Isabella Engl ist über viele Jahre hinweg immer wieder nach Afrika gefahren, hat dort mit den Menschen gearbeitet, hat viele Projekte zur Selbsthilfe initiiert, sich für Bildung eingesetzt, ein Basisgesundheitszentrum mit aufgebaut und sich insbesondere auch mit dem Thema der Genitalverstümmelung auseinander gesetzt. Anlässlich des morgigen internationalen Tages gegen Genitalverstümmelung haben wir mit ihr über dieses Thema gesprochen.
Erzählst du uns kurz von deinem Weg und deinem Einsatz gegen Genitalverstümmelung?
Meine erste Begegnung mit weiblicher Genitalverstümmelung war während eines Besuchs bei einem Südtiroler Missionar in Kenia im Jahre 1984. Die Begegnung mit den Frauen dort wurde eine Weichenstellung in meinem Leben und schon im folgenden Sommer war ich wieder dort, diesmal mit meinem 12jährigen Sohn, um Näh- und Strickkurse zu halten, das wollten die Frauen nämlich von mir lernen. Wir suchten gemeinsam Alternativen zur Beschneidung, die ja ein Initiationsritual sein soll. So gab es alternative Kurse mit den Mädchen, wo sie in Sitten und Gebräuche des Stammes eingewiesen wurden aber auch in Nähen, Stricken, organischer Landwirtschaft und Glaubensinhalte.
1991 kam ich dann nach Uganda und mein Einsatz für Frauen und Mädchen ging weiter. Im Stamm der Sabiny an den Hängen des Mount Elgon ist im Dezember jedes geraden Jahres der Termin für FGM (Female Genital Mutilation), so der Fachausdruck für Mädchenbeschneidung. Als einzige wirksame Strategie dagegen erwies sich Mädchenbildung und im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit mit dem Land Südtirol konnten wir im Siedlungsgebiet der Sabiny drei Oberschulen für Mädchen ausbauen. In Gamatui Girls SS unterstützten wir jahrelang bedürftige Mädchen mit Schulgeld. Überhaupt war Gamatui Girls SS sehr aktiv bei der Aufklärung und Bewusstseinsbildung und in Zusammenarbeit mit Müttern, Ältestenrat und örtlichen NGO‘s gelang es wirklich, die Zahl der Beschneidungen zu reduzieren.
2020 waren wegen der Corona Pandemie kaum mehr Fälle von FGM bei den Sabiny. Es war auch in Uganda ein strenger Lockdown und das bedeutete auch große Einkommensverluste. Zum “Fest der Beschneidung” muss die Familie alle Verwandten einladen, dazu noch all die Frauen, die in der Gruppe der Mutter des Mädchens seinerseits beschnitten worden sind. Diese Feste ziehen sich über einige Tage. Dazu müssen die Mädchen anschließend von eigens dafür bestimmten Frauen versorgt und betreut werden, bis die Wunden verheilt sind. Auch das kostet Geld. Viele Familien haben daher den Termin entweder verschoben – (was Mädchen in 2 Jahren reifer macht und widerständiger) oder überhaupt abgesagt. In den Dörfern hat man jetzt “Peer Gruppen” gebildet, die sich um Aufklärung bemühen.
Kannst du uns etwas zur aktuellen Situation zu diesem Thema sagen?
FGM ist eine schwere Menschenrechtsverletzung und im internationalen Recht als Straftat anerkannt. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) existiert die grausame Praxis in 28 afrikanischen Ländern, 200 Millionen Mädchen und Frauen weltweit sind davon betroffen.
In vielen afrikanischen Ländern wird mittlerweile diese Tradition bekämpft beziehungsweise gesetzlich verboten. Doch Gesetze verändern die traditionellen Gebräuche nicht und wo Armut und Bildungsnotstand herrschen, leiden Mädchen und Frauen besonders stark.
Haben die Projekte, die du initiiert hast, Erfolge gezeigt?
Ja, durchaus. Viele unserer unterstützten Mädchen haben ein staatliches Stipendium erlangt, einen Beruf ergriffen und sich aktiv in die Eliminierung von Mädchenbeschneidung eingebracht. Durch den Ausbau der drei Mädchenschulen wurden die Bildungschancen für Mädchen dauerhaft gesichert.
Welche Auswirkungen hat die Corona Pandemie auf die Situation der Genitalverstümmelung?
Die Corona-Pandemie macht Arbeit gegen FGM noch schwieriger. Die Aktivistinnen können sich in Kenia nicht frei bewegen, da Kenia einen Lockdown und eine nächtliche Ausgangssperre verhängt hat. Die Konsequenz ist: Mehr Mädchen bleiben sich selbst und den schädigenden kulturellen Praktiken in ihren Gemeinden überlassen. Auch trägt die Pandemie dazu bei, dass vermehrt Mädchen sexuell missbraucht werden, Teenager-Schwangerschaften zunehmen, Mädchen in Zwangsehen landen.
Ich meine, Corona hat die Aufbauarbeit um etwa 20 Jahre zurückgeworfen. Durch die Folgen der Corona-Pandemie dürfte diese Zahl schon jetzt um 2 Millionen gewachsen sein, schätzt man in der WHO.
Inwieweit spielt das Thema eine Rolle in Europa und Italien?
Nachdem in Europa Genitalverstümmelung gesetzlich verboten ist, hat man, wie ich gehört habe, vielfach die Mädchen in ihre Heimatländer zurückgeschickt. Doch die Pandemie verhindert dies nun. Überhaupt überlagert Corona derzeit alle anderen Themen.
Welche Auswege gibt es?
Solidarität mit den benachteiligten Frauen in vielerlei Arten, Mädchenbildung fördern ist wesentlich auf dem Weg in eine bessere Zukunft für Frauen, Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung für Frauenthemen hier und weltweit.
Interview: Sissi Prader, Judith Mittelberger