Heute dürfen wir euch in der Rubrik #herstory die schwedische Künstlerin Hilma af Klint vorstellen, deren Geschichte lange unbekannt war und in den letzten Jahren die Kunstgeschichte – so wie wir sie kennen – in Frage stellt. Hilma af Klint hat 1906 begonnen abstrakte Bilder zu malen, die bis vor wenigen Jahren kaum jemand zu Gesicht bekommen hatte. Somit war sie einige Jahre früher dran, als die Künstler, die meist als Pioniere der abstrakten Malerei genannt werden: Wassily Kandinsky, Piet Mondrian und Kasimir Malewitsch. Die Geschichte dieser Künstlerin erzählt nicht zuletzt ein Stück weit, wie Kunstgeschichte und wie Frauengeschichte geschrieben wird.
Wer ist Hilma af Klint?
Af Klint wurde 1862 in Stockholm geboren und studierte an der dortigen Königlichen Akademie der Schönen Künste, die sie 1887 mit Auszeichnung abschloss. Sie etablierte sich bald als angesehene Malerin in Stockholm und stellte ihre fein gezeichneten figurativen Gemälde aus.
Warum abstrakte Malerei?
Hilma af Klint beschäftigte sich intensiv mit Spiritualismus und Theosophie. Diese Formen des spirituellen Engagements waren in ganz Europa und den Vereinigten Staaten weit verbreitet – vor allem in literarischen und künstlerischen Kreisen – als die Menschen versuchten, lang gehegte religiöse Überzeugungen mit wissenschaftlichen Fortschritten und einem neuen Bewusstsein für die weltweite Vielfalt der Religionen in Einklang zu bringen. Hilma af Klints abstrakte Werke stehen in direktem Zusammenhang mit diesen Glaubenssystemen.
Wie entstanden ihre Werke?
Als Hilma af Klint 1906 begann, abstrakte Gemälde zu schaffen, war dies eine neue Art zu malen: losgelöst von allen erkennbaren Bezügen zur physischen Welt. Zunächst malte sie eine erste Serie kleinformatiger Bilder. Schon 1907 wechselte sie aber zu großen Formaten, die bis zu drei Metern hoch und zweieinhalb Metern breit waren. Die Bilder hatten das Potential moderne Malerei zu verändern, wenn sie denn zu dieser Zeit bekannt gewesen wären.
Warum wurde sie nicht bekannt?
In den folgenden Jahren unternahmen Künstler wie Wassily Kandinsky, Kasimir Malewitsch, Piet Mondrian und andere ähnliche Schritte, um ihre Kunstwerke von gegenständlichen Inhalten zu befreien. Sie veröffentlichten Manifeste darüber, stellten aus und Wassily Kandinsky erklärte sich 1919 in einer Lexikonnotiz selbst zum Urheber des ersten abstrakten Bildes: „…der erste Maler, der die Malerei auf den Boden der rein-malerischen Ausdrucksmittel stellte und das Gegenständliche im Bilde strich. 1911 malte er sein erstes abstraktes Bild.“ Hilma af Klint: Die Thronstürmerin – Feuilleton – FAZ
Hilma af Klingt war mit ihren bahnbrechenden Gemälden weitgehend auf Unverständnis getroffen. Sie konnte sie nur selten ausstellen, und kam so zur Überzeugung, dass die Welt noch nicht bereit war, ihr Werk zu verstehen. So legte sie fest, dass es erst zwanzig Jahre nach ihrem Tod gezeigt werden sollte. Letztlich blieb ihr Werk bis 1986 nahezu ungesehen.
Wie ging es weiter?
Als Hilma af Klint 1944 im Alter von 81 Jahren starb, verfügte sie in ihrem Testament, dass ihr Werk – 1.200 Gemälde, 100 Texte und 26.000 Seiten Notizen – erst 20 Jahre nach ihrem Tod gezeigt werden sollte. Erst in der 1986 in Los Angeles gezeigten Ausstellung The Spiritual in Art wurde ihr Werk der Öffentlichkeit vorgestellt. Trotzdem blieb sie in der Kunstwelt weitgehend unbekannt.
2011 veröffentlichte Julia Voss in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Artikel „Die Thronstürmerin“, in dem sie ankündigte:
Im Moderna Museet in Stockholm steht eine Holzkiste mit Eisenbeschlägen, deren Inhalt die Kunstgeschichtsschreibung in spätestens zwei Jahren aus dem Ruder bringen wird.
2013 zeigte eine umfassende Ausstellung im Moderna Museet in Stockholm das Werk von Hilma af Klint und der erste große wissenschaftliche Katalog erschien. Es war die populärste Ausstellung, die das Moderna Museet je veranstaltet hat.
Bezeichnend ist, dass das Museum of Modern Art in New York ein Jahr zuvor die Ausstellung „Inventing Abstraction: 1910-1925“ zeigte, und Hilma af Klint mit keinem Wort erwähnte. Die Kunstgeschichte ließ sich also nicht so einfach umschreiben. Julia Voss sagte dazu:
Viele große Institutionen äußerten sich sehr abfällig über sie. Doch fünf Jahre später widmete das Guggenheim Museum in New York ihr eine Ausstellung und feierte damit den größten Publikumserfolg in der Geschichte des Hauses. Seitdem ist es nicht mehr so einfach, sie wegzuwischen.
Vor einem Jahr hat Julia Voss im Fischer Verlag die erste umfassende Biographie zu dieser bahnbrechenden Malerin herausgegeben, das dazu einlädt, sich näher mit dieser faszinierenden Person und ihrer Geschichte auseinander zu setzen.
Judith Mittelberger