinis gleichnamiger Oper –, brachte Toni Colleselli ins Spiel; Katharina Hohenstein und ich fanden das Zeitungsprojekt sogleich spannend, dass daraus eine beflügelnde und geistig bereichernde, 15 Jahre währende Zusammenarbeit werden würde, konnte niemand ahnen. vissidarte erschien von 2004-2019. Die Grafikerinnen waren immer wichtiger Teil des Teams. Die Ersten Ausgaben gestaltete Katha Walpoth, die im Club etliche Jahre federführend mitorganisierte und mitwirkte, einer Ausgabe verlieh Priska Schneider Gestalt, ab 2008 zeichnete Andrea Dürr für das Layout verantwortlich. Eine tolle Zeit, ein für uns alle prägendes Projekt.

Entschuldigt, ich komme ins Plaudern, verliere mich im Detail. Seit vielen Jahren darf ich das Literaturprogramm des ost west clubs betreuen. Es ist sehr interessant, lehrreich und macht Freude viele Autorinnen und Autoren einladen zu dürfen. Was ich mir diesbezüglich wünsche: Mehr Publikum bei noch unbekannten, neuen Talenten und Schreibenden, und solchen, die nicht aus der näheren Umgebung stammen. Also, liebe Leser:innen, rafft euch auf und wagt es literarisch neues auszuprobieren, kennenzulernen. Immer wieder werden auch Sachbücher oder andere interessante Publikationen vorgestellt.

Grundsätzlich gilt: Alleine geht man nirgendwohin, nur gemeinsam, mit einer Gruppe Gleichgesinnter, kann Vieles entstehen.

Sonja Steger und Toni Colleselli, Foto: Damian Pertoll und Laura Zindaco
Was treibt dich an? Was inspiriert dich? Was erfüllt dich besonders an deiner Arbeit?

Die Liebe zur Literatur und zur Kunst im Allgemeinen – Bildende Kunst, Theater, Film, Musik … Es macht mir große Freude gemeinsam mit kreativen Menschen Ideen zu verwirklichen, Projekte zu gestalten. Begegnungen sind eines der größten Geschenke des Lebens.

Welche Lektüre möchtest du unseren Leser:innen empfehlen?

In den vergangen Wochen und Monaten hat ein Buch mit besonders gefesselt, im wahrsten Sinne des Wortes. Seit vielen Jahren darf ich für den Verlag alphabeta Edizioni aktiv sein. 2022 arbeiteten Toni Colleselli und ich an dem Buch Meranerinnen | Donne di Merano, in dem 34 Frauen vorgestellt und gewürdigt werden. Laura Zindaco und Damian Pertoll schufen suggestive Portraits der Protagonistinnen, die Künstlerin Alice Yeoue gestaltete die Portraits, der bereits verstorbenen Frauen. Sehr viele schreibende Menschen, vor allem aus Meran, verfassten die Texte über die Protagonistinnen. Und auch bei diesem aufwendigen Projekt waren es die vielen guten Begegnungen – in Persona, per Mail, per Telefon –, die mich und Toni nicht verzagen ließen. Kultureller Reichtum überträgt sich von Mensch zu Mensch, indem man einander zuhört, Geschichten erzählt und so am Leben des Anderen teilhat.

Sonja Steger und ihre Mutter. Foto: Ulrike Anna Bleier
Kurzbio

Sonja Steger, Autorin und Kulturarbeiterin, geboren 1974 in Meran, lebt in Schenna.

Publizistisch tätig für Magazine und Kulturzeitschriften, sowie Übersetzungen und Textproduktion. Organisation von und Teilnahme an: Lesungen und kulturellen Veranstaltungen. Vorstandsmitglied des Kultur- und Kommunikationszentrums ost west club est ovest, Mitglied der Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung (SAAV) und des Kreises Südtiroler AutorInnen im Südtiroler Künstlerbund (SKB). Mitherausgeberin der Buchreihe Meran/o, Verlag alphabeta Edizioni. Mitbegründerin und im Redaktionsteam der Meraner Kunst- und Kulturzeitschrift vissidarte (2005–2019). Seit 2011 Organisation des kunstspartenübergreifenden Literaturfestivals Sprachspiele / Linguaggi in gioco, welches von Peter Oberdörfer, Haimo Perkmann und ihr gegründet wurde.

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